Zeitungskrise: Los Angeles Times:Hollywood Reporter

In der Zeitungskrise geht die "LA Times" neue Wege und vermietet ihr Gebäude an Filmproduktionen. Dann sitzt schon mal Robert Downey Jr. in der Redaktion.

Johannes Boie, Los Angeles

Im Aufzug steht Tom Cruise. Der Reporter der Tageszeitung Los Angeles Times, der auf den Lift wartet, versäumt vor Staunen zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben, im eigenen Bürogebäude einzusteigen. Die Türen gehen zu. Zwei Minuten später kommt der Aufzug erneut vorbei. Tom Cruise, der jetzt auf dem Weg nach unten ist, sieht den staunenden Mann an. "Ja, Mann, ich bin Tom Cruise", sagte der Filmstar. "Kein Grund, nicht einzusteigen."

LOS ANGELES TIMES

Alter Glanz, der noch wärmt: Das Gebäude der LA Times - hier hell erleuchtet - ist nur noch bedingt ein Zeitungshaus. Mittlerweile ist es vor allem eine Kulisse für Hollywood. Paparazzi vor der Art-déco-Tür sind keine Seltenheit, wenn sich Brad Pitt im Keller eine Wohnung einrichtet und am Newsdesk manchmal der herrlich irre Robert Downey Jr. sitzt.

(Foto: AP)

Die LA Times vermietet große Teile ihres Gebäudes an Filmproduktionen. Dem Geschäftsmodell liegt eine erstaunliche Mischung zugrunde: aus der Krise und dem Wandel der gedruckten Zeitungen - und aus der kreativen Atmosphäre von Los Angeles, jener Stadt im Westen Kaliforniens, in der Traum- zu Filmbildern werden, der Stadt von Hollywood und Bel Air, von Disney und Paramount.

Gebäude oder ganze Straßen an Filmproduktionen zu vermieten, ist in dieser Stadt alltäglicher Wahnsinn. Wahnsinn, der zum Beispiel das imposante Rathaus der Stadt erfasst, wenn vor dem Hochhaus 50 gelbe Taxis mit der Aufschrift "New York City Taxi" Fahrgäste einladen, um sie zehn Meter weiter, außerhalb des Filmsets, wieder aussteigen zu lassen. Dieser Film spielt dann wohl ein paar tausend Kilometer weiter östlich.

Das Gebäude der LA Times, das direkt neben dem Rathaus steht, ist perfekt für Filmaufnahmen geeignet. In verschiedenen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gebaut und ausgebaut, gibt es innen Hunderte unterschiedlich ausgestattete und eingerichtete Räume. Da sind Stockwerke voll leerer Büros, Kellerräume, aber auch Luxusetagen, etwa den fünften und sechsten Stock, wo man durch edel verkleidete Aufzugtüren auf schwere Steinböden und dicke Teppiche tritt. Ein runder Konferenzraum hier oben geht durchaus als Oval Office im Weißen Haus durch, oder als Chefbüro eines Großunternehmens. Und genau das stellt er in den Hunderten von Werbespots dar, die hier pro Jahr gedreht werden.

Vorsicht Dreharbeiten

Die "Globe Lobby" im Untergeschoss, einer der ältesten Räume des Gebäudes, war schon bei ihrer Fertigstellung 1935 ein Highlight amerikanischer Innenarchitektur. In dem prestigeträchtigen Art-Deco-Eingang, in dessen Mitte ein von Porträts der ehemaligen Herausgeber und Besitzer der Zeitung umgebener, riesiger Globus langsam rotiert, wurden schon Filme gedreht, als die LA Times noch nicht in Farbe gedruckt wurde. Zum Ärger der Angestellten ist der morgendliche Gang durch die Lobby zum Arbeitsplatz mittlerweile gestrichen. Sie müssen einen anderen Eingang benutzen. Aus Kostengründen.

Bei der großen kalifornischen Zeitung hat sich in den vergangenen Jahren vieles aus Kostengründen verändert. Seit das Blatt im Jahr 2000 von der Los Angeles Times Mirror Company an die Tribune-Gesellschaft in Chicago verkauft wurde, wurden über 350 Mitarbeiter in mehreren Runden gefeuert. Seit damals stehen nicht nur viele Newsdesk-Räume leer, sondern auch die prächtigen früheren Büros der Geschäftsführung im sechsten Stock. Die Räume, in deren Mitte ein Wintergarten steht, zeugen mit ihren schweren Ledermöbeln von einer anderen Zeit. Einer Zeit, in der die Besitzer von Tageszeitungen quasi eine Lizenz zum Gelddrucken hatten. Heute beherbergt das Gebäude zwar noch immer eine der weltweit angesehensten Zeitungsredaktionen, davon künden die zahlreichen Pulitzer-Preise an den Wänden der Flure. Doch die verlegerischen Entscheidungen werden heute anderswo gefällt.

Die Kündigungsrunden und der Verkauf der LA Times waren ein Trauerspiel für die ohnehin gebeutelte amerikanische Zeitungslandschaft, aber sie waren ein Glücksfall für die Filmindustrie.

Brad Pitt wohnt im Keller

Cletus Page Jr. ist ein nicht mehr ganz junger und nicht mehr ganz schlanker gebürtiger New Yorker, der 40 Jahre lang die Sicherheitsleute der LA Times befehligt hat. Seit drei Jahren ist er eigentlich im Ruhestand, aber Page ist einer jener Amerikaner, die ihr Mobiltelefon am Gürtel tragen und über jede ihnen gestellte Aufgabe sagen: "Es ist ein Job. Jemand muss ihn machen." Und wenn es darum geht, einen Fahrstuhlknopf zu drücken.

Pages Job ist es heute, die leeren Gebäudeteile der Times an Filmstudios zu vermieten. In den vergangenen paar Monaten hat auch er Tom Cruise getroffen, der für den Trailer zu seinem aktuellen Kinofilm Knight and Day mit dem Motorrad durch den sechsten Stock raste. Hinten drauf saß Cameron Diaz. Page hat Will Smith kennengelernt, der in dem ebenfalls im LA-Times-Gebäude gedrehten Film Sieben Leben mitspielte. Und er hat Brad Pitt getroffen, dessen neuer Film Moneyball 2011 erscheinen soll. Für das Drama wurde Pitt eine Filmwohnung im Keller der Times eingerichtet. Manche Studios wünschen sich die Wände im Haus rot oder blau. "Lasst sie einfach anmalen", sagt Page dann. Es ist ein Job. Jemand muss ihn machen.

Cletus Page ist einer, der alles für seine Kunden tut. Wenn er einen Vertreter der Filmindustrie durchs Gebäude führt, und dem gefällt beispielsweise die Cafeteria, dann sagt er: "Klar könnt ihr die mieten." Kleiner Haken: Die Cafeteria wird bis heute jeden Tag von den Angestellten der Zeitung genutzt. Für Page ist aber nicht länger wichtig, ob ein Raum frei ist oder nicht. Entscheidend ist allein die Nachfrage. Und so kommt es, dass Robert Downey Jr. im Film Der Solist am echten Newsdesk der LA Times sitzt. Die Aufnahmen wurden nachts gefilmt, weil hier tagsüber die Zeitung produziert wird. Downey spielt in dem Film Steve Lopez, einen tatsächlich existierenden Reporter und Kolumnisten der LA Times. Um wirklich jedem Zuschauer klarzumachen, wo die Szene spielt, haben die Filmleute einen absurd großen Los-Angeles-Times-Schriftzug in die Redaktion gehängt. Allerdings haben sie das Ding nach den Dreharbeiten nicht wieder mitgenommen. Jetzt sitzt der echte Lopez bei der Arbeit täglich unter dem falschen Schriftzug. Realität und Fiktion sind in Los Angeles so eng verwoben wie Hollywood und die Klatschpresse.

Zu ordentlich zum Filmen

Als Meryl Streep einmal im LA-Times-Gebäude drehte, war die Spring Street, wo der Haupteingang des Hauses liegt, voller Paparazzi. Streep hatte sich gerade von ihrem Mann getrennt. Cletus Page, der Hollywood-Beauftragte der Zeitung, und die anderen Mitarbeiter nahmen die Aufregung mit Humor, genau wie den Umstand, dass der Newsdesk der Zeitung für Der Solist mit Altpapier vollgemüllt wurde, weil die Filmcrew fand, es sehe dort "für eine Redaktion nicht chaotisch genug aus".

Ein Mann wie Page ist ohnehin kaum zu beeindrucken. "Könnte mir nicht egaler sein", sagt er, auf die Nähe zu den Stars angesprochen. Sein Blick schweift durch die frühere Exekutiv-Ebene im sechsten Stockwerk. Alter Luxus, zur Fassade verkommen. Dann klingelt sein Handy, ein Filmstudio ist dran. Der Klingelton ist Gershwins "Entertainer".

Wie viel verdient die Zeitung mit den Dreharbeiten? "Läuft verdammt gut", ist alles, was sich Page entlocken lässt. Die LA Times, seit 2007 im Besitz des Milliardärs Sam Zell, ist nicht länger an der Börse notiert und gibt keine Zahlen mehr bekannt. Wer sich in der Filmbranche umhört, bekommt Summen von einer Million Dollar pro Jahr genannt, das sei ein realistischer Reingewinn für das Blatt im Filmgeschäft. Eine Million, so hoch war die Auflage der Zeitung in den Neunzigern. Heute liegt sie bei 700.000.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: