ZDF-Film "Liebesjahre":Nostalgie versus Tabula rasa

Was passiert, wenn zwei Geschiedene sich nach langer Zeit wiedertreffen und das Gestern wiederaufleben lassen? Bei so viel Verzweiflung auf engem Raum brechen Angst, Wut, Rache durch. Aber anders als Roman Polanskis "Der Gott des Gemetzels" ist "Liebesjahre" ein großartiger Film über das Leben nach der Liebe.

Barbara Gärtner

Das Glück ist vergilbt und aluminiumgerahmt. Ein Sommermoment, licht und hell, festgehalten auf einem Foto. Es zeigt einen Bauernhof und hinter hohem Gras die Köpfe einer vergnügten Familie. Zwei wohlgeratene Mädchen, eine Frau, glühend und kühn, dazu ein Mann, offensichtlich stolz, baumstark und selbstsicher. Das alles: zu schön für immer. Es ist das Souvenir einer Ehe, die längst geschieden wurde.

ZDF-Fernsehfilm 'Liebesjahre'

"Liebesjahre" nutzt eine in Theater, Literatur und Film beliebte Aufstellung: wenige Verzweifelte auf engem Raum.

(Foto: dapd)

Vor zehn Jahren zog Vera (Iris Berben) fort, hat Uli (Peter Simonischek) fies verlassen. Inzwischen unterhalten beide neue Leben, neue Liebschaften; das einstige Zuhause, jenes gemütlich sonnensatte Bauernhaus an der Nordsee soll also verkauft werden, und Vera und Uli reisen an, um die letzten Überbleibsel der gemeinsamen Vergangenheit rauszurümpeln, damit endlich aus ist und gut.

Einen Tag, eine Nacht für das Gestern, davon erzählt Liebesjahre: zwei Paare im Zwist, gerangelt wird über das Wer-war-schuld aber auch, was das für die neuen Bindungen bedeutet. Denn zu den Ex-Eheleuten gesellen sich Johanna (Nina Kunzendorf) und Darius (Axel Milberg), die neuen Partner, nicht eingeladen, aber neugierig. Eine in Theater, Literatur und Film beliebte Aufstellung: wenige Verzweifelte auf engem Raum, damit die Niedertracht der menschlichen Existenz Pusteln treiben kann.

Angst, Wut und Rache, alles bricht durch, die Protagonisten werden in solchen Konstellationen zu Trägern unverdünnter Eigenschaften, die bitteschön miteinander reagieren und bestenfalls explodieren mögen - Laborversuch nennt man das im Rezensionsdeutsch.

Wie elend so was ausgehen kann, ist gerade im Kino zu sehen, bei Roman Polanskis Der Gott des Gemetzels nach dem Stück von Yasmina Reza. Dort deklinieren vier Großschauspieler die Selbstgefälligkeiten des guten Lebens durch, Darfur und Dividenden, das ganze gut gemeinte Drum und Dran. Ein ödes Experiment, zur Schau gestellte Thesen. Alles ist Konzept, nichts ist Spiel.

Alles Spiel, ganz Dialog

Auch Matti Geschonnecks Liebesjahre zeigt eine Fallstudie mit Großschauspielern (kein Oscar, aber viel Fernsehpreis, Tatort-Dienste, Burgtheater und Kammerspiele) und ist doch ein so viel formidablerer Film geworden. Er verzichtet auf Politik und Kunst und Kindererziehung, doch auch hier befinden wir uns in hochwertiger Cashmere-Wickeljacken-Gediegenheit.

Es geht um Nostalgie versus Tabula rasa. Und darum, dass man den Ex immer mitnimmt, egal wie lange die Scheidung zurückliegt. "Tust du nur so oder willst du dich nur an das erinnern, was nicht so gut war?", fragt Uli. Vera retourniert: "Und du? Willst du partout alles mit Zuckerguss übergießen, bis die Wahrheit nicht mehr zu erkennen ist?" Die Wahrheit, das ist so banal wie niederschmetternd, die Wahrheit gibt es nie, nur die Variante, mit der man eben am besten weiterleben kann.

Uli, der Sentimentale, will alles blank polieren, die Erinnerung und ihre Reliquien: das Ehebett ("Da haben wir unsere Kinder gezeugt!") und sogar das alte Hochzeitskleid, das Vera gleichgültig im Schrank zurückließ, will er einpacken, konservieren. Und Vera? Die ist damals mit einem kleinen Koffer gegangen und will auch heute kaum mehr mitnehmen, einmal sagt sie scharf: "Danke für deinen Geschichtsunterricht. Aber ich habe ein Leben und das findet in der Gegenwart statt." Iris Berben spielt sie kühl, um Contenance bemüht, maskenhaft.

Großartig ist Peter Simonischek, der seinen Uli als einen bubenhaften Mann im zweiten Frühling herumwirbeln lässt. Stolz balzt er um seine zweite Frau Johanna herum, Schatz hier, Schatz da, und kommt dabei doch nicht über die Verflossene weg. Nina Kunzendorf, das neue Schatzi, ist ebenfalls famos; knarzlachend und zupackend sexy, nur Axel Milberg hat unter dem Drehbuch (Magnus Vattrodt) zu leiden, das ihn überkandidelte Sätze als Veras "Seelenverwandter" Darius ausrufen lässt: "La Vera! Ja, da bin ich! Schön oder? Freust du dich, dass ich da bin? Also ich freu mich!"

Anders als bei Polanski ist hier alles Spiel. Der Film verzichtet auf viele filmische Manipulations- und Erzählmechanismen, ist ganz Dialog, und der ist großartig. "Sehr nett", antwortet Vera auf die Frage, was sie von Johanna hält. "Sehr nett, ist das Gegenteil einer Meinung", poltert Uli. "Früher hättest du nie etwas sehr nett gefunden." Worauf sie retourniert: "Und du hättest jeden ausgelacht, der so oft über früher spricht, wie du es heute tust."

Schon vor ein paar Jahren gab es solch ein Fernsehglück mit Geschonneck, Berben und Milberg zu sehen. Der Film hieß Silberhochzeit (2006) - noch ein paar Jahre zuvor hatte Geschonneck mit Wer liebt hat Recht den ersten Teil dieser losen Liebe-und-Verlust-Trilogie inszeniert. In Silberhochzeit kommen ein paar Freunde zu Besuch, ein Abendessen als Prost auf eine langjährige Ehe, doch im Laufe der Nacht werden Beziehungen riskiert, Boshaftigkeiten ausgespuckt, und am Ende ging die Figur, die Iris Berben spielte, aus dem Haus, was aus diesem angefangenen Leben werden wird, ungewiss. Dieses Mal nimmt Iris Berben wenigstens ein Erinnerungsstück mit. Ein gerahmtes Foto von besseren Zeiten.

Liebesjahre, ZDF, 20:15 Uhr

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