"Young Sheldon" bei ProSieben:Das Komische im Tragischen

Young Sheldon - Raketen, Kommunisten und keine Freunde

Eigentlich ist Sheldon (Iain Armitage) am liebsten alleine.

(Foto: Warner Bros. Television)

Mit "Young Sheldon" startet eine neue Sitcom von Meisterserienmacher Chuck Lorre. Begegnung mit einem, für den das Fernsehen immer mehr als Fernsehen war.

Von Jürgen Schmieder

Was bei einer Begegnung mit Chuck Lorre sofort auffällt, das ist dieser Blick. Es sind zwar Spitzbubenaugen, die einen da ansehen, es ist aber kein Spitzbubenblick. Er mustert einen aufmerksam, so wie der Verkäufer im Klamottenladen einen Kunden mustert. Höflich, gewiss, aber dennoch konzentriert und stets auf der Suche nach einem Hinweis, welchen Kleidungsstil und welche Größe er gleich empfehlen muss. Irgendwann während dieser Begegnung lächelt er, als hätte er das perfekte Stück für einen gefunden. Hab' ich dich!

Lorre ist der König Midas des amerikanischen Unterhaltungsfernsehens, er ist Autor bei Roseanne gewesen und hat unter anderem die Serien Cybill, Dharma & Greg, Two and a Half Men, Mom und The Big Bang Theory erfunden. Es heißt ja immer wieder, dass die traditionellen Schmunzel-Serien, vor allem die der traditionellen Sender, vom Aussterben bedroht seien in Zeiten aufwendiger Fantasy-Thriller wie Game of Thrones, tiefgründiger Dramen wie Big Little Lies und innovativem Science-Fiction-Horror wie Stranger Things. Und dass all die Reboots (Modernisierung einer bekannten Geschichte) und Spin-Offs (eine Nebenfigur wird Protagonist einer neuen Serie) und Prequels (Erzählen der Vorgeschichte) den kreativen Niedergang nur beschleunigen würden.

Das aktuelle Projekt von Lorre heißt Young Sheldon, es ist eine traditionelle Schmunzel-Serie über den neun Jahren alten Sheldon Cooper. Die erwachsene Variante des hyperintelligenten und hyperneurotischen Genies kennen die Zuschauer aus The Big Bang Theory. Ein Prequel also, beim traditionellen Fernsehsender CBS, in Deutschland wird es von kommendem Montag an auf Pro Sieben zu sehen sein. Man möchte "Dinosaurier-Alarm" rufen, allerdings: In den USA wollten 22,46 Millionen Menschen die erste Folge innerhalb einer Woche nach Erstausstrahlung sehen, bei der siebten Episode waren es immer noch erstaunliche 16,2 Millionen. Lorre verwandelt ganz offensichtlich nicht nur vieles zu Gold, er ist auch immun gegen den Meteor, der Sitcoms auslöschen soll.

Chuck-Lorre-Serien beinhalten, bei aller Komik, stets eine Melancholie

"Ich mag dieses Kannibalisieren erfolgreicher Formate nicht", sagt er: "Wer eine erfolgreiche Show hat, der sollte sie schützen und sie wachsen lassen." Lorre spricht leise, als würde er ein Geheimnis verraten. Vielleicht macht er das aber auch nur, damit sich sein Gesprächspartner nach vorne beugt und durch einen Blick verrät, was er von dieser Antwort hält. Lorre weiß, dass auf diese Aussage nur die Frage folgen kann, warum er, wenn er das Kannibalisieren nicht leiden kann, eine Serie über den jungen Sheldon dreht: "Jim Parsons, der in The Big Bang Theory den erwachsenen Sheldon verkörpert, hat einen hochintelligenten Neffen in Texas. Das hat zu Diskussionen geführt, ob wir nicht die Vorgeschichte von Sheldon erzählen sollten, der ja auch in Texas aufgewachsen ist. Es geht also um eine komplett neue Familie, und wir nehmen die eine Figur auch nicht aus der erfolgreichen Serie heraus."

Es ist tatsächlich, das zeigen die ersten Episoden, weniger ein Rückblick auf die Kindheit, sondern wie so oft bei Lorre die Charakterstudie faszinierender Menschen, die sich in einer Welt zurechtfinden müssen, die nicht so recht weiß, wie sie mit diesen Typen umgehen soll. Da gibt es etwa die eine Folge, in der Sheldon aufgrund seiner außerordentlichen mathematischen Fähigkeiten der Footballmannschaft seiner Schule zu überraschenden Siegen verhilft - und plötzlich populär ist. Die coolen Jungs feiern ihn, er wird freudig abgeklatscht und von hübschen Mädchen geknuddelt. Seine Reaktion: "Es war ein Albtraum!"

Chuck-Lorre-Serien beinhalten, bei aller Komik, stets eine Melancholie, die sie von Wohlfühl-Sitcoms abhebt. In Two and a Half Men geht es letztlich um die Angst vor Einsamkeit, in Mom um Sucht und in The Big Bang Theory um Entfremdung. Lorre findet das Komische im Tragischen, wenn etwa der kleine Sheldon an einer Erdnuss zu ersticken droht und als scheinbar letztes Bild seines Lebens angewidert feststellt, dass sein Bruder George das angeleckte Messer wieder in die Marmelade steckt. Oder wenn er während der Predigt mit dem Priester eine Debatte über die Existenz Gottes startet.

Wer wissen möchte, wie aus Lorre dieser virtuose Serienerfinder geworden ist, der sollte die Geschichte von Young Chuck kennen. Er sah als junger Mann einen Sketch in der Ed Sullivan Show, in dem Henny Youngman zu einem Arzt sagt: "Wenn ich das hier mache, dann tut es weh." Und als Antwort hört: "Dann mach' das halt nicht." In einem Interview mit dem New Yorker sagt Lorre über diesen Moment: "Das war das Lustigste, was ich jemals in meinem Leben gehört habe. Die Logik dieser Aussage war einfach nur erstaunlich."

Lorre brach das Studium ab und versuchte sich jahrelang als Musiker und Komponist. Er schrieb den Titelsong zur Comicserie Teenage Mutant Ninja Turtles (ja, genau der, der in der deutschen Version den unvergesslichen Satz enthält: "Immer auf der Lauer, und immer etwas schlauer") und war an "French Kissin'" von Deborah Harry beteiligt. Zum Fernsehen kam er, zumindest behauptet er das, weil er seine Familie krankenversichern wollte: "Ich hatte zu Beginn keine Ahnung, was ich da tat."

Die Show ist ihm wichtiger als der Star

Er fiel als Autor auf, weil seine Drehbücher jene düstere Trübsal enthielten, wegen der Roseanne als eine der faszinierendsten Serien der Geschichte gilt. Roseanne übrigens, das aber wirklich nur am Rande, wird im März ohne Lorre neu aufgelegt. Lorre bekam nach seinem Abschied dort die Gelegenheit, eigene Projekte zu entwickeln, bemerkte aber schnell zwei Probleme dieser Branche: Selbst die Leute, die an Serien arbeiteten, nahmen das Fernsehen nicht besonders ernst - und die Stars nahmen sich bei Erfolg schnell wichtiger als die Show.

Wer Lorre bei der Arbeit beobachtet, der bemerkt: Er lacht oft und sehr laut, sehr häufig aber sitzt er vor einem Monitor und beobachtet eine Szene, so wie ein Schachspieler die Entwicklung einer Partie verfolgt. Er achtet aufmerksam auf die Reaktionen des Publikums (The Big Bang Theory wird vor Zuschauern gedreht, Young Sheldon nicht) und nimmt dem Protagonisten schon mal einen überdurchschnittlich witzigen Satz weg, wenn er glaubt, dass eine andere Figur etwas noch Lustigeres sagen könnte. Wenn die Zuschauer dann lachen, dann weiß Lorre: Hab' ich euch!

Die Show ist wichtiger als der Star. Diese Einstellung gefällt nicht jedem Star, und Lorre hat sich deshalb mit einigen überworfen, mit Brett Butler bei Grace Under Fire, mit Cybill Shepherd bei Cybill und natürlich mit Charlie Sheen bei Two and a Half Men.

Der beste Tipp für eine erfolgreiche Karriere ist neben der beruflichen Variante zu Henny Youngmans Sketch ("Finde heraus, was du nicht kannst - und dann mach' das halt nicht") der unvergessene Ratschlag von Bruce Springsteen: "Betrachte das, was du tust, als die wichtigste Sache der Welt. Sei dir aber bewusst, dass es andere nicht für die wichtigste Sache der Welt halten." Die Serien von Lorre sind deshalb komisch, weil Lorre ernst nimmt, was er da tut. Für ihn ist es nicht nur Fernsehen. Es ist viel mehr. Das zeigt sich auch bei den "Vanity Cards", die Lorre anstatt eines Firmenlogos nach vielen Episoden veröffentlicht. Es sind kleine Notizen, oftmals belanglos, sehr häufig auch nachdenklich und wütend, bisweilen auch böse Spitzen gegen Donald Trump: "Terroristen und Diktatoren besiegen? Er hat ja nicht mal gegen Two and a Half Men gewonnen."

Young Sheldon soll keine Wohlfühlserie sein, sondern, natürlich, viel mehr. "Die einzige Verbindung zu The Big Bang Theory ist die Stimme von Jim Parsons als Erzähler", sagt Lorre. Sie lehnt sich eher an andere Coming-of-Age-Serien wie Wunderbare Jahre oder Malcolm mittendrin an, die ersten Episoden deuten an, dass sich Komik und Tragik abwechseln und eine Studie über eine faszinierende Zeit im Leben eines faszinierenden Menschen ergeben könnten.

"Man muss als Autor die Figuren ernst nehmen und gern haben - und sie sich entwickeln lassen", sagt Lorre: "Wer etwa Cheers guckt, der will in dieser Bar mit Cliff und Norm sitzen. Auch wenn sie alle irgendwie Verlierer sind, helfen sie sich gegenseitig. Man möchte als Zuschauer Teil dieser Gemeinschaft sein." Wer durch den Schauplatz von Young Sheldon wandert, durch die Bibliothek und das Klassenzimmer, wer Sheldon-Darsteller Iain Armitage dabei erwischt, wie er mit seiner TV-Schwester Raegan Revord feixt; wer die ersten Folgen guckt, der wird von seiner Erinnerung angestupst. Weißt du noch, damals: Kindheit, Schule, Freunde, Bruder. Traurig, lustig. Hach!

Da hat er uns mal wieder, dieser Chuck Lorre.

Young Sheldon, Pro Sieben, montags, 20.45 Uhr.

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