W&V: E-Publishing:"An Apple kommt keiner vorbei"

Verlage sind noch immer auf der Suche nach digitalen Geschäftsmodellen. Für den Medienexperten Werner Lauff fangen sie gerade erst an, Apps richtig zu verwenden.

Judith Pfannenmüller

Medienexperte Werner Lauff moderiert seit 2009 die Arbeitsgruppe Elektronisches Publizieren. Auf Initiative der Zeitungsverleger-Verband BDZV treffen sich dort gut 20 Vertriebsleute, Chefredakteure, Onliner und Verlagsgeschäftsführer. Lauff kennt als Ex-Geschäftsführer des Zeitungsverbands Nordrhein-Westfalen das Printgeschäft; Erfahrungen mit elektronischen Medien bringt er aus seiner Zeit bei AOL und der Bertelsmann Broadband Group mit. Die Treffen der Arbeitsgruppe mündeten in die Expertise "Publizieren auf Casual Devices - Die Tageszeitung auf iPad, iPhone, eReader und Co". Im Gespräch mit W&V erläutert Lauff, welche Chancen Apps bieten - und was die Verlage beachten sollten.

Werner Lauff

Eine Empfehlung von Werner Lauff an die Verlage: Sie sollen unbedingt dafür sorgen, dass elektronische Abos voll über sie laufen, nicht über Dritte wie Apple.

(Foto: www.lauff.org)

W&V: Herr Lauff, in Ihrer Untersuchung von E-Publishing-Endgeräten und Plattformen für den BDZV ziehen Sie den Schluss, dass an Apples iPhone und iPad erst mal keiner vorbeikommt. Sollen sich Verlage also zunächst einmal an Apple-Apps probieren?

Werner Lauff: Ja. Und das ist auch die Meinung der Expertengruppe E-Publishing des BDZV: Apps sind marktreif. Und da Apple attraktive Geräte und ein funktionierendes Shop-System geschaffen hat, sollten die Verlage mit Apple beginnen.

W&V: Wermutstropfen dabei ist ja die Kundenbeziehung, auf der Apple weiter sitzt. Für Verlage eine Konstellation, mit der sie sich wohl oder übel anfreunden müssen.

Lauff: Apple sollte die Kundenbeziehung teilen, so wie andere Shops es auch tun oder tun werden. Die Verbände - übrigens nicht nur die der Presse, sondern zum Beispiel auch die der Internet-Wirtschaft - müssen darauf drängen, dass Apples Geheimniskrämerei aufhört. Freilich können die Verlage in der jetzigen Phase beim Einzelverkauf von Apps noch damit leben - sie etablieren beim Verkauf einer Ausgabe am realen Kiosk ja auch keine Kundenbeziehung. Bei Abos sieht das aber ganz anders aus: Sie müssen voll über die Verlage laufen. Technisch gesehen kann man dafür den Off-App-Verkauf oder auch sogenannte Umbrella-Apps einsetzen.

W&V: Sie bezweifeln, dass sich neben Apple ein E-Reader-Markt für Bücher in Deutschland entwickeln wird. Was veranlasst Sie zu dieser Annahme?

Lauff: Der E-Reader-Markt ist in Deutschland noch nicht erschlossen. Wir glauben: So wie er in den USA entstanden ist, wird er hier nicht mehr entstehen. Zum einen weil sich viele Nutzer für die universellen Geräte mit Farbdisplay und Multinutzen entscheiden werden, mit denen man viele Dinge tun kann, auch lesen. Zum anderen weil sich bei beiden Gattungen - der Kategorie iPad und der Kategorie klassischer E-Reader - eine technologische Konvergenz abzeichnet. Wir empfehlen den Zeitungsverlagen, in Sachen E-Reader schlicht abzuwarten - wobei nichts dagegen spricht, sie trotz ihrer geringen Verbreitung zu testen und für E-Books zu nutzen, also beispielsweise für zusammengefasste Serien aus den Zeitungen.

W&V: Abgesehen von den technischen Voraussetzungen geht es um die Präsentation der Inhalte. Und da hat zum Beispiel der Test der Frankfurter Rundschau auf dem Sony E-Reader vieles zu wünschen übriggelassen. Was muss eine App bieten, damit sie zündet?

Die prophetische Weisheit der Nutzer

Lauff: Klar, das war auch ganz früh und auf einem Gerät, das heute schon wie von vorgestern wirkt. Mal etwas grundsätzlicher: Es kann ganz unterschiedliche Angebote geben. Da ist zunächst die angereicherte Faksimile-Ausgabe der Zeitung, das komfortable PDF, für alle, die viel auf Reisen sind oder aus anderen Gründen die gedruckte Zeitung nicht bekommen können oder wollen. Da ist die mobile App, die die Sensoren der Geräte nutzt und ortsbezogene Dienste anbietet, bis hin zum Social Networking oder zum Couponing. Und da ist die kontemplative App, die eher in die Richtung der Zeitschrift geht, das lokale Wochenmagazin zum Beispiel, mit viel langem Lesestoff oder vielen Fotos.

W&V: Nutzer äußern in Studien, sie würden für Apps vor allem dann bezahlen, wenn sie keine Werbebanner enthalten. Wie sollen Verlage mit dieser Info umgehen?

Lauff: Die prophetische Weisheit von Nutzern zur Akzeptanz künftiger Angebote auf zum Umfragezeitpunkt nicht-existenten Geräten ist nach meiner Meinung nur wenig ausgeprägt. Die Verlage werden jetzt Produkte entwickeln, Preise festlegen und unterschiedliche, vor allem neue Formen von Werbung testen. Wir werden das dann mit Marktforschung unter realen Bedingungen begleiten. Dann wissen wir mehr.

W&V: Den Vertrieb von E-Papern über Kioske wie Zinio, Newspush oder Press Reader halten Sie nicht für das Nonplusultra. Woran hapert es dabei?

Lauff: Sie decken nur einen Teil der Möglichkeiten ab. Natürlich kann man PDFs darüber verbreiten. Allerdings muss man in jedem Fall abwägen: In welchem Umfeld bin ich da? Wie groß ist die Marketingkraft des Umbrella-Betreibers? Für Apps in allen anderen Ausprägungen sind diese Dach-Applikationen aber kaum geeignet. Und das sehen selbst die so, die jetzt Inhalte über Zinio & Co. verbreiten.

W&V: Was ist der bessere Ansatz - vorhandene Inhalte für die neuen Kanäle aufzubereiten oder sich völlig neue Inhalte für möglicherweise eine Vielzahl von Anwendungen zu überlegen? So schlägt etwa The Scoop von der New York Times dem User ausgehend von seinem jeweiligen Standort Plätze vor, die es wert sind, besucht zu werden.

Lauff: Wir raten den Verlagen, an alles zu denken, was in ihrem Verbreitungsgebiet von Interesse sein könnte. Dazu gehört zwar auch, zu berücksichtigen, welcher Inhalt im Medienhaus bereits vorhanden ist, zum Beispiel Videos, Audio, Fotos, Artikelserien, Veranstaltungsdaten, Internet-Foren. Aber wir raten nicht dazu, vom Gedanken der Zweitverwertung und von vorhandenen Produktions-Infrastrukturen auszugehen. Das iPad & Co. sind zunächst mal Chancen zur Diversifizierung. More of the same würde den etablierten Produkten wahrscheinlich sogar schaden.

W&V: Welche der entstehenden Plattformen in Deutschland - Telekom oder Bertelsmann/dpv - halten Sie für die vielversprechendste, um gegen den Apple-Store antreten zu können? Was müssen sie idealerweise können?

Lauff: "Gegen Apple" treten die genau genommen nicht an. Apple ist auf das Betriebssystem iOS konzentriert. Die neuen Stores werden aber umfassend tätig werden, auch für Android, Windows Phone 7, das Blackberry-System und andere. Wichtig ist zunächst, dass die neuen Plattformen von den Nutzern akzeptiert werden. Dazu gehören einfache Bedienung, automatische Updates und viel Service. Solche Stores müssen es schaffen, zur ersten Adresse zu werden, nicht nur in Sachen Apps, sondern auch im Hinblick auf Musik, Videos, Hörbücher und die PDF-Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften. Für Empfehlungen zu den neuen Stores wäre es noch viel zu früh; wir führen demnächst Gespräche dazu.

W&V: Es gibt Stimmen, die davon ausgehen, dass geschlossene App-Systeme wie Apple schon bald veraltet sein werden und ersetzt würden durch freie, mobile Internet-Anwendungen. Wie werten Sie diese Aussage?

Lauff: Da müssen wir unterscheiden. HTML5 plus H.264 für Videos wird sicher zum Standard im mobilen Browser. Aber wer mobile Geräte wie das iPad programmiertechnisch voll nutzen will, braucht Hochsprachen, die die geräteeigenen Routinen aufrufen, die Sensoren ansteuern und Datenbankfunktionalität bereitstellen. Apps sind also nicht etwa schon wieder überholt; wir fangen gerade erst an, sie richtig zu verwenden.

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