Crystal Meth, Besuch im Puff, Metal-Konzert: Für solche Fälle hat das ZDF im Tochterkanal ZDF-Neo Manuel Möglich angeheuert. Er ist Reporter für die Sendung Wild Germany und geht als solcher dorthin, wo das Mainzelmännchen nicht reinkommen würde, oder, um mit einem lebensklugen Mann namens Karate-Tommy aus der Folge "Reeperbahn" zu sprechen, "ein Ding reingehaun" bekommen würde. Am Anfang seiner Sendung sagt Möglich: "Ich bin Manuel, Anfang 30 und lebe in Berlin." Das ist eine schöne Bewerbung für das ZDF, das viel zu oft ein Sender von, für und mit Senioren ist. Wild Germany ist eine Bereicherung angesichts des deprimierenden Breies, der sonst so ganz grundsätzlich aus dem Fernseher tropft.
Manuel Möglich gemeinsam mit Lamborghini-Klaus, auch bekannt als der schöne Klaus.
(Foto: Julius Theis)Die Sendung folgt wenigstens zum Teil einem alten Konzept, nämlich dem des Boulevard-Journalismus: Berichtet wird weniger, was wichtig ist, sondern, wie der ZDF-Neo-Zuschauer sagen würde, was "krass" ist. Gegen dieses Prinzip ist nichts zu sagen, vor allem dann nicht, wenn tatsächlich etwas Krasses gezeigt wird. Das amerikanische Medienimperium Vice, für das Möglich auch arbeitet, macht erfolgreich vor, wie das geht: Vice "Auf der Suche nach Al-Qaida", "Im Nordkoreanischen Straflager", etc. Es ist ein gratis erhältliches, gedrucktes und auch im Netz veröffentlichtes Panoptikum sehr vieler Scheußlichkeiten des Planeten Erde.
Das ZDF möchte auf deutschem Level mithalten und hat das in vielen Folgen Wild Germany auch bereits gut gemacht. Das ist umso bemerkenswerter, als sich wilde Themen im zahmen Deutschland eher schwer finden lassen.
Am Donnerstagabend startet bei ZDF-Neo die dritte Staffel. In ihrer ersten Folge besucht Manuel Möglich die Reeperbahn. Er trifft dort mehrere Abteilungsleiter für Prostitution und Menschenhandel. Einer von ihnen ist der LKA-Beamte Jörn Blicke, der führt den Titel sogar offiziell. Die anderen heißen Lamborghini-Klaus oder kurz Anke, und sie arbeiten oder arbeiteten zwar im selben Bereich wie der Polizist, aber mit anderer Zielsetzung. "Mit 20 bin ich nach St Pauli gekommen, wurde dann Geschäftsführer nach ein paar Monaten und hab' dann auch zwei Freundinnen gehabt", erinnert sich Klaus zitternd und pleite, an die gute alte Zeit der Achtziger. Auf dem Kiez galt er einst als der schönste aller Zuhälter.
Und dann ist da noch Tina aus dem Haus La Rouge, die macht, was Frauen im Puff halt so machen. Sie zeigt Manuel "unseren schönen Airbrush", ein unbeschreibliches Wandgemälde, und sagt, dass sie ihre Einnahmen komplett behalten darf. Erkenntnisgewinn darüber hinaus vor einer Art Gymnastikgerät im Sadomaso-Studio des Bordells: "Manche wollen Spaß im Bett, man kann auch mittendrin sagen, okay, wir gehen aufs Bett, oder so."
"Ich hatte das Gehirn von Klaus auf dem Kopf"
In diesem obskuren Kabinett sind ausgerechnet der LKA-Beamte und der Reporter am komischsten. Der eine erklärt sehr ernst, dass prügelnde Bandenmitglieder "hochkriminelle Leute" gewesen seien, der andere sagt Sätze wie: "Ich möchte mit Frauen sprechen, die ihren Körper verkaufen, um in Erfahrung zu bringen, wie sie das aktuelle Milieu erleben."
Aber jene Frauen, von denen man ahnt, dass sie leiden, die Prostituierten am Straßenstrich, die ihre Arbeit wohl kaum freiwillig machen, die wollen sich nicht vor einer ZDF-Kamera unterhalten. Möglich moderiert sie in ein, zwei Sätzen aus dem Off ab. Dabei wäre diese Begegnung das gewesen, was der Reporter suchte: böse und traurig und unbekannt, Wild Germany eben, wie es jetzt im Moment existiert.
Stattdessen ist die Reeperbahn-Folge ein netter Abgesang auf den brutalen, reichen Proletenkiez, den es seit Jahrzehnten nicht mehr gibt. Einschalten lohnt sich dennoch. Wo sonst formuliert jemand im öffentlich-rechtlichen Warmwasserbecken zum Thema Schießerei im Eros-Center Sätze wie diesen: "Ich hatte das Gehirn von Klaus auf dem Kopf"? Leider nirgendwo.
Wild Germany, ZDF Neo, immer donnerstags, 23 Uhr.