Wiener "Tatort":Wer scheitert, ist selbst schuld

Tatort: Schock

Die Versprechen der modernen Leistungsgesellschaft dekonstruieren: Das ist das Ziel des Geiselnehmers David Frank (Aaron Karl).

(Foto: dpa)

Im Wiener "Tatort" rechnet ein Student mit den Misständen des Bildungssystems ab, doch die Kritik läuft ins Leere. Die Nachlese.

Kolumne von Luise Checchin

Die Erkenntnis:

Was passiert, wenn man einer Generation erzählt, ihr stünden alle Möglichkeiten offen, und sich dann herausstellt, dass das nicht stimmt? Dieser Tatort ist eine Desillusionierungsgeschichte. Anschauungsobjekt ist die sogenannte "Generation Y", deren aufklärerischer Gestus sich aber an alle richtet. Wir leben in einer Gesellschaft, so die Botschaft, deren Bedingungen immer prekärer werden und die gleichzeitig vorgibt, jeder könne erfolgreich sein, wenn er sich nur anstrenge. Wer scheitert - und irgendwer muss ja scheitern in einem System, das auf Konkurrenz basiert -, ist selbst Schuld und zerbricht im schlimmsten Fall daran.

Darum geht es:

Der Medizinstudent David Frank droht in einem Internetvideo damit, sich und seine Eltern - ein preisgekrönter Mathematiker und eine prominente Rechtsanwältin - töten zu wollen. Grund für die Geiselnahme: Davids Freundin Amina hat sich vor Kurzem das Leben genommen, weil sie offenbar den Leistungsdruck an der Universität nicht mehr ertrug. Gegen dieses System will David nun mit seiner symbolischen Aktion ankämpfen. Eine Sonderkommission unter der Leitung von Oberstleutnant Moritz Eisner und Majorin Bibi Fellner versucht, ihn aufzuspüren und die Geiseln zu befreien. Nach und nach stoßen sie auf eine radikale Soziologieprofessorin, ein linkes Aktivistennetzwerk und nicht zuletzt auf Eisners Tochter, die anscheinend alle irgendwie in den Fall verwickelt sind.

Bezeichnender Dialog:

Auch dieser Tatort ist einer mit Familienanschluss. Oberstleutnant Eisner sieht sich gezwungen, seine Tochter Claudia festzunehmen, als er herausfindet, dass ihr Freund Kerem den Geiselnehmer bei seiner Aktion unterstützt hat. Zur Aufklärung des Falles kann Claudia wenig beitragen, dafür aber gibt sie Eisner in der Vernehmungszelle eine kleine Einführung in die Lebensrealität ihrer Generation:

Moritz Eisner: Warum habt's ihr alle so einen Druck?

Claudia Eisner: Was, ernsthaft jetzt?

Moritz Eisner: Ja.

Claudia Eisner: Papa, weißt du, was mein Professor in der ersten Vorbereitungsstunde für die Diplomprüfung gemacht hat? Stellt sich vorne hin und lässt den Blick ganz langsam über die Reihen schweifen. Wir haben alle geglaubt, jetzt verkündet er die Weltformel, aber dann sagt er: 'Sehen Sie bitte zu ihren Sitznachbarn, erst nach links, dann nach rechts.' Und nachdem alle das gemacht haben, sagt er: 'Mindestens einer von den beiden, die Sie jetzt sehen, wird die Prüfung nicht schaffen. Herrschaften, wir haben Drop-Outs von bis zu 90 Prozent und das ist auch gut so. Wir brauchen nicht jeden. Schminken Sie sich Ihre Erwartungen ab.'

Die Idee ist gut... :

Geiselnehmer David Frank möchte die Versprechen der modernen Leistungsgesellschaft dekonstruieren und zu Beginn schaut man ihm gar nicht ungern dabei zu. Das liegt vor allem daran, dass David die Gesellschaft, gegen die er rebellieren will, gleich doppelt entlarvt. Er ist der Polizei immer mindestens einen Schritt voraus, inhaltlich wie technisch. Per Live-Stream verkündet er seine Proseminar-Soziologie-Thesen, während die Polizei ziemlich hilflos versucht, ihn zu orten. Und genau diese Hilflosigkeit dokumentiert er, indem er die Ermittler etwa anhand einer gehackten Überwachungskamera bei ihren Recherchen filmt. Eine Generation lehnt sich mit ihren eigenen Mitteln gegen die Verhältnisse auf - bis zu einem bestimmten Punkt funktioniert dieser Ansatz.

... doch der Tatort noch nicht bereit:

Je mehr man allerdings über die Motivation Davids erfährt, desto weniger mag man der These der ausgebrannten Generation folgen. Die Tatort-Macher möchten strukturelle und generationsspezifische Probleme darstellen, die als so normal gelten, dass sie kaum jemand mehr wahrnimmt. David und Amina aber stehen für zwei Einzelfälle, die nicht gerade repräsentativ sind. Aminas Leistungsdruck kam, wie man nach und nach erfährt, vor allem von ihrem marokkanischen Vater, der ihr als Frau ein Studium nicht zutraute. David wiederum leidet unter den Erwartungen eines genialen Vaters. Er zeigt also eher Anzeichen eines Klaus-Mann-Komplexes denn die Folgeschäden eines fehlgeleiteten Bildungssystems. Die Normalität, die hier angeprangert werden soll, wird nur behauptet und nicht vorgeführt. So muss jede Kritik an Misständen - sei sie nun gerechtfertigt oder nicht - ins Leere laufen.

Schlusspointe:

Ins Leere läuft auch die gesamte Dramaturgie dieses Tatorts. Es ist schon erstaunlich, wie wenig spannend der Showdown der Geiselnahme daherkommt. Das liegt auch daran, dass die Geiseln gar nicht gezeigt werden, man bangt nicht um sie, sie sind einem als Zuschauer ziemlich egal. Als David am Ende von der Polizei erschossen wird, weil er die Pistole auf Ermittlerin Bibi Fellner richtet, ist man hauptsächlich froh, dass nun seine Vortragsreihe, die auf Dauer doch etwas zum Altklugen tendierte, vorüber ist.

Die besten Zuschauerkommentare:

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