Werbung im Netz:Sponsor an Bord

Werbung im Netz: "#Sitzheizung" heißt eine der Opel-lastigen Episoden der dritten Staffel von Der Lack ist ab, in der Hanna (Bettina Zimmermann, Mitte) und Tom (Kai Wiesinger, rechts) samt Anhang ins Auto flüchten, weil zu Hause die Heizung ausgefallen ist. Cafés, Nachbarn oder Freunde gibt es an ihrem Wohnort offenbar nicht.

"#Sitzheizung" heißt eine der Opel-lastigen Episoden der dritten Staffel von Der Lack ist ab, in der Hanna (Bettina Zimmermann, Mitte) und Tom (Kai Wiesinger, rechts) samt Anhang ins Auto flüchten, weil zu Hause die Heizung ausgefallen ist. Cafés, Nachbarn oder Freunde gibt es an ihrem Wohnort offenbar nicht.

(Foto: Sat1.de)

Webvideoserien wie "Der Lack ist ab" und "Lucie Marshall" integrieren Reklame in die Handlung. Zukunftsmodell? Sittenverfall? Oder beides?

Von Michael Moorstedt

Es dauert genau zehn Sekunden, bis die drei bösen Wörter auftauchen. "Unterstützt durch Produktplatzierungen", heißt es am unteren Bildrand, sobald die kürzlich online gestellten neuen Folgen der dritten Staffel von Kai Wiesingers für Sat1.de produzierter Webvideoserie Der Lack ist ab anlaufen. Man hätte es wohl auch ohne den Hinweis erraten, dauert es darin doch nie lange, bis ein Fahrzeug der Marke Opel auftaucht. Der Autohersteller firmiert als exklusiver Sponsor.

Ähnlich wie Opel geht die VW-Tochter Škoda bei der Webvideoserie Lucie Marshall vor, in der die Schauspielerin und Bloggerin Tanya Neufeldt eine Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs gibt. In deutschen Mediaplanungsagenturen scheint man noch immer der Ansicht zu sein, dass ein neues Auto jegliche Lebenskrise lösen kann. Die Mittvierziger-Prämissen beider Serien rund um untervögelte Eltern und renitente Kinder kommen jedenfalls an beim Publikum. Ein paar Millionen Aufrufe erhält jede Folge von Der Lack ist ab. Bezogen auf Drehbuch und Schauspiel sind die beiden Produktionen solides Mittelmaß, die Art und Weise ihrer Finanzierung ist dagegen aber beinahe Avantgarde.

Für Wiesinger ist das Seriensponsoring sogar ein Zukunftsmodell für die gesamte Kreativbranche. Diese Botschaft verbreitet der Hauptdarsteller, Autor, Regisseur und Produzent von Der Lack ist ab auf Branchenveranstaltungen. Anstatt sich mit verkrusteten Redakteuren auseinandersetzen oder sich bei Filmförderungsfonds einschleimen zu müssen, hört er sich lieber die Angebote aus der freien Wirtschaft an. Schneller und - ausgerechnet - unabhängiger könne man so arbeiten. Überhaupt sei es auch für die Zuschauer selbst von Vorteil, die blieben doch immerhin von Werbepausen verschont.

Weil die Serien nicht im Fernsehen, sondern nur im Internet auf Portalen wie freundin.de, Vimeo oder eben Sat1.de laufen, greifen die strengen Regeln des Rundfunkstaatsvertrags nicht. Aber auch für "fernsehähnliche Telemedien" hat das Dokument ein paar Regeln parat. Grob gesagt ist vieles erlaubt, solange die Werbung nur als solche gekennzeichnet ist. Die Kür wäre es nun, die Markenbotschaften auch halbwegs elegant zu verpacken.

Das gelingt, freundlich ausgedrückt, beiden Serien nur so mittelprächtig. Das stets perfekt polierte Auto wird schon mal zum alleinigen Spielort. Es wird zuweilen so penetrant inszeniert und dabei gern auch ausgiebig von außen gefilmt, dass sich die Frage, was zuerst da war, das Produkt oder der Plot, gar nicht mehr stellt. Wenn es darum geht, wie toll die Sitzheizung der angepriesenen Karre ist, stößt halt selbst einer wie Wiesinger an kreative Grenzen. Dann gibt es wiederum auch Folgen, in denen das Auto kaum oder gar nicht auftaucht.

In "Der Lack ist ab" tauchten auch schon eine Baumarktkette und ein Mobilfunkanbieter prominent auf

Der Schauspieler hat Erfahrung mit der Einbindung von Marken. In den beiden vorherigen Staffeln von Der Lack ist ab tauchten neben Opel auch eine Baumarktkette und ein Mobilfunkanbieter an prominenter Stelle auf. Dass Wiesingers Produktionsfirma Phantomfilm auch noch herkömmliche Werbespots für die Sponsoren dreht, ist dann nur noch ein weiterer willkommener Synergieeffekt.

"Auf den unterschiedlichen Social Media- und Internet-Plattformen erreichen wir viele potenzielle Kunden, die mit klassischer Werbung kaum auf uns aufmerksam würden", erklärt Opel-Marketingchefin Tina Müller das Engagement. Denn genau hier liegt das Problem. Werbung in herkömmlicher Form, verabreicht in Blöcken, Spots und Jingles, wird geblockt, weggeklickt oder schlichtweg ignoriert. In der Hoffnung auf neue Impulse stiftete der Konzern auf dem diesjährigen Münchner Filmfest zum ersten Mal einen hochdotierten Preis für Nachwuchswerbefilmer.

Es ist eine Entwicklung, von der man halten kann, was man will. Jedenfalls ist sie vor allem konsequent. Jede halbwegs größere Firma, vom schwäbischen Mittelständler bis zum Hidden Champion, leistet sich ja inzwischen ein eigenes Unternehmens- oder Kundenmagazin. Große Marken haben alleine ein Print-Portfolio, das so manches Zeitschriftenregal füllen könnte. Nach Corporate Publishing kommt jetzt halt auch noch Corporate Fiction.

Für den deutschen Markt mag Wiesinger ein Vorreiter sein; in den USA sind Branded Web Series, auch Branded Entertainment genannt, bereits seit einigen Jahren gang und gäbe. Schon vor zehn Jahren hat etwa Axe eine hemdsärmelige Anmacher-Show auf MTV lanciert. Von der Fastfood-Kette Chipotle über Ikea bis hin zu einem biederen Versicherungskonzern: Jeder stellt inzwischen seine eigenen Geschichten auf Youtube und andere Videoportale. Das Niveau der Produktionen steigt stetig. Nike etwa leistet sich für seine Serie Darsteller und Regisseure, die schon in hochgelobten Produktionen wie Orange is the New Black, Girls oder Glee mitgewirkt haben. Eigentlich aber ist das Konzept sogar noch viel älter. Woher kommt denn wohl der Begriff der Soap Opera? Schon in den 1930er Jahren vermarkteten Putzmittelhersteller ihre Produkte durch seichte Unterhaltung.

Das überwiegend junge Publikum im Web steht dem Kommerz recht unkritisch gegenüber

Dass diese Entwicklung nun aber ausgerechnet auf den Videoportalen des Internet ihren vorläufigen Höhepunkt findet, ist eigentlich paradox. Immerhin war das Web 2.0 ja vor etwas mehr als zehn Jahren mit dem Versprechen angetreten, den vermeintlich käuflichen herkömmlichen Medien zu zeigen, wie man glaubwürdige Inhalte herstellt. Dieses Ideal, sollte sich bald herausstellen, war schneller passé, als man "Content Marketing" sagen kann. Die PR-Abteilungen der Konzerne beobachteten genau, dass hier Kanäle entstehen, die Unabhängigkeit suggerieren - und schickten eifrig Testmuster ins Land.

Heutzutage sind mitunter die erfolgreichsten Kanäle kaum mehr als Dauerwerbesendungen. Dem überwiegend jungen Publikum ist das übrigens schnurz. Es steht dem Kommerz recht unkritisch gegenüber, mit Einschränkungen. Während glatte Reklamebotschaften mit reiner Verkaufsabsicht, also herkömmliche Werbespots, eher abgelehnt werden, ist man gegenüber integrierten Markeninhalten mehr und mehr aufgeschlossen, wenn sie klar identifizierbar sind - und zudem einen Mehrwert für das eigene Leben bieten. Ob das jetzt Schminktipps oder Sitzheizungswitze sind, scheint dabei fast egal.

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