"Weissensee":Die wiedergefundene Zeit

In der vierten Staffel erreicht die DDR-Familien-Saga das Jahr 1990. Die Räume für eine deutsch-deutsche Annäherung schuf Szenenbildner Frank Godt, Spezialist fürs Ost-Gefühl.

Von David Denk

Die Promittas hatte nie ein Büro hier in Berlin-Köpenick - bis Frank Godt mit seiner Mannschaft anrückte. Denn die westdeutsche Versicherungsgesellschaft, die nach der Wende 1989 in den Osten einfällt, hat es so nie gegeben. Sie ist eine (realitätsnahe) Fiktion, für die vierte Staffel von Weissensee erfunden von Autor und Regisseur Friedemann Fromm - und von Szenenbildner Godt, dessen Aufgabe es war, Serien-Fiesling Falk Kupfer (Jörg Hartmann) im Verwaltungsgebäude einer stillgelegten fotochemischen Fabrik ein neues Büro zu verschaffen - Schweizer Stahlrohr statt VEB Möbelkombinat. Von der Versicherung engagiert wurde er nicht trotz seiner Stasi-Vergangenheit, sondern wegen ihr. Falk Kupfer bleibt der Mann fürs Grobe, so anpassungsfähig wie -willig. "Wenn du nicht gewinnst, bist du ein Verlierer", sagt er zu seinem neuen Chef. "Und wer will das schon sein?"

Mehr als 140 Motive haben Godt und seine Mannschaft für die vierte Staffel von Weissensee gebaut oder zumindest eingerichtet. "Die Aufgabe des Szenenbilds ist es", sagt der gelernte Schreiner und studierte Bühnentechniker, "teilweise aus dem Nichts Welten zu erschaffen, in denen sich die Schauspieler dann mit größtmöglicher Selbstverständlichkeit bewegen können." Ohne Szenenbild kein Film, kein Fernsehen - Godts Arbeit ist von elementarer Bedeutung für das Medium, das vom Zusammenspiel der Gewerke lebt. Doch manche von ihnen bekommen mehr Aufmerksamkeit als andere. Die Regie, dann vielleicht noch Drehbuch und Kamera - doch wie oft wird in Rezensionen das Szenenbild erwähnt oder die Kostüme? Da gibt es ein Aufmerksamkeitsdefizit, das dazu führt, dass bei der Verabredung mit Godt plötzlich auch Kostümbildnerin Monika Hinz, wie er von Anfang an dabei, mit am Tisch sitzt und Fragen beantwortet, die beiden nur selten gestellt werden.

Ausdauernde und genaue Recherche ist die Basis; Godt spricht von "Fleißarbeit"

Die vierte Staffel von Weissensee, in der sich einmal mehr Weltgeschichte im Schicksal der Ostberliner Kader-Familie Kupfer spiegelt, spielt 1990 und erzählt vom Um- und Aufbruch in dieser Zwischen-Zeit, von Kämpfen und Niederlagen: "Alles schien möglich, nichts war sicher" (Fromm). Für die Gewerke bedeutete das eine besondere Herausforderung, weil es galt, Einflüsse aus dem Westen mit der über drei Staffeln etablierten DDR-Welt zu einer glaubhaften Melange zu verbinden. "An die Wendezeit können sich die Zuschauer noch sehr genau erinnern", sagt Godt. "Je weiter du in der Geschichte zurückgehst, desto einfacher wird eigentlich mein Job." Und Hinz erzählt, wie sie drauf geachtet hat, dass kein Komparse in der PDS-Parteizentrale eine dieser Krawatten mit Paisley-Muster trägt, "die im Westen damals so beliebt waren - aber eben nur da." Vor einer historischen Produktion verbringt die studierte Modedesignerin Tage in der Münchner Kostümbibliothek, um ein Gefühl für die Zeit zu bekommen.

Genaue Recherche ist die Basis; Godt spricht von "Fleißarbeit": "Es ist ja nicht damit getan, drei Requisiten in einen leeren Raum zu stellen und dann wird gedreht. So denken aber leider viele Produzenten." Er muss etwa historische Tapeten auftreiben, Hinz freut sich über die neulich erstandene Rarität: eine DDR-Jeans. Für 70 Euro. "Wenn Moni reinkommt, werden die Preisschilder ausgetauscht", witzelt Godt. Auch er macht die Erfahrung, dass DDR-Relikte immer rarer werden und damit teurer: "Mittlerweile muss man richtig tief buddeln." Für Hinz müssen die Kostüme für die 73 Darsteller und 600 Komparsen aber nicht zwingend Originale sein. "Wenn in der Stasi-Ost-Jacke Bogner steht, ist das egal", sagt sie. "Hauptsache, beim Betrachten der Figur fühlt es sich authentisch an und nicht wie ein Klischee." Godt ist da strikter: Er orientiere sich eng an historischem Mobiliar, sagt er: "Diese Ost-Möbel-Serien sind ja unverkennbar."

Darüber hinaus tragen die Gewerke auch dem Wesen der Figuren und deren Häutungen Rechnung. Godt erinnert sich an einen von ihm ausgesuchten weißen Schrank mit spiegelglatter Hochglanzoberfläche in Falk Kupfers früherem Schlafzimmer und Hinz ergänzt: "In der aktuellen Staffel war Falk für mich zum ersten Mal ganz stumpf." Denn seine oberflächliche Härte kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er darunter leidet, nach einer Schussverletzung im Rollstuhl zu sitzen. "Falk kämpft psychisch wie physisch darum, wieder auf die Beine zu kommen", sagt Autor und Regisseur Fromm. "Mich hat es gereizt, eine Figur, die immer stark war, in eine Position der Schwäche zu bringen."

Mit Hinz und Godt verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit: Hinz lernte er 2003 bei der Reihe K3 - Kripo Hamburg kennen, Godt 2007 beim Dreiteiler Die Wölfe. Für das Dokudrama, mit seiner deutsch-deutschen Thematik eine Art Weissensee-Vorläufer, wurden Hinz und Godt 2009 mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie "Beste Ausstattung" geehrt. Seine DDR-Expertise eingebracht hat der gebürtige Lüneburger Godt zuletzt beim Dreiteiler Honigfrauen. Auch Hinz und Fromm stammen übrigens aus dem Westen: sie vom Bodensee, er aus Stuttgart.

Als Freiberufler verfolgen alle drei auch eigene Projekte, aber wann immer es passt, machen sie gemeinsame Sache. "Mich entlastet und entspannt das sehr", sagt Fromm, "weil ich weiß, dass die beiden wissen, wie ich denke." Er betrete oft morgens ein Set, "das ich noch nie vorher gesehen habe, einfach weil wir so straff durchgetaktet drehen", sagt er. "Umso unbedingter muss ich mich aufs Art-Department verlassen können." Die vertraute Zusammenarbeit sei "ein Geschenk, wie wenn du einen Lebenspartner findest und denkst: Das passt jetzt".

Monika Hinz kann man mit solchen Vergleichen jagen. Oder "Filmfamilie" - brrrr! Sie mag Fromm, geht auch gern mal einen Wein mit ihm trinken, und doch ist es ihr wichtig, "mich auch nach 15 Jahren bei jedem Projekt neu für eine Zusammenarbeit zu entscheiden - und nicht aus der Macht der Gewohnheit heraus. Ich will auch Nein sagen dürfen." Es könne ja durchaus passieren, dass man sich künstlerisch auseinanderentwickelt. Das ist der schmale Grat, auf dem Hinz und Godt balancieren, zwischen Unterordnung und Selbstbehauptung, Dienstleistung und Kunst.

Der Köpenicker Drehort, der frühere VEB Fotochemische Werke, hat die DDR überlebt - wenn auch mehr schlecht als recht. 2010 stellte Kodak den schon arg zurückgefahrenen Betrieb ganz ein. Große Teile des Areals wurden in Wohnungen umgewandelt - mit Eichenparkett und elektrisch steuerbaren Innenjalousien.

Weissensee, Das Erste, in Doppelfolgen bis Donnerstag, ab 20.15 Uhr.

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