ZDF-Film "Tief durchatmen - die Familie kommt":Eine Weihnachtsschnulze zum Davonlaufen

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Sie schrieb das Buch, jetzt spielt sie in der Verfilmung die Hauptrolle: Andrea Sawatzki als Gundula Bundschuh. (Foto: ZDF und NIK KONIETZNY)

Brennender Rotkohl, grausige Geschenke und familiäre Streitereien: Die ZDF-Schmonzette von und mit Andrea Sawatzki ist unerträglich vorhersehbar. Da hilft auch dem Zuschauer nur eins: tief durchatmen.

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In der Chaosforschung gibt es das Phänomen der "seltsamen Attraktoren". Es handelt sich um Gebilde mit einer komplizierten und scheinbar irregulären inneren geometrischen Struktur - schon bei kleinen Störungen von außen zeigt das System ein chaotisches Verhalten. Mithilfe von seltsamen Attraktoren versuchen Mathematiker, die Gesetzmäßigkeiten chaotischen Verhaltens in dynamischen Systemen zu erklären. Sorry, aber diese theoretische Einführung musste sein, um das Folgende auch nur ansatzweise begreifen zu können.

Aus Gründen, die noch nicht erforscht sind, unterwerfen sich Menschen in der Weihnachtszeit freiwillig bestimmten Ritualen, die zu Stress, Depressionen und Magenschmerzen führen können. Übermäßiger Konsum von Plätzchen und Glühwein sind da zu nennen, musikalische Folter in Supermärkten und auf Weihnachtsmärkten, tödliche Harmoniesucht beim quälend dissonanten Absingen von Weihnachtsliedern unter dem Christbaum.

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Die ZDF-Schnulze ist keine schöne Bescherung

Zu den gleichermaßen beliebten wie gefürchteten Weihnachtsritualen zählt auch, dass man sich rührselige Filme zusammen anschaut - Sachen wie Tatsächlich Liebe oder Liebe braucht keine Ferien. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen möchte da gerne mitrühren - und bietet um die Weihnachtszeit romantisch-chaotische Komödien nach deutscher Hausmacherart an.

Es gibt ja Geschenke, bei denen man an der Verpackung erkennt, dass man gleich Freude heucheln muss - in einem handflächengroßen, weichen Päckchen stecken immer hässliche Socken. Genauso ist es mit dem Weihnachtsfilm Tief durchatmen - die Familie kommt. Das Päckchen vom ZDF lässt schon ahnen, dass die Bescherung vielleicht ein bisschen unangenehm werden könnte.

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Andrea Sawatzki hat das gleichnamige Buch geschrieben, und sie spielt auch die Hauptrolle, die chaotische Gundula Bundschuh. Axel Milberg spielt Gundulas Gatten Gerald, der außer alten Schlagern nichts im Kopf hat. Günther Maria Halmer dackelt als dementer Großvater durchs Haus, Uwe Ochsenknecht hat eine Nebenrolle als Atemtherapeut.

Dazu stehen noch Gundulas hypochondrischer Bruder Hans-Dieter, dessen putzsüchtige, christliche Frau Rose, eine boshafte Schwiegermutter und die dominante Mutter auf der Gästeliste, die wie ein Katalog voller Klischee-Figuren wirkt. Nur der Hund verkörpert einen wirklich glaubhaften Charakter.

Wenig überraschend: der Hund frisst die Ente, der Rotkohl steht in Flammen

Jedes einzelne Familienmitglied der Bundschuhs ist also ein seltsamer Attraktor, der allein durch einen falschen Augenaufschlag einen Wirbelsturm auslösen kann - Chaosforscher sprechen vom Schmetterlingseffekt. Man muss nicht Quantenphysik und Psychologie studiert haben, um vorherzusagen, was in dieser Versuchsanordnung passieren wird.

Statt einer stillen, heiligen Nacht, wer hätte das gedacht, gibt es Tränen, Unfälle und Streit. Das programmierte Chaos verschärft Gundulas schwelende Ehekrise, und es befördert zudem gut gehütete Geheimnisse der Familie ans Tageslicht. Nach wenigen Filmminuten sind alle am Rand eines Nervenzusammenbruchs, Zuschauer inklusive.

Tief durchatmen übererfüllt jegliche Erwartungen. Alles ist absehbar: In dem Moment, in dem jemand die rohen Bio-Enten im Keller in ein Regal legt, weiß man: Der Hund wird sie auffressen. In dem Moment, in dem Gundula zu ihrem Gatten Gerald sagt: "Pass bitte auf den Rotkohl auf, dass er nicht anbrennt", ahnt man: Das Zeug wird anbrennen. Was könnte wohl in der länglichen Geschenkverpackung sein? Doch hoffentlich keine hässliche Krawatte? Überraschung, es ist eine hässliche Krawatte.

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Am Ende hilft nur noch eins: tief durchatmen

Die einen sagen ja, die Vorfreude sei das Schönste an Weihnachten. Die anderen sagen: Gähn. So, wie man mit relativ großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass am vierten Advent die vierte Kerze brennt, ist es auch mit solchen Weihnachtsfilmen. Erst ein Gag, dann zwei, dann drei, dann vier - dann steht aber immer noch keine überraschende Pointe vor der Tür.

Nicht mal Opi lacht, denn zum gemeinsamen Singen der Weihnachtslieder kommt es nicht. Nur am Schluss, das ist ein ungeschriebenes Gesetz in diesem Genre, lappt die Chaos-Komödie ins Dramatische, Moralische rein. Das ist so sicher wie das Amen in der Christmette. Dann hilft ein Tipp des Atemtherapeuten: Durchatmen.

Tief durchatmen - die Familie kommt, ZDF, 20.15 Uhr.

© SZ vom 21.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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