Süddeutsche Zeitung

WDR-Kinderchor-Leiter:"Dieses Ausmaß habe ich im Ansatz nicht erwartet"

Zeljo Davutovic hat mit dem WDR Kinderchor den Song "Meine Oma ist 'ne alte Umweltsau" aufgenommen. Ein Interview über ein Lied - und seine bedrohlichen Folgen.

Interview von Anna Ernst

Die Satire-Version des Kinderliederklassikers "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" hatte der Radiosender WDR 2 in Auftrag gegeben. Ein Autor der Redaktion hatte das Lied zuvor umgedichtet. Seit der Veröffentlichung des Videobeitrags auf Facebook stehen der Westdeutsche Rundfunk und auch der Chorleiter in der Kritik. Die Fragen zur aktuellen Aufregung hat Zeljo Davutovic per E-Mail beantwortet.

SZ: Wann genau wurde Ihnen klar, dass das Lied einen Shitstorm ausgelöst hat?

Zeljo Davutovic: Am Freitagabend war bei uns alles noch relativ ruhig und am Samstag entwickelte sich für uns das Thema in unerwartete Richtungen. Am Nachmittag war schließlich klar, dass das Thema bundesweit diskutiert werden würde.

Was ging Ihnen durch den Kopf dabei?

Da es für mich persönlich die erste Teilnahme an einer Satireproduktion war, ist es im Vorhinein schwierig gewesen, das genau einzuschätzen. Ich habe geglaubt, dass das Lied in der WDR-Satire-Ecke bleiben und auch in diesem Kontext diskutiert werden würde. Erwartet habe ich auch einige kritische Kommentare. Dieses Ausmaß habe ich im Ansatz nicht erwartet.

Der WDR Kinderchor ist ein Projekt für Kinder aus allen sozialen Schichten und Schulformen. Hätten Sie je gedacht, dass ein Kinderchor so polarisieren kann?

Es geht noch weiter. Wir haben es innerhalb des Chores mit einem kleinen Mikrokosmos der Gesellschaft zu tun. Kinder und Eltern sind in ihrer Zusammensetzung derart heterogen, dass ich als Musiker lernen musste, die unterschiedlichen Meinungen, Wünsche und Zielsetzungen unter einen Hut zu bekommen. Dass der Beitrag eines Kinderchores in der Breite so polarisieren kann, hätte ich nicht erwartet.

Was ist aus Ihrer Sicht falsch gelaufen?

Aus meiner Sicht gibt es kein klares Richtig oder Falsch in dieser Sache. Nachdem ich den parodierten Text gelesen hatte, war für mich ohne jeden Zweifel, dass mit der Textfigur "Oma" wir alle gemeint sind. Selbst die Jüngeren werden in einigen Jahren oder Jahrzehnten Großeltern sein und sich von Nachfolgegenerationen Fragen gefallen lassen müssen, die unbequemer sind. Der Text bringt die jüngere Generation genauso zum Nachdenken. Vielleicht ist es zu kompliziert, ein "um die Ecke denken" von allen zu erwarten. Ich kann mich an dieser Stelle auch nur bei allen entschuldigen, die den Text nicht als Satire anerkennen möchten. Eine Beleidigung ist weder von mir noch von den Kindern mit diesem Lied beabsichtigt.

Sie haben den Kindern und Eltern vor der Aufnahme erklärt, dass es um Satire geht und die Parodie überspitze. Gab es Kinder und Eltern, die nicht mitmachen wollten?

Es wurde den Kindern und Eltern freigestellt, bei der Produktion mitzumachen. Manche Familien haben sich sogar mit ihren Großeltern beraten. Einige Familien haben sich entschieden, dabei nicht mitzuwirken. Das Thema wurde jedoch während dieser Abfrage überhaupt nicht hochgekocht.

Haben Sie inzwischen mit den Kindern über die Reaktionen gesprochen?

Bedingt durch die Winterferien hatten wir noch keine Gelegenheit dazu. Mit den Eltern stehen wir regelmäßig im schriftlichen Austausch.

Die Reaktionen sind heftig - werden Sie auch persönlich angegriffen?

Die Drohungen können Sie offen im Internet lesen. Zum Beispiel ist die Facebookseite mit meinem Namen nur ein Fake. Es gibt persönliche Drohungen an mich und meine Mitarbeiter. Verschweigen möchte ich jedoch nicht, dass es auch konstruktive Kritik sowohl der Befürworter als auch der Satire-Gegner gibt.

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Quelle:
SZ vom 30.12.2019
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