Was ist los mit den Daily Soaps?:Das Prinzip Angst

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Daily Soaps waren eine feste Einrichtung im deutschen Fernsehen. Doch die Zuschauer schalten nicht mehr ein wie früher, die Sender setzen die Soaps ab oder reduzieren die Etats, die Schauspieler brauchen Nebenjobs. Spurensuche eines Abstiegs.

S. Seiler

Dann eben Comedy, allein auf der Bühne, vor 300 Zuschauern in Mehrzweckhallen oder auf Theaterbühnen in Kellern. Das kann ein Plan B sein, wenn man als Schauspieler bei einer Fernsehsoap angestellt ist und die Produktionsfirma plötzlich den Sparkurs einschlägt.

Telenovelas und Soaps
:Schnulzen am Nachmittag

"Anna und die Liebe", "Bianca - Wege zum Glück" oder "Gute Zeiten, schlechte Zeiten": Nachmittags schnulzt ddas Fernsehen im Serienhimmel. Das Ganze4 ist nahrhaft wie Zuckerwatte.

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Stefan Bockelmann, 34, ist lange dabei. Seit 2001 spielt er die Figur Malte Winter in der RTL-Seifenoper Unter Uns, einen trockenen Alkoholiker auf der Suche nach seinem Platz in der Gesellschaft. Durchschnittlich 2,2 Millionen Deutsche schauen sich das und Bockelmann täglich an, Montag bis Freitag, 17.30 Uhr. Für sie ist Bockelmann ein Star, für alle anderen eher ein D-Promi.

Für seine Produktionsfirma Grundy Ufa ist Bockelmann ein Kostenfaktor. Deshalb braucht er jetzt einen Plan B, deshalb studiert er seit Wochen eine "One-Man-Comedyshow" ein. Worum es da gehen soll? Um seine Erfahrungen als Soap-Schauspieler.

Bockelmann und die gesamte Soapbranche hatten gute Zeiten, vor allem in den Neunzigern, als Werbekunden und TV-Manager mit Soaps reibungslose Geschäfte machten und das Publikum die tägliche Endlosware gierig verschlang. Man wusste, was einen erwartet: drei Handlungsstränge pro Folge, also eine Liebesgeschichte, ein zwischenmenschliches Drama und etwas Amüsantes. So ist es bei Unter Uns, Verbotene Liebe, beim Marienhof (beide ARD), bei Alles was zählt und auch beim Klassiker der deutschen Soap, Gute Zeiten, schlechte Zeiten (beide RTL). 4,55 Millionen Zuschauer erreichte GZSZ im Jahr 2000 wochentags. 2010 waren es 3,61 Millionen, eine Million weniger. Wo sind die fast 25 Prozent hin? Und warum sind die weg?

Sicher, die Marktanteile der meisten Seifenopern liegen immer noch über dem, was sonst zu der Tageszeit ausprobiert und gesendet wird. Doch es hat sich etwas geändert. Im Dezember entschieden die ARD-Intendanten, die zweitälteste deutsche Soap, Marienhof, einzustellen. Im Mai wird nach fast neunzehn Jahren die letzte Folge ausgestrahlt. Dafür soll Verbotene Liebe von 23 auf 43 Minuten ausgedehnt und "telenoveliger" werden, was bedeutet: noch mehr Herzschmerz.

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Matthias Esche, 59, Geschäftsführer der Bavaria Film, hatte um die Bavaria-Produktion Marienhof gekämpft, obwohl der Marienhof 2010 nur noch durchschnittlich 8,6 Prozent der Zuschauer interessierte. Esche behauptet: "Wir hatten den Abwärtstrend gestoppt und Hoffnung, wieder zuzulegen." Der Vorabend werde immer mehr zur "Todeszone". Eine Soap habe nicht mehr die frühere Bedeutung, "und die Wirtschaftlichkeit wird immer wichtiger. Auch aus Imagegründen lässt heute keiner mehr eine Soap produzieren".

Wie es um die Soap steht, erfuhr Stefan Bockelmann vor zwei Jahren. Unter Uns war laut Produktionsfirma Grundy Ufa schon vor der Wirtschaftskrise nicht profitabel. Als die Werbeeinnahmen 2009 wegbrachen, stand die Serie um die Bewohner eines Kölner Wohnhauses vor dem Ende. Unter Uns könne nur weiterlaufen, so sollen das die RTL- und Grundy-Leute den beinahe 100 Mitarbeitern mitgeteilt haben, wenn 20 Prozent der Kosten eingespart würden.

Bockelmann und seine Kollegen drehen seither acht statt wie bisher fünf Folgen in der Woche. Dadurch kommt nicht mehr heraus als sonst, aber es entsteht in nur acht Monaten. Die übrigen vier Monate sind unbezahlte Freizeit für alle - die Autoren ausgenommen. Bockelmann verfügt folglich nur noch über zwei Drittel seiner alten Gage. An Arbeitstagen springt er nun von 8 bis 18.30 Uhr zwischen den drei Sets von Unter Uns auf dem Studiogelände in Köln-Ossendorf hin und her, dreht bis zu 14 Szenen.

Angeblich verdienen Hauptdarsteller einer Soap monatlich zwischen 8000 und 10.000 Euro. Das ist nicht wenig, doch eine 33-prozentige Gehaltskürzung reißt Lücken im privaten Haushalt. Stefan Bockelmann, Vater von zwei Kindern, sucht nach alternativen Einkommensmöglichkeiten. "Fast alle hier machen das", sagt er, "heute kann man froh sein, überhaupt einen Job zu haben." Andere Soap-Darsteller sprechen vom gelebten Angstprinzip. Dabei gibt es sehr viele Schauspieler, denen es schlechter geht.

Maya Götz, 43, leitet das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen in München, das dem Bayerischen Rundfunk angeschlossen ist. Sie hat promoviert und eine wissenschaftliche Perspektive auf Soaps. "Tägliche Serien verlieren an Bedeutung", sagt sie. Um 2000 sei über GZSZ, Unter Uns und Verbotene Liebe auf Schulhöfen gesprochen worden, Soaps seien bei 70 Prozent der Mädchen das Thema gewesen. 2010 unterhielt sich eine vergleichbare Anzahl lieber über Castingshows.

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Eine Analyse des Sehverhaltens von zehn- bis 15-jährigen Mädchen ergab vor elf Jahren, dass 44 GZSZ-Folgen unter den 50 meistgesehenen Sendungen eines Halbjahres waren. Im Vergleichshalbjahr 2010 war überhaupt keine Soap mehr in den Top 50 vertreten, stattdessen Topmodel (Pro Sieben), Deutschland sucht den Superstar (RTL) und ein paar Filme. "Castingshow-Helden sind gefühlsmäßig näher dran an den Zuschauerinnen", sagt Götz, "sie bieten ein größeres Identifikationspotenzial und damit den besseren Gesprächsstoff."

Seit 2006 machen die Telenovelas, beispielsweise Sturm der Liebe (ARD) oder Anna und die Liebe (Sat1), den Soaps Konkurrenz. Telenovelas haben keine drei parallelen Handlungsstränge, sie konzentrieren sich auf die Liebesmühen der Aktricen. Die Geschichten sind nicht endlos, sondern abgeschlossen wie ein Roman. Dadurch entstehe eine größere Zuschauerbindung, erklärt Götz.

Neuerdings bereiten auch Familiendramen wie Mitten im Leben (RTL) den Soaps Probleme. Laien stellen Wutanfälle und Zusammenbrüche nach. Man fragt sich, was flacher ist: die konstruierten Geschichten oder die haarsträubenden Dialoge. Scripted Reality heißen diese Formate. Mit Schauspielerei haben sie wenig zu tun, TV-Manager setzen dennoch auf sie. Denn Scripted Reality erzielt vergleichbare Einschaltquoten wie eine Soap, ist aber wesentlich preiswerter herzustellen. Die Produktion einer Seifenopernfolge soll zwischen 70.000 bis 90.000 Euro kosten, Scripted Reality weniger als die Hälfte.

Guido Reinhardt, 43, ist Produzent bei der Grundy Ufa. Eigentlich müsste er zufrieden sein. Durch das Marienhof-Aus ist die zu Bertelsmann zählende Grundy Monopolist unter den Soap-Produzenten. GZSZ, Unter Uns, Verbotene Liebe oder Alles was zählt, alle verbliebenen Seifenopern werden dort fabriziert. Trotzdem zweifelt Reinhardt: "Früher haben wir mit täglichen Serien bei allen TV-Managern offene Türen eingerannt. Das ist vorbei. Momentan wird in den Sendern eher kurzfristig gedacht."

Scripted Reality mag Reinhardt gar nicht. Er meint, dass die Zuschauerbindung beim Daily Drama, wie er die Soap nennt, größer sei. Wer erinnere sich denn an eine einzelne Geschichte oder eine Figur aus Mitten im Leben (RTL)? "Diese Formate sind alle austauschbar." Aus Qualitätsgründen wolle die Grundy "zunächst" keine Scripted Reality produzieren. Wie lange das gilt, kann Reinhardt nicht sagen. Er weiß, wie schnell aus wirtschaftlicher Freiheit wirtschaftlicher Zwang werden kann.

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Er habe die Kürzungen bei Unter Uns angeordnet, um die Serie zu retten, sagt er. Es wird nicht nur bei den Personalkosten gespart, sondern auch bei allen Außendrehs. Gleichzeitig investierte Reinhardt ins kreative Geschäft, stellte sechs neue Autoren ein. Die Geschichten, meint er, seien nun "wieder packender, gesellschaftsrelevanter". Die Zuschauerzahlen von Unter Uns seien um 1,5 Prozent gestiegen: "Einsparungen müssen also nicht automatisch eine Verschlechterung der Qualität bedeuten."

Das ist Betriebswirtschaft, die ankommt. Reinhardt wurde bereits von Sendern gefragt, ob er nicht auch andere Soaps günstiger produzieren könne. "Ich argumentiere dann, dass solche Einsparungen nur bei Unter Uns funktionieren. Bei Alles was zählt kann man weder aufs Eiskunstlaufen verzichten, noch in mehreren Studios gleichzeitig drehen, da alle Sets in einem Studio stehen."

Bavaria-Chef Matthias Esche glaubt weiter an die Daily Soap. Gerade wird auf dem Studiogelände in München eine neue Seifenstory gedreht. Herzflimmern spielt in einem Krankenhaus und soll bald nachmittags im ZDF laufen. "Wenn tägliche Serien authentische Geschichten kraftvoll erzählen, haben sie eine Zukunft", sagt Esche.

Unter-Uns-Schauspieler Stefan Bockelmann ist nicht so optimistisch. "Die Arbeitsbedingungen werden eher noch härter", sagt er. Im April, auf einer Bühne in Wesseling, einem Städtchen bei Köln, hat seine Comedyshow Premiere. Ihr Titel: Alles bleibt unter uns.

© SZ vom 29.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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