Wahl in Österreich:"Ulrike, ich beginne auch jetzt keinen Streit"

Wahlen in Österreich

Die Wahl ist vorbei, die Elefantenrunde beginnt: Grünen-Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek (l-r), NEOS-Spitzenkandidat Matthias Strolz, ÖVP-Kanzlerkandidat und Außenminister Sebastian Kurz, FPÖ-Kanzlerkandidat Heinz-Christian Strache und Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) beim ORF

(Foto: dpa)

Nie sind die Kandidaten verletzlicher als in der Elefantenrunde, sie ist ein Ort der Wahrhaftigkeit. Daraus ergibt sich Ungewöhnliches. In Österreich zum Beispiel: Harmonie.

Von Luise Checchin

Um kurz nach acht deutet Peter Pilz, Spitzenkandidat der Liste Peter Pilz, in der Elefantenrunde des ORF auf seine Uhr. "Ich habe jetzt ein Problem", sagt er. Um 20.15 Uhr müsse er im Studio des Privatsenders "Puls 4" sein, die hätten ihn nämlich auch eingeladen. Peter Pilz' Mitdiskutanten haben freilich dasselbe Problem, auch sie müssen um 20.15 Uhr im Studio von "Puls 4" sein. Die österreichischen TV-Sender hatten erbittert darum gestritten, wer die Politiker nach der Wahl wann befragen darf.

Kein Wunder: Die Elefantenrunde ist schließlich regelmäßig ein Moment von Wahrhaftigkeit und Schönheit. Das ist rar im Wahlkampf, deshalb will es jeder zeigen. Der staatliche ORF hatte deshalb eine "Runde der Spitzenkandidaten" von 19.55 bis 20.30 Uhr angesetzt. Ein Zusammenschluss aus vier Privatsendern wollte genau dieselbe Runde um 20.15 Uhr abhalten. Letztendlich gab der ORF nach und verkürzte seine Sendung. Und es ist wohl eher ein Beweis für die wunderbare Sonderrolle des Formats, dass die Sender nach all dem Hin und Her genau das bekamen, was niemand erwartete: nichts als Harmonie. Vermutlich zum ersten Mal in diesem Wahlkampf, der von bislang selten gesehenen Schmutzkampagnen geprägt war.

Die Elefantenrunde ist genau das: Abkehr vom Machtkampfalltag. Und genau deswegen gehört die Elefantenrunde häufig zu den aufschlussreichsten Momenten einer Wahl.

Selbst in den emotionalsten Streitgesprächen vor einer Wahl steckt schließlich immer ein guter Anteil Strategie. Die Teilnehmer einer Elefantenrunde hingegen sind einem enormen Druckabfall ausgesetzt. Die Wahl ist gelaufen, die Koalitionsanbahnungen werden erst in den folgenden Tagen beginnen. Es gibt nichts mehr zu gewinnen - und wenig zu verlieren. Schicksalsergebenheit und Erregung vermischen sich deshalb aufs Herrlichste. Und die Politiker sind - bis auf den Gewinner (aber wer hat in den vergangenen Jahren schon wirklich krachend gewonnen?) plötzlich zurechtgestutzt auf menschliche Normalgröße. Sie sind: verletzlich.

Schon der Bildaufbau zeigt das: Die, die eben noch gegeneinander angetreten waren, finden sich plötzlich zusammengeführt in einer banalen Stuhlreihe wieder. Unter ihnen ziehen in einer unbarmherzigen Dauerschleife die Hochrechnungen vorbei. Und die ganze Welt schaut ihnen live dabei zu, wie sie sie verarbeiten. Die Wahlkampf-Rhetorik der jeweiligen Kampagnen wirkt da brachial unpassend - es muss also eine neue Sprache gefunden werden.

Und wird doch so selten gefunden. Die Moderatoren üben sich im Genre der unbarmherzigen Woran-hat's-gelegen-Fragen, die in ihrer Sinnlosigkeit sonst nur Sportreporter auf dem Spielfeld stellen: "Das schlechteste Ergebnis seit 1949", leitete Rainald Becker seine erste Frage an SPD-Kandidat Martin Schulz nach der diesjährigen Bundestagswahl ein. "Sie haben also diese Wahl verloren", stellte Hartmann von der Tann 2005 im Gespräch mit Angela Merkel fest (die zwar weit hinter den Erwartungen der Union zurücklegen, aber immerhin mit ihrer Partei stärkste Kraft geworden war). Inhaltlich befriedigende Aussagen bringt das nie. Auf der emotionalen Ebene sind die Reaktionen dafür umso ergiebiger. Das Ergebnis sind legendäre Ausfälle.

"Wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen", fand Schröder in der Elefantenrunde 2005

1985 etwa, während einer Diskussion im Anschluss an die NRW-Landtagswahl, steigerten sich der damalige Kanzler Helmut Kohl und der SPD-Parteivorsitzende Willy Brandt in eine cholerische Schimpftirade hinein. Brandt: "Sie sagen dem Volk die Unwahrheit, Herr Bundeskanzler", Kohl: "Sie können in Ihrem Parteibüro brüllen mit Ihren Mitarbeitern, aber nicht hier mit uns." Der Streit gipfelte darin, dass Brandt den CDU-Wahlkampfmanager Heiner Geißler mit Joseph Goebbels verglich. Der unterlegene Gerhard Schröder dagegen sprach der Wahlsiegerin Angela Merkel 2005 kurzweg ihren Anspruch auf das Kanzleramt ab. "Wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen", schwadronierte er genauso gönnerhaft wie realitätsblind und verkündete, niemand außer ihm sei fähig, eine Regierung zu stellen.

Schuldige zu suchen, das ist ohnehin ein Grundbedürfnis des geschundenen Post-Wahlkämpfers. Schulz warf Merkel in der Elefantenrunde 2017 zunächst einen "skandalösen Wahlkampf" vor. Dann beschwerte er sich darüber, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit ihm umgegangen sei. Schließlich konnte er sich nicht verkneifen, FDP und Grünen einigermaßen hämisch zur Jamaika-Koalition zu gratulieren. Nach einem einschläfernden Wahlkampf mutierte Schulz genau dann zum aggressiven Rhetoriker, als es zu spät dafür war.

Endlich Zeit für einen freundlichen, wertschätzenden Ton

In Österreich gab es nun ein beinahe verwirrend wohliges Miteinander. Nach einem aberwitzig schmutzigen Wahlkampf, nach unzähligen hitzigen TV-Diskussionen zog endlich ein bisschen Friedfertigkeit ein. Man ließ sich ausreden, man beglückwünschte sich gegenseitig, man war müde. Die ORF-Runde verbrachten die Kandidaten größtenteils damit, sich bei den Wählerinnen und Wählern zu bedanken und das demokratische System Österreichs zu erklären. Bei den Privatsendern sorgte Ulrike Lunacek von den Grünen für die größte Auseinandersetzung, als sie ihrem Ex-Parteifreund Pilz vorwarf, mitverantwortlich dafür zu sein, dass die Grünen womöglich nicht ins Parlament einziehen. Pilz habe die Grünen mit seiner abgespaltenen Liste viele Stimmen gekostet.

"Ulrike, ich beginne auch jetzt keinen Streit", erwiderte Pilz, wie ein Ehemann, der gekränkt Besonnenheit anmahnt. Die Kandidaten der großen Parteien ÖVP, SPÖ und FPÖ blieben dagegen ungemein versöhnlich. Es sei nun endlich an der Zeit für einen freundlichen, wertschätzenden Ton, appelliert der Wahlsieger Kurz. Mitunter hat die Elefantenrunde also sogar die Kraft, Dinge hervorzubringen, die vorher nicht da waren.

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