Vorwürfe gegen Günter Wallraff:"Gezahlt, was er haben wollte"

Der Vorwurf wäre für jeden unangenehm. Doch für Günter Wallraff ist er besonders fatal. Hat der Aufdecker, dessen großes Thema die Ausbeutung ist, selbst Beihilfe zum Sozialbetrug geleistet und einen Mitarbeiter illegal beschäftigt?

Hans Leyendecker

Günter Wallraff verkleidet sich gern, um unerkannt Missstände aufzudecken. Er war der Türke Ali bei Thyssen, er war Hans Esser bei Bild - ein besonders heroischer Selbstversuch. Er war in vielen Rollen verdienstvoll unterwegs und auf seine alten Tage berichtet der Aufdecker, der bald 70 wird, mit Zorn und Hingabe über Niedriglöhne, Sozialbetrug, neue Formen der Ausbeutung. Jetzt soll der Rollenspieler mit den zerbrochenen Identitäten dem Spiegel zufolge möglicherweise eine ganz besondere Rolle gespielt haben: Hat Wallraff Beihilfe zum Sozialbetrug geleistet und ein klein bisschen zumindest ausgebeutet?

Enthüllungsjournalist Günter Wallraff

Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff Ende Mai 2012 in Düsseldorf - ein ehemaliger Mitarbeiter wirft ihm nun einem Bericht zufolge Sozialbetrug vor.

(Foto: dpa)

Vor ein paar Wochen erstattete ein Andre F., der seit rund vier Jahren immer wieder für Wallraff tätig war, Selbstanzeige beim Finanzamt, weil er von Wallraff angeblich illegal beschäftigt worden sei. F. bezog in dieser Zeit Arbeitslosengeld und Hartz IV. Das Geld für seine Tätigkeit soll ihm Wallraff schwarz gegeben haben. "Cash in de Täsch", sagt man in Köln-Ehrenfeld, wo Wallraff sein Büro hat und wo Andre F. seit 2008 für ihn arbeitete.

Der Vorwurf der Beschäftigung von Schwarzarbeitern ist für jeden halbwegs Prominenten unangenehm, im Fall Wallraff ist er besonders fatal - gerade weil Ausbeutung immer sein Thema war: "Die Vorwürfe, ich hätte ihn ausgebeutet oder ausgenutzt, haben nichts mit der Realität zu tun", erklärte Wallraff am Wochenende. "Unter Zeugen" habe er F. mehrfach angeboten, eine Lebensversicherung für dessen Altersvorsorge abzuschließen, und auch für dessen Ausbildung wollte er sich verwenden. Und das Geld? "Die Zuwendungen in bar geschahen auf seinen eigenen ausdrücklichen Wunsch, da ihm sonst das Geld gepfändet worden wäre." Wie naiv ist Wallraff? "Wäre es um ein auch nur annähernd festes Verhältnis gegangen, dann hätte mein Mandant selbstverständlich die entsprechenden Leistungen als Aufwendungen steuerlich berücksichtigt", erklärt Wallraffs Anwalt Winfried Seibert.

"Ich habe ihm gezahlt, was er haben wollte"

Der Fall, der möglicherweise staatliche Ermittlungen gegen den Enthüller auslösen kann, ist etwas komplizierter, als er sich in Ermittlungsakten möglicherweise abbilden lässt. Wallraff hat ein Helfersyndrom, aber er nimmt auch gern Hilfe anderer Leute an. Andre F. hatte er bei seiner Undercover-Tätigkeit in einem Callcenter kennengelernt, und in dem Wallraff-Buch Aus der schönen neuen Welt taucht F. als "Arndt" auf etlichen Seiten auf. Arndt alias Andre F. sei dann "freier Mitarbeiter" gewesen, erklärt Seibert. Ein "arbeitgeberähnliches Direktionsrecht" habe Wallraff nicht gehabt. Eine "feste wöchentliche Arbeitszeit" und einen festen Stundenlohn habe es nicht gegeben. "Ich habe ihm gezahlt, was er haben wollte", behauptet Wallraff.

Andre F. hat einen Stundenlohn von acht Euro ausgerechnet. Ausbeutung! Wenn man die Zuwendungen "stundenbezogen berechnen wollte, wären es weit mehr als acht Euro pro Stunde gewesen" widerspricht Seibert. Auffällig ist bei alledem, dass Andre F. auch für eine Filmfirma tätig war, die in Wallraff-deckt-auf-Manier für den WDR Filmchen über Drückerkolonnen und die Kreditkartenmafia produzierte. Andre F. wallraffte also auch ein bisschen selbst. "Ich bewundere Dich für Deine Arbeit, bin stolz bei Dir arbeiten zu dürfen" schrieb Andre F. dem Chef im März in einer SMS.

Drei Monate später schrieb er: "Ich finde es schade, dass Du Dich in den letzten zwei Jahren zusehends verändert hast". Wallraff werde "immer vergesslicher, chaotischer und gereizter". Im Mai erhielt F. von Wallraff, in krakeliger Schrift, eine testamentarische Verfügung, dass er ein lebenslanges Wohnrecht in einer von Wallraffs Wohnungen habe. F. war früh in eine solche Wohnung gezogen. "Ich will von Dir nichts. Weder geschenkt, noch vererbt oder sonst irgendwas", erklärte F. Ende Juni und kam dann bald mit ordentlichen Enthüllern ins Gespräch. Ein Scoop. Was sonst.

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