Dschungelcamp:"Manchmal reicht es, wenn irgendjemand besonders toll stolpert"

Dschungelcamp: Auch dieses Jahr vermutlich wieder ein Publikumsmagnet: das Dschungelcamp.

Auch dieses Jahr vermutlich wieder ein Publikumsmagnet: das Dschungelcamp.

(Foto: MG RTL D / Arya Shirazi)

Im Dschungelcamp setzen sich zahlreiche Kandidaten in Szene. Die Medienwissenschaftlerin Martina Schuegraf erklärt, warum Bekanntheit so viele Menschen lockt.

Interview von Ekaterina Kel

Die Reality-TV-Show Ich bin ein Star - holt mich hier raus!, besser bekannt unter Dschungelcamp, geht wieder los. Dieses Jahr sind unter anderen Giuliana Farfalla, Tatjana Gsell, Daniele Negroni und Sydney Youngblood dabei. Die Medienwissenschaftlerin Martina Schuegraf forscht zu Konstruktionen von Celebrities. Sie leitet den Studiengang "Digitale Medienkultur" an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf in Potsdam. Im Interview erklärt sie, warum Bekanntheit so viele Menschen lockt und was einen Star von einem Celebrity unterscheidet.

SZ: Frau Schuegraf, träumen noch immer viele Menschen davon berühmt zu sein?

Martina Schuegraf: Auf jeden Fall. Aus Studien, die ich zu Youtube-Celebrities gemacht habe, kann ich sagen, dass es ein Traum ist, den vor allem Jüngere haben.

Sie schreiben in einem Aufsatz, dass es eine Entwicklung vom Star zum Celebrity gab. Wie hat sich Berühmtheit damit verändert?

Das kann man sehr gut mit der unterschiedlichen Herkunft der beiden Wörter beschreiben. Star - das ist der Stern, der am Himmel prangt, der weit weg ist, distanziert, entrückt und glamourös. Der Star ist auf jeden Fall nicht gewöhnlich, nicht "ordinary". Nach dieser Logik kann eben nicht jede Frau oder jeder Mann Star werden. Celebrity dagegen kommt vom lateinischen "celeber". Das bedeutet zahlreich, großartig, im Sinne vieler Teilnehmenden, zum Beispiel bei einem Event. "Celebratur" ist demgemäß derjenige, der sich aus der Masse abhebt und von vielen anderen gefeiert wird. Da ist schon ein ganz anderes Verhältnis zu uns "normalen" Menschen enthalten. Celebrity ist viel mehr Teil des Gewöhnlichen, eine Person von denen, die sie feiern.

Kommt der Celebrity deshalb auch mit weniger außergewöhnlichen Fähigkeiten aus?

Wir verbinden den Star ganz stark mit dem Schauspiel- und Musikbereich, mit Sport und, vielleicht etwas weniger, der Politik. Alles Bereiche, in denen man eher mit Außergewöhnlichem besticht. Mit den neuen Technologien haben sich aber neue Formen entwickelt, um aufzufallen - besonders im Social Web. Das können durchaus sehr banale Dinge sein.

Kim Kardashian ist zum Beispiel einfach nur bekannt, weil sie Kim Kardashian ist.

Da gibt es ein wunderschönes Zitat von Daniel Boorstin (Amerikanischer Historiker und Autor, Anm. d. Red.), der gesagt hat: "A celebrity is a person who is known for his well-knownness." Also in etwa: Man wird prominent, weil man prominent ist. Zum Beispiel Paris Hilton: Wofür ist sie berühmt? Dafür, dass sie eine Hotelerbin ist und sich in Szene setzt. Ihr Prominent-Sein verhilft ihr zu neuer Prominenz.

Martina Schuegraf

Forscht als eine der wenigen in Deutschland über Celebrities: Martina Schuegraf.

(Foto: Felix Grünschloss/ZAK)

Was bedeutet es also heute, berühmt zu sein?

Berühmt zu sein bedeutet: auf jeden Fall gesehen werden. Das ist das A und O. Ein Celebritiy ist nicht mehr von der klassischen Form des Talents abhängig. Manchmal reicht es, wenn irgendjemand besonders blöd daherreden kann oder besonders toll stolpert. Solche Beispiele finden sich auch im Netz. Da bekommt jemand Anerkennung, nicht weil er etwas ganz toll macht, sondern weil er ganz einfach etwas sichtbar macht. Das generiert Aufmerksamkeit und letztlich die Anerkennung anderer, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. Denn ein Celebrity ist immer in Abhängigkeit von anderen.

Aber das war doch schon immer so bei Stars.

Aber es ist heute viel unmittelbarer. Früher war der Kontakt zu Stars stärker vermittelt, also durch eine größere Distanz gekennzeichnet. Ich konnte Fan von Marlene Dietrich sein, aber ich hatte keinen Kontakt zu ihr. Ich hab sie im Film gesehen, vielleicht mal in einer Zeitung, aber ich kam nicht an sie ran. Ich glaube, dass Reality-TV-Shows wie das Dschungelcamp mir die Celebrities viel näher bringen. Allein schon, weil ich viel stärker mit ihrem Fehlverhalten konfrontiert bin. Sie begeben sich in Situationen, an denen ich mich abarbeiten kann. Ich fühle den Ekel mit, ich freue mich mit ihnen. Und wenn dann Social-Media-Kanäle dazu kommen, kann ich sie direkt erreichen. Ob sie mir antworten, ist eine andere Frage.

Kann jeder berühmt werden?

Berühmt-Sein oder Berühmt-Werden ist immer ein gemachter Prozess. Wenn man so will, sind Stars gemachte Körper. Früher waren es vor allem die Hollywood-Produzenten, die sie gemacht haben. Heute hat man durch die neuen Technologien mehr eigene Möglichkeiten.

Heißt das ja?

Berühmt-Werden ist immer ein wechselseitiger Prozess. Es braucht eine Person, die berühmt werden will oder berühmt gemacht wird, und es braucht ein Publikum, Fans oder Follower. Mit Social Media ist dies nur viel einfacher und zuweilen auch unkontrollierbarer geworden, denn jede Person, die Zugang zu diesen technischen Möglichkeiten hat, kann sich dort selbst darstellen und andere Personen kommentieren, liken oder weiterverbreiten.

"Es geht nicht um das Was, sondern um das Wie"

Stimmt heute noch der Gedanke "je berühmter, desto reicher"?

Ja, aber nicht reicher im Sinne des finanziellen Kapitals, sondern tatsächlich reicher um verschiedene Formen der Anerkennung. Ich würde hier von Kapitalformen im Bourdieu'schen Sinne sprechen, der neben dem Begriff des ökonomischen Kapitals auch das soziale, symbolische und kulturelle Kapital einführt. Oder im Sinne von Georg Franck, der über das Aufmerksamkeitskapital gesprochen hat. Das passt hier besser, weil es sich nicht unbedingt in Geld auszahlt, sondern weil man als Celebrity andere Vorteile haben kann. Zutritt zu bestimmten gesellschaftliche Bereichen zum Beispiel, oder neue, vermeintlich bessere Freunde. Oder ich ziehe daraus ein bestimmtes Selbstwertgefühl.

Wenn Celebrities heute so stark wie noch nie nach Anerkennung streben, was sagt das dann über uns?

Wir leben in einer Gesellschaft, die ganz stark auf Sichtbarkeit aus ist. Es geht immer um Gesehen-Werden, sich sichtbar machen, sich darstellen. Das betrifft auch andere gesellschaftliche Bereiche. Celebrities machen auf jeden Fall etwas sichtbar, das wir in der Gesellschaft sonst nicht so sehen würden. Wozu Menschen fähig sind, was sie mit sich machen lassen, was sie für Vorlieben haben, wie abgebrüht sie sind oder auch nicht.

Kann man sagen, wir sehen zurzeit lieber Menschen zu, die mehr sind wie wir - und weniger überlebensgroß wie früher?

So würde ich das nicht formulieren. Ich denke, vor der Entwicklung und Etablierung der digitalen und Online-Medien war vieles spekulativer. Youtube oder Reality-TV-Shows lassen uns an Verhaltensweisen oder Lebensbereichen teilhaben, die zuvor eher im Privaten stattgefunden haben und nicht auf diese Art in Szene gesetzt worden sind. Das zuvor Spekulative wird quasi zum Spektakel, jedoch ohne, dass dies überlebensgroß sein muss.

Das Dschungelcamp zeigt angeblich reale Menschen, die angeblich ganz echt sind. Ungeschminkt, angeekelt, unausgeschlafen. Gleichzeitig ist da wirklich alles künstlich und konstruiert, das ist Show bis zum letzten Palmenwedel. Wie geht das zusammen?

Hier fallen Inszenierung und Authentizität zusammen. Es geht um Inszenierungen von Authentizität, um das In-Szene-Setzen. Von Echt-Sein würde ich hier nicht sprechen.

Warum?

Wenn man von echt redet, soll das das Gegenteil von falsch sein. Aber es geht nicht um falsch oder nicht falsch, also echt. Es geht darum, dass wir es denen abnehmen. Also dass wir ihnen die Performance abkaufen. Was hinter der Performance liegt, ist völlig irrelevant. Es geht nicht um das "Was", sondern um das "Wie". Wenn die Art der Darstellung und die Darstellung selbst zueinanderpassen, also immer wieder in ähnlicher Weise erscheinen, dann wird es glaubwürdig. Nehmen Sie den Musiker Marilyn Manson: Er ist eine absolute Kunstfigur, unglaublich artifiziell. Aber so, wie er das durchzieht, erscheint er authentisch, weil er genau immer wieder das verkörpert, was wir mit ihm verbinden.

Also schaffen wir es auch nie, die Celebrities im Dschungelcamp als nur sie selbst zu sehen? Es ist alles bloß inszeniert?

Ja, aber nicht im Sinne von falsch! Das ist ganz wichtig. Für mich steht Inszenierung nicht im Gegensatz zu Authentizität. Authentizität ist immer eine Form der Inszenierung - im Sinne von "In-Szene-Setzen". Deswegen hängt der Erfolg der Celebrities bei der Show davon ab, wie sie es schaffen, ihre In-Szene-Setzung authentisch rüberzubringen.

Wie nutzt der Celebrity seinen Nutzern, dem Publikum?

Gerade Menschen, die nicht so eine Exklusivität haben wie die alten Hollywood-Stars, bieten uns eine Projektionsfläche, an der wir uns abarbeiten können, und die näher an unserem Leben dran ist. Das bedeutet, dass wir die Figuren in unser Leben miteinbeziehen, dass sie zu unseren Begleitern, zu Freunden werden können. Natürlich nicht zu echten. Aber damit können wir einen Teil unseres Lebens auffüllen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: