Videoverbot bei Gericht:Schiss vor dem Schauprozess

NSU Neo-Nazi Murder Trial Starts In Munich

Im NSU-Prozess (hier am ersten Verhandlungstag) wurde gegen eine Videoübertragung in einen Nebenraum entschieden.

(Foto: Getty Images)

Der Streit über das Kameraverbot im NSU-Prozess hat der Justiz ein unangenehmes Thema beschert. Die Gründe gegen Fernsehbilder aus dem Gericht sind bei Strafprozessen so gravierend, dass in diesen Verfahren Kameras wohl tabu bleiben werden. Doch in anderen Gerichtszweigen können elektronische Aufnahmen durchaus Positives bewirken.

Von Wolfgang Janisch

Die erste Welle der Aufmerksamkeit für den Münchner NSU-Prozess ebbt gerade ab. Hätte das Oberlandesgericht, wie vielfach gefordert, die Verhandlung per Video in einen Nebenraum übertragen, stünde die Leinwand dort jetzt vor leeren Rängen. Doch der Streit um die technische Ausweitung der Medienplätze hat der Justiz ein Thema beschert, das sie bisher mit spitzen Fingern angefasst hat.

Die Justizministerkonferenz hat vergangene Woche beschlossen, das Videoverbot einer Überprüfung zu unterziehen: die gerichtsinterne Übertragung - aber auch insgesamt die Verbannung von Kameras und Mikrofonen aus dem Gerichtssaal.

Es gehe um die Frage, ob eine Öffnung "zum besseren Verständnis der Justiz in der Öffentlichkeit beitragen kann". Die Antwort ist aufgeschoben: Die Minister haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet, ebenso wie an diesem Mittwoch die Präsidenten der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshof bei ihrer Arbeitstagung in Karlsruhe.

Bereits ein gerichtsinterner Videoeinsatz wäre "rechtlich bedenklich", sagte der Frankfurter OLG-Präsident Roman Poseck: "Einen Schauprozess darf es nicht geben. Ein Strafprozess dient nicht der Unterhaltung der Öffentlichkeit." Ähnlich vor kurzem Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: "Mehr Öffentlichkeit zuzulassen, könnte die Verfahrensbeteiligten, aber auch Zeugen beeinträchtigen", sagte sie zu Legal Tribune Online.

Die Diskussion um Fernsehkameras im Gerichtssaal war in den 90er Jahren aufgekommen. Der Nachrichtensender n-tv klagte anlässlich des DDR-Politbüroprozesses gegen das Filmverbot. Eigentlich ein ideales Verfahren für eine erfolgreiche Verfassungsklage: Es war zeitgeschichtlich bedeutend und bot keinerlei Anlass, den Medien billigen Voyeurismus zu unterstellen.

In Zeiten von Youtube werden manche Aussagen heikler

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte jedoch im Jahr 2001 den seit 1964 geltenden Paragrafen 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes, der nur die "Saalöffentlichkeit" im Gericht erlaubt und jegliche Aufnahmen durch elektronische Medien untersagt. Was aber, so heißt es im Urteil, nicht das letzte Wort bleiben muss: "Der Gesetzgeber war nicht von Verfassung wegen verpflichtet, wohl aber befugt, die Öffentlichkeit auf die im Raum der Verhandlung Anwesenden zu begrenzen."

Die beiden Kernargumente gegen Fernsehbilder und Töne aus dem Gericht, die Karlsruhe damals durchdeklinierte, haben an Bedeutung nicht verloren. Das erste gilt dem Persönlichkeitsschutz. Es bedarf in Zeiten von Youtube keiner großen Fantasie, um sich vorzustellen, dass sich die Aussage eines Angeklagten oder eines Zeugen in einem Mord- oder Vergewaltigungsprozess auf den Weg durch die Weiten des Internets begäbe; der Betroffene würde nie wieder los, was er in der angespannten Atmosphäre des Gerichtssaals gesagt hat.

Kameras verändern den Strafprozess

Das zweite Argument bezieht sich auf den Schutz des Verfahrens vor äußeren Einflüssen. Die These lautet: Kameras verändern den Strafprozess. Bildhaft kann man dies an jedem Verhandlungstag im Münchner NSU-Prozess beobachten: Solange die Kameras vor dem Einzug des Strafsenats im Saal sind, verbirgt der Mitangeklagte Carsten S. sein Gesicht unter einer Kapuze.

Die Verfassungsrichter warnten in ihrem Urteil von 2001 vor allem vor Verzerrungen der Beweiserhebung: "Die Fairness des Verfahrens ist insbesondere im Strafprozess für Angeklagte oder Zeugen gefährdet, wenn sie sich infolge der Medienaufnahmen scheuen, Dinge vorzutragen, die für die Wahrheitsfindung wichtig sind, etwa intime, ihnen peinliche oder gar unehrenhafte Umstände."

Die vor drei Jahren gestorbene Medientheoretikerin Cornelia Vismann ging sogar noch einen Schritt weiter. "Unter den Direktiven des Fernsehens (. . .) wird allenfalls ein fernsehgerechtes Urteil zustande kommen. Das Ritual der gerichtlichen Wahrheitsfindung weicht zwangsläufig der Logik des Duells, sobald Kameras zugegen sind", schrieb sie.

Auf absehbare Zeit dürften also jene Verfahren, an denen sich die Debatte entzündet hat - die Strafprozesse - für Kameras tabu bleiben. Klaus Tolksdorf, Präsident des Bundesgerichtshofs, will dies auch für die Urteilsverkündung beibehalten: Auch dort könnten Kameras "problematisch" sein.

Reformen sind aber bei anderen Gerichtszweigen denkbar. Das Verfassungsgericht verkündet seine Urteile seit 1998 vor den Kameras der Nation, und Präsident Andreas Voßkuhle hat 2010 angedeutet, man könne darüber nachdenken, auch "öffentliche Verhandlungen im Grundsatz ganz für entsprechende Aufnahmen freizugeben" - zumindest für sein Gericht.

Ohne Robe im Gerichtssaal

Immer wieder hat Karlsruhe die Bedeutung der Bilder bekräftigt. 2008 untersagte das Gericht den Ausschluss von Kamerateams, die vor und nach der Verhandlung - es ging um Misshandlungsvorwürfe gegen Bundeswehrausbilder - Aufnahmen im Gerichtssaal machen wollten. Auch Richter und Schöffen müssen beim Einzug in den Saal Aufnahmen dulden, ebenso Rechtsanwälte. Was vor einigen Jahren zu einem kuriosen Auftritt einiger Oldenburger Landrichter führte: Verärgert über die Karlsruher Filmpflicht, zogen sie ohne Robe in den Gerichtssaal ein.

Wie eine Lockerung des Kameraverbots aussehen könnte, haben im Urteil von 2001 drei Verfassungsrichter in einer abweichenden Meinung ausbuchstabiert. Danach könnte man Kameras in Verwaltungsgerichten zulassen - zum Beispiel beim Streit um Flughäfen oder Bahnhöfe. Auch eine partielle Zulassung nur zum Auftakt und zum Urteil hielten sie für denkbar, oder ein Verbot von Live-Übertragungen.

Dass Kameras auch Nutzen bringen können, lässt sich übrigens in Karlsruhe beobachten. Dort hat sich eingebürgert, Urteilsverkündungen, aber auch Verhandlungen - vor deren offiziellem Beginn - mit einigen Worten einzuleiten. Dort gelingt den Richtern, was ihnen im Urteil mitunter missrät: Sie formulieren verständlich.

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