Vice macht Fernsehen:Ganz schön normal

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Ausgerechnet der coole Multimedia-Konzern lockt sein Publikum für Nachrichten jetzt vor die Glotze.

Von Karoline Meta Beisel

Wer mit dem Internet, also dem Smartphone in der Hand, aufgewachsen ist, dem ist nur schwer zu vermitteln, warum er sich zu einer bestimmten Uhrzeit vor dem Fernseher einfinden soll. Das hat sogar die deutsche Medienpolitik inzwischen verstanden und den öffentlich-rechtlichen Sendern den Auftrag erteilt, für ihr vor wenigen Wochen gestartetes junges Angebot auf ein starres Sendeschema zu verzichten - und auf einen richtigen Fernsehsender gleich mit. "Funk" findet nur im Netz statt, allerdings bei Plattformen wie Youtube und Facebook unter die dort zu findenden unzähligen Angebote gemischt. Man darf gespannt sein, ob die Smartphone-Generation ARD und ZDF dort auch findet.

So oder so war es eine mindestens mittelgroße Überraschung, als das Medienunternehmen Vice vor ein paar Monaten ankündigte, von Oktober an auf dem amerikanischen Bezahlsender HBO allabendlich eine Nachrichtensendung auszustrahlen. Ausgerechnet Vice: Das zum Multimediakonzern mit unzähligen Webseiten, einer TV-Produktion und einer Werbeagentur gewachsene Independent-Magazin nehmen sich traditionellere Medienhäuser sonst gern zum Vorbild, wenn es darum geht, ihre Produkte innerhalb der angeblich so kurze Aufmerksamkeitsspanne junger Leser und Zuschauer zu platzieren. Jetzt soll es also doch das gute alte Fernsehen richten?

Seit der vergangenen Woche zeigt HBO nun also von Montag bis Freitag abends um halb acht Vice News Tonight, und nach den ersten paar Folgen fragt man sich doch, ob das jetzt wirklich so revolutionär ist, wie Vice sich sonst gerne gibt. In der knapp 30-minütigen Sendung wechseln sich kurze, manchmal animierte Nachrichtenfilme mit langen Reporterstücken ab, es geht um Weltpolitik, den Wahlkampf, Wirtschaft und (Pop-)Kultur. Nur das Wetter fehlt - und ein Moderator, der die mit groben Schnitten aneinandergereihten Beiträge irgendwie zu einem Ganzen verbinden würde.

Die Verständlichkeit leidet ausgerechnet dort, wo Vice versucht, die Formensprache des Internets ins Fernsehen zu übersetzen. Kurze Newsclips mit Texttafeln erinnern an die Filmchen, die viele Medien mittlerweile extra für Facebook so produzieren, so dass sie im Newsfeed des sozialen Netzwerks auch ohne Ton funktionieren. Die Vice-Clips dagegen sind vor allem gesprochene Nachrichten, zu denen symbolbildhaftes Agenturmaterial läuft. Und wird die Meldung, dass ein alter Sänger den Literaturnobelpreis bekommen soll, wirklich schon dadurch irgendwie jünger, dass sie auf handgeschriebenen Schildern steht, die ein junger Mensch zu dessen Musik wortlos in die Kamera hält? Und vor allem: Muss sie das überhaupt?

Gelungen ist die Sendung dann, wenn sie aussieht wie Kindernachrichten für Große

Stark ist die Sendung dagegen in den längeren Beiträgen, in denen Vice-Reporter über eher latent interessante als tagesaktuelle Themen berichten. In einem Stück über Gefangenenproteste in Alabama unterhält sich die Reporterin mit einem Mann in Isolationshaft - per Skype auf einem in den Knast geschmuggelten Handy. Eine Reportage über gestreckte Drogen in Ohio wird zu einem anrührenden Kurzporträt eines Suchtkranken. Und am vergangenen Montag ging ein Reporter der Frage nach, warum Wahlumfragen oft so sehr danebenliegen. Ein bisschen wie logo!, die deutschen öffentlich-rechtlichen Kindernachrichten, für Große.

Die neue Sendung beim sehr etablierten Sender HBO, den Vice schon seit Längerem mit Dokumentationen beliefert, zeigt den ungebrochenen Expansionswillen der 1994 in Kanada gegründeten Medienunternehmens; erst vor ein paar Tagen verkündete man den Start einer weiteren Online-Seite in Deutschland - die Plattform Amuse beschäftigt sich mit Luxus aller Art. In einem Interview mit der Zeit kündigte Vice-Chef Shane Smith gerade an, noch in den kommenden zwölf Monaten seinen schon seit Längerem angekündigten Fernsehsender in Deutschland starten zu wollen.

Die skurrilste Meldung der ersten Folgen von Vice News Tonight war übrigens folgende: Unter den E-Mails, die Wikileaks aus dem Team von Hilary Clinton veröffentlichte, war auch eine des Sängers der in den 1990er-Jahren beliebten Band Blink 182, in der dieser von einer Ufo-Landung berichtet. Was sonst noch so drin stand in den E-Mails? V ice News Tonight sagte: "Viele sind von wichtigen Leuten zu wichtigen Themen"; das muss man dann wohl doch wieder im Internet nachlesen.

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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