Verschwinden die Rundfunkräte?:Knapp vorbei

Axel Wintermeyer

Sollten die EU-Medienrechtler ihre Forderung nach einer von den Sendern unabhängigen Medienkontrolle durchsetzen, befürchtet Axel Wintermeyer (CDU) "das Ende der anstaltsinternen Gremienkontrolle."

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Eine EU-Reform könnte das etablierte deutsche System der Rundfunkräte kippen. Kritiker bemängeln, die Änderungen träfen die Falschen: Sie zielen vor allem auf Polen und Ungarn, würden aber an der Kontrolle der Medien dort nichts verbessern.

Von René Martens

"Gremien-Gremlins" nannte Günther Jauch einst die Rundfunkräte der ARD, nachdem der erste Versuch, ihn zum Talkshow-Gesicht im Ersten zu machen, nach ellenlangen Verhandlungen gescheitert war. Solche Ereignisse samt pointierter Beleidigung durch eine prominente TV-Nase rücken auch die Herrschaften im Hintergrund mal nach vorne - oder wenn das Bundesverfassungsgericht sich mit ihnen befasst, wie 2014, als es die grundgesetzwidrige Zusammensetzung des ZDF-Fernsehrats monierte. Ansonsten gerät die Arbeit der Gesandten aus Parteien, Wirtschafts- und anderen Interessenverbänden, die in den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Sender sitzen nur selten in die Öffentlichkeit.

Neue Aufmerksamkeit für die Kontrolleure weckt möglicherweise ein Vorschlag der EU-Kommission zur Reform der "Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste", kurz: AVMD-Richtlinie. Die Kommission will damit erreichen, dass Kontrollgremien nicht mehr direkt bei den Sendern angesiedelt sind, sondern als eigene Institution operieren. Im EU-Sprech: "Die Regulierungsstellen der Mitgliedstaaten können den geforderten Grad der strukturellen Unabhängigkeit nur erreichen, wenn sie als separate juristische Personen eingerichtet werden." Würden sich die EU-Medienrechtler damit durchsetzen, befürchtet der Chef der hessischen Staatskanzlei, Axel Wintermeyer (CDU), nicht weniger als "das Ende der anstaltsinternen Gremienkontrolle". Denn in Deutschland sind die Kontrollorgane organisatorisch bei den Sendern angesiedelt, sie sind keine eigenständigen Institutionen.

Könnten die Räte besser kontrollieren, wenn sie, wie von der Kommission gefordert, formal unabhängig "von der Branche" sind? Am heutigen Montag berät der zuständige EU-Parlamentsausschuss für Kultur und Bildung die Neufassung der AVMD-Richtlinie. Am Donnerstag und Freitag dieser Woche folgen zwei Ausschüsse des Bundesrats - zunächst der für Wirtschaft, dann der für Europäische Fragen. Beide Gremien der Ländervertretung hatten das Ansinnen der Kommission kürzlich kritisiert. Andere Reformen stoßen dagegen auf Zustimmung. Der Bundesrat äußerte sich im Juni zum Beispiel positiv zur geplanten Liberalisierung von Werbevorschriften.

An den Verhältnissen in Polen und Ungarn würde die Reform wohl nichts ändern

Eine wichtige Rolle in der Diskussion spielen zwei deutsche Abgeordnete. Immer dann, wenn die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag vorgelegt hat, beauftragt der zuständige Ausschuss sogenannte Berichterstatter damit, eine Vorlage für die Stellungnahme zu erarbeiten. Das sind in diesem Fall die Ausschussmitglieder Petra Kammerevert (SPD) und Sabine Verheyen (CDU). Beide sind wahre Routiniers der Rundfunkaufsicht: Kammerevert sitzt seit sieben Jahren im Rundfunkrat des WDR, Verheyen gehörte ihm sechs Jahre lang an; sie ist nun stellvertretendes Mitglied.

Man müsse "berücksichtigen, dass die EU-Kommission diese Regelung vor dem Hintergrund der Situation in Polen und Ungarn vorgeschlagen hat", sagte Kammerevert der Süddeutschen Zeitung. Dort haben die Regierungen die öffentlich-rechtlichen Sender zu Staatsmedien umfunktioniert und im Zuge dessen auch entsprechende Gesetze für die Medienregulierung durchgebracht. Das freie Wort hat es wesentlich schwerer. Kammerevert findet es nachvollziehbar, dass die Kommission darauf reagiert - wie sie reagiert, klingt allerdings nicht logisch. Denn die Regulierungsstellen in Ungarn und Polen sind rein formal bereits unabhängig von den Sendern. "Insofern greift die geplante Regelung überhaupt nicht. Andererseits attackiert man damit gewachsene Aufsichtsstrukturen, wie sie in Deutschland existieren", sagt Kammerevert. Im Klartext: Die Reform zielt auf die Richtigen und trifft die Falschen.

Kritisch sehen Verheyen und Kammerevert auch, dass die EU-Kommission die Rolle der ERGA (European Regulators Group for Audivisual Media Services), einer Arbeitsgruppe europäischer Regulierungsstellen bei der EU-Kommission, stärken will. "Man muss aufpassen, die mitgliedstaatlichen Kompetenzen der Medienregulierung nicht zu beschneiden", sagt Verheyen. Ohnehin gebe es in der Europäischen Union eine Tendenz, "alles formal zu harmonisieren. Damit verhindert man aber nicht, dass jemand gegen die demokratischen Werte der Union verstößt." Und Verheyen bemängelt: "Wer seinen Einfluss missbrauchen will, kann die Gremien auch dann mit seinen eigenen Leuten besetzen, wenn die Gremien von den Sendern unabhängig sind." Zur Besetzung der Gremien äußere sich die EU-Kommission in ihrem Vorschlag gar nicht.

Kammerevert findet, dass "die plurale Binnenkontrolle bei den Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland gut funktioniert". Die Rundfunkräte seien ja "keineswegs Abnickgremien". Das kann man anders sehen. Heiko Hilker, Gründer des Dresdner Instituts für Medien, Bildung und Beratung sowie Mitglied im Rundfunkrat des MDR, betont, öffentlich-rechtliche Skandale seien in der jüngeren Vergangenheit nie von Gremienmitgliedern aufgedeckt worden, die Aufklärung sei stets von außen gekommen.

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