Verhältnis von Politikern und Journalisten:Zwischen Respekt und Rubikon

Politiker bemühen nur selten Cäsars Traktat "De Bello Gallico", über den gallischen Krieg, wenn sie Journalisten auf die Mailbox sprechen. Christian Wulffs "überschrittener Rubikon" ist eine Ausnahme. Doch das Machtgefüge zwischen Politik und Presse war schon immer angespannt. Ein Blick in die Geschichte einer zwiespältigen Beziehung.

Hans Leyendecker

Es könnte einen schon irritieren, wenn ein Anruf auf einer Mailbox mit dem Satz beginnt: "Ich bin auf dem Weg zum Emir" - und wenn dann der Anrufer unvermittelt auf den Begriff "Kriegserklärung" kommt. Im Fall des Bundespräsidenten Christian Wulff ging die Einlassung dann noch merkwürdiger weiter: Nach seiner Rückkehr (vom Emir?) müsse er darüber befinden, "wie wir den Krieg führen" werden. Wer ist "wir"? Und warum meint ein Staatsoberhaupt, dass auch für seine Frau der "Rubikon" überschritten sei, wenn dieses oder jenes erscheine?

Bundespräsidenten reden zwar häufig über Krieg und Frieden, aber dass ein Staatsoberhaupt einer Zeitung oder einem Verlag mit einem solchen Konflikt droht oder den Eintritt des Kriegsfalls verbal zur Kenntnis nimmt, ist ebenso ungewöhnlich wie die Entstehung dieser Kriegsgeschichte. Seit mehreren Wochen liegen nun schon mehreren Redaktionen Abschriften des Telefonats vor. Doch erst jetzt ging die Sache hoch.

Im 19. Jahrhundert verpassten Staatsmänner Staatsmännern Ohrfeigen, und um den anderen zu blamieren, wurden solche Vorfälle gerne publik gemacht. Der Begriff "Ohrfeigenbrief", den Zar Alexander II. 1879 an den deutschen Kaiser schrieb, ging in die Geschichte ein. Aber ein Bild-Chefredakteur ist kein Staatsmann - und ein Telefonat kein Kommuniqué. Diese Feststellung gilt für eine Mailboxansage ganz besonders. Immerhin wird durch die Wulff-Attacke deutlich, dass der Präsident möglicherweise mit dem Artikel 5 des Grundgesetzes - Freiheit der Medien - auf Kriegsfuß steht.

Die Versuchung, sich für groß und wichtig zu halten, eint Politiker und Medienleute. Offenbar kann man in beiden Lagern nur schwer die Funktion von der Position trennen. Aber in der mittlerweile langen Geschichte der Bundespräsidenten hat es eine solche Dreistigkeit, eine solche Naivität wie im Fall Wulff noch nicht gegeben. Der neunte Präsident, Horst Köhler, hat seinen Abgang mit einem Mangel an Respekt begründet. Der zehnte, Christian Wulff, will unbedingt Respekt bekommen. "Erkrigen" nannte man das im Mittelhochdeutschen.

Wenn Politiker über Journalisten sprechen, werden sie schnell verdächtigt, Beschwerdeführer in eigener Sache zu sein. Politiker fühlen sich falsch verstanden, fehlinterpretiert oder - schlimmer noch - ignoriert. "Schnell ist heute von Kampagnen die Rede." Das hat im Juni 2004 der achte Präsident, Johannes Rau, erklärt, der ganz früher selbst journalistisch tätig war. Von allen Präsidenten hat er das meiste über Medien und Politik gesagt, und er hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Demokratie "hartnäckig aufklärender Recherche" bedürfe und dass sich gleichzeitig der "investigative Journalismus in besonderem Maße um engagierte Distanz bemühen" müsse. Aber auch der Menschenfischer Rau hatte seine journalistischen Spezln, und die, die er nicht mochte, mochte er mit Inbrunst nicht. Auch er bevorzugte Nähe, und die ihm nahekamen, waren stolz auf die fehlende Distanz. "Es gibt ein Schmiergeld namens Nähe", hat ein Journalist einmal festgestellt.

Auseinandersetzungen zwischen Medien und Politik sind im politischen Betrieb so ungewöhnlich nicht. Nur tragen in aller Regel Bundespräsidenten, deren Waffen das Amt und das Wort sind, solche Konflikte nicht halböffentlich aus. Ansonsten geht es oft rau zu. Schon Konrad Adenauer, der erste Kanzler, teilte die Welt in Freund und Feind: Es machte ihm nichts aus, ihm missliebige Journalisten intern als "fünfte Kolonne Moskaus" zu bezeichnen. Die Spiegel-Affäre 1962 ist mit den Namen Adenauer und Franz Josef Strauß eng verbunden. Spiegel-Redakteure kamen wegen kritischer Berichterstattung zeitweise in Haft. Zu ihnen gehörte auch der Redakteur Conrad Ahlers. Als der dann später in Regierungsdiensten war und den Altbundeskanzler besuchte, fragte ihn Adenauer scheinheilig: "Sajen Se mal, Herr Ahlers, waren Se wirklich im Jefängnis?" Das war noch wirkliche Chuzpe.

Adenauers politischer Enkel Helmut Kohl pries in Geburtstagsbriefen gern die Pressefreiheit: "Auch wenn ich Ihre Ansichten fast regelmäßig nicht zu teilen vermag, gilt für mich, frei nach Voltaire: Ihr Recht, Ihre Meinung zu sagen, gehört zu den kostbaren Gütern, die ich mit aller Kraft verteidigen werde", schrieb er Augstein zu dessen 60. Geburtstag.

Derselbe Kohl, der übrigens so eine Art politischer Ziehvater des heutigen Bild-Chefredakteurs ist, legte Wert darauf, dass ein "Nicht-Verhältnis" (Kohl) zum Spiegel bestand. Dieser Konflikt wurde öffentlich, als sich Augstein 1996 bei einem damaligen Öffentlichkeitsarbeiter im Kanzleramt darüber beschwerte, dass "unsere Mitarbeiter von Auslandsflügen in der Kanzlermaschine offenbar prinzipiell ausgeschlossen werden". Kohl hingegen, der nicht genug Feinde haben konnte, schimpfte gern auf die "Hamburger Pressemeute", zu der er auch den Stern und die Zeit zählte: "Ich brauche die alle nicht", war einer seiner Klassiker, wenn er zur Journalistenschelte anhob.

Nur: Wulff ist nicht Kohl, und ein Präsident ist kein Kanzler. Eine Zeitung zu bedrohen, wie Wulff das tat, ist kein politisches Verbrechen. Aber ein schlimmer Fehler. Augstein erzählte gern die Geschichte vom ungarischen Schuster, der ein kleines Blättchen herausgab, jedes Mal eine Geschichte gegen den Zaren schrieb, dann zur Brotzeit ging und stets vor dem Erscheinen gesagt haben soll: "Was wird der Zar sich am Montag ärgern!" Im Fall Wulff drängt sich die Frage auf: Wer ist eigentlich der Zar? Und wer ist der Schuster?

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