USA:Sag mir, was du schaust, und ich sage dir, ob du Trump wählst

Blue Bloods - Crime Scene New York - Ein neuer Start

Im Auge des Betrachters: Polizeiserien wie Blue Bloods sind vor allem bei konservativen Zuschauern beliebt.

(Foto: CBS Broadcasting Inc./Kabel1)

Der Republikaner sieht "Lethal Weapon", der Demokrat "Will & Grace": Die politische Spaltung Amerikas zeichnet sich auch im Fernsehen ab.

Von Kathrin Werner

Keine Frage, wer hier gut und böse ist. In der Serie The Brave jagen amerikanische Undercover-Agenten Terroristen um die halbe Welt. Sie befreien eine entführte Ärztin aus der Hand von islamistischen Terroristen aus Syrien. Sie stöbern eine vermisste CIA-Agentin in der Ukraine auf, bevor die Russen sie schnappen. Sie retten die Frau des US-Botschafters vor einem Anschlag in Nigeria. The Brave erzählt von Mut und Patriotismus, von einer gefährlichen Welt und amerikanischen Helden. Die neue Serie, seit Ende September zu sehen beim US-Sender NBC, ist Fernsehen für Konservative.

Das Wahlergebnis ließ sich auch anhand der beliebtesten Serien vorhersagen

Die Fernseh-Gewohnheiten von Konservativen und Liberalen in den USA überschneiden sich kaum noch, hat die auf die Unterhaltungsbranche spezialisierte Marktforschungsfirma Fizziology ermittelt. Konservative mögen Geschichten über Polizei, Militär und Rettungskräfte. The Brave ist ganz weit vorn, auch andere Action-geladene Shows sind beliebt, zum Beispiel Lethal Weapon oder Blue Bloods. Politisch linksorientierte Amerikaner mögen dagegen Serien mit bunt gemischten Besetzungen, die vom modernen Leben in Städten erzählen, etwa Crazy Ex-Girlfriend und Will & Grace. Es gibt überhaupt nur drei aktuelle Sendungen, die links und rechts vereinen: der Reality-TV-Tanzwettbewerb Dancing with the Stars, Star Trek: Discovery und die Weltall-Comedy-Serie The Orville. Diese Shows seien kaum politisch eingefärbt und behandeln Themen, die alle interessieren, sagte Fizziology-Gründer Ben Carlson der Nachrichtenwebsite Business Insider. Tanzen und das Weltall - das sind die Dinge, die unser Land zusammenhalten."

Sag mir, was du schaust, und ich sage dir, wen du wählst. Das Fernsehen in den USA ist heute so gespalten wie das Land. Dass das für Nachrichtensendungen gilt, ist längst bekannt. Konservative schauen den konservativen Sender Fox News, Linke den öffentlich-rechtlichen Sender PBS oder CNN. Doch die Spaltung des Landes geht über Politik und News weit hinaus - und das sieht man auch an den TV-Serien, die den Menschen Geschichten vom Leben erzählen.

Wer vorhersagen wollte, ob in einem Wahlkreis Donald Trump oder Hillary Clinton die Präsidentschaftswahl gewinnen würde, hätte fragen sollen, wie beliebt dort die Serie Duck Dynasty ist. Das ist aussagekräftiger als die Frage, ob George W. Bush dort im Jahr 2000 zum Präsident gewählt wurde, hat die New York Times in einer aufwändigen Analyse ermittelt. In der Reality-TV-Sendung Duck Dynasty geht es um die Selfmade-Millionärsfamilie Robinson. Männer mit langen Bärten sind die Helden, Frauen spielen keine große Rolle, Schwarze oder Schwule kommen nicht vor. So etwas mögen die Menschen in ländlichen Gegenden der USA, im konservativen Heartland. So etwas mögen Trump-Wähler. Die liberalen Eliten an den Küsten dagegen würden es nie einschalten. Fernsehkultur und Politik, schreibt die New York Times, sind eng verwoben.

Das war nicht immer so. Das Fernsehen hat seit den Fünfzigerjahren die Massenkultur in den USA geformt und sogar die Sprache. In diesem riesigen Land, gegründet von Einwanderern, setzte sich durch das Fernsehen eine typisch amerikanische Art zu sprechen und eine amerikanische Identität durch. Jeder kannte I love Lucy und Alf, die Shows prägten den amerikanischen Humor. Jeder kannte Erwachsen müsste man sein (Originaltitel: Leave It To Beaver) und Wunderbare Jahre, die Serien prägten die Vorstellung der Amerikaner vom heilen Familienleben in den Vororten.

Das Fernsehen erzählt Geschichten. Und Geschichten haben Macht. Einst konnten sie definieren, welches Leben normal war. Fernsehserien strebten an, so normal wie möglich zu sein und jeden anzusprechen. "Jeder hatte das Gefühl, dass Wunderbare Jahre in seiner Straße spielte", sagte Bob Brush, der Produzent der Familien-Serie, die von 1989 bis 1993 lief. Das führte einerseits dazu, dass das Fernsehen lange Zeit wenig interessant war und Minderheiten und kontroverse Themen kaum vorkamen - andererseits führte es zu einer kulturellen Einheit und dem Gefühl, dass Amerikaner mehr gemeinsam haben, als sie trennt.

Streamingdienste produzieren gezielt für die Nische

Diese Zeiten sind vorbei. Heute gibt es ein riesiges Angebot an Sendungen, die nicht mehr das ganze Land ansprechen sollen. Die Menschen schauen die Serien, die ihre Lebenswelt widerspiegeln und zu ihrer Ideologie passen. Den Machern von Duck Dynasty ist klar, dass sie in San Francisco und New York kaum Zuschauer gewinnen werden. Und wer heute in den Regionen des Landes wohnt, in denen es kaum Schwarze gibt und fast alle Trump wählen, wird heute nicht mehr wie früher eine Fernsehserie wie die Cosby-Show sehen und so an die Tatsache herangeführt, dass schwarze Amerikaner nicht unbedingt ganz anders leben als weiße. Jeder kann in seiner Filterblase bleiben. Donald Trump hat sich das bereits zu Nutzen gemacht. Seinem Schwiegersohn Jared Kushner zufolge schaltete sein Wahlkampfteam besonders viel Wahlwerbung bei Serien, in denen es um Action, Mord und Helden geht, darunter NCIS und The Walking Dead.

Die Polarisierung entlang Politik und Lebenswelten hat ihre Wurzeln in den Neunzigerjahren. Statt einer kleinen Zahl Kanäle, die jeder schaute, gab es in den USA plötzlich hunderte Spartensender, die sich auf Spezialinteressen und kleinere Zielgruppen konzentrierten. Doch selbst in diesen Jahren gab es noch Erfolgsshows, die gigantische Einschaltquoten erzielten. Erst heute, mit dem Aufstieg des Internetstreamings, gibt das Fernsehen seinen Anspruch als Kulturstifter für die Massen auf, weil es auf die Massen nicht mehr angewiesen ist. Das alte Fernsehen musste so viele Amerikaner wie möglich ansprechen, weil die Sender ihr Geld mit Werbung verdienten - und Werbekunden zahlen mehr, wenn mehr Menschen zuschauen.

Heute finanzieren sich Streaminganbieter wie Netflix und Hulu über Abogebühren und geben noch nicht einmal bekannt, wie viele Menschen eine einzelne Sendung ansehen. Netflix kann sich deshalb erlauben, eine Serie über die Liebesprobleme eines indischstämmigen New Yorkers zu drehen - selbst wenn klar ist, dass keiner von Trumps Anhängern einschalten wird. Das Fernsehen gibt den Amerikanern deshalb kaum noch gemeinsame Themen und nicht mehr das Gefühl, etwas gemeinsam zu haben.

Statt einer Massenkultur entwickelt sich eine "Masse der Nischen", prognostizierte Chris Anderson, der ehemalige Chefredakteur des Magazins Wired, schon im Jahr 2006 in seinem Buch "The Long Tail": Wir würden das Zeitalter verlassen, in dem sich die Menschen in der Kaffeeküche im Büro treffen und darüber sprechen, was sie hören, schauen und lesen und die alle einem relativ kleinen Angebot von Hits entstammen, schrieb Anderson. "Wir betreten das Zeitalter der Mikrokulturen."

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