US-Wahlkampf via E-Mail:"Zu wissen, dass es Dich gibt"

Seit August geht das so. Bill Clinton schreibt, Joe Biden schreibt, John Kerry schreibt, dann wieder Barack Obama, aber die schönsten und persönlichsten Mails schickt eindeutig seine Gattin Michelle. Post von den Obamas: So gefühlvoll kann Wahlkampf sein.

Stefan Klein

Michelle Obama

Michelle Obama bei einer Wahlkampfveranstaltung in Nevada - dazwischen schreibt sie viele, viele Mails.

(Foto: AFP)

Man erwartet ja nichts Gescheites vom Internet. Mal meldet sich eine Dame aus der Ukraine, mal das Abu Dhabi Film Festival, mal das Marinefliegerkommando in Nordholz. Unlängst wurde mir mitgeteilt, das Goethe-Institut in Neapel sei umgezogen, vielleicht war's aber auch das in Nepal, egal, man will's sowieso nicht wissen. Aber es gibt auch Ausnahmen, erfreuliche, überraschende, und dann hat man plötzlich neue Freunde: Barack, Michelle, Joe, Bill, und irgendwie kann man's gar nicht glauben.

"Stefan", schreibt Michelle, "ich weiß, Du bist ausgelastet mit Arbeit, Schule, Familie . . ." Stimmt genau, liebe Michelle, aber wie konntest du das wissen? Die Schule, nun ja, die habe ich schon ein paar Jahre hinter mir, aber Arbeit und Familie stehen tatsächlich brettlbroad, wie der Bayer sagt, im Zentrum meines Lebens. Broad, wie im Amerikanischen, Michelle, breit, sehr breit.

"Stefan", schreibt Barack, "ich möchte Dich treffen. Ich möchte Dir persönlich danken. Und ich würde gerne einmal hören, was Du so denkst." Wahnsinn, der Mann ist mitten im Wahlkampf und will wissen, was ich denke! Dies und das, Barack, was einem halt so durchs Hirn schießt, du kennst das ja. Aber wenn wir uns dann treffen, könnte ich's eventuell noch etwas konkretisieren.

Seit August geht das so. Bill Clinton schreibt, Joe Biden schreibt, John Kerry schreibt, dann schreibt wieder Barack Obama, aber die schönsten und persönlichsten Mails schreibt eindeutig seine Gattin Michelle. "Zu wissen, dass es Dich da draußen gibt", schreibt sie am 30. September, bedeute ihrem Mann und ihr unendlich viel. So viel Schmeichelei, man wird direkt ein bisschen rot beim Lesen, und dabei weiß man doch, was da gespielt wird.

Wahlkampf wird längst auch im Internet geführt. Mailadressen sind Wählerreservoire. Wer mehr Adressen hat, hat mehr Möglichkeiten, Wähler anzusprechen. Aber in der großen, weiten Welt des Web geht nicht immer alles nach Plan, es gibt Irrläufer, es gibt Irrtümer, und manchmal, so scheint es, schmuggelt sich in die Datenbank eines Wahlkampflagers schon mal die Mailadresse eines Wählers, der in Wahrheit gar kein Wähler sein kann. Weil er einen deutschen Pass besitzt und in München lebt.

Aber das weiß das Wahlkampflager nicht, und so kommt es, dass sich da ein falscher Wähler nahezu jeden Tag neu umworben sieht und ein bisschen was lernt über die modernen Wahlkampftechniken. Offenbar ist es wichtig, dass man sehr persönlich angesprochen wird, als Freund, als Mitstreiter, als einer, dessen Spendenbereitschaft den Unterschied ausmachen könnte zwischen Sieg und Niederlage.

Schon in der ersten Mail im August ging es um Geld. Fünf Dollar solle man spenden oder mehr, denn Obama sei unter Druck, weil Mitt Romneys Kampagne mit Dollars so viel besser gefüttert sei. Viele weitere Mails und immer neu variiert dieselbe Bedrohung: Mit Hilfe seiner Milliardärsfreunde sei Romney in der Lage, einen schmutzigen Wahlkampf aufzuziehen. Auf drei Werbespots von ihm käme nur einer von Obama, so könne man die Wahl verlieren. Deshalb bitte: Fünf Dollar! Oder mehr!

Fordern und gleichzeitig schon mal danken. "Wenn wir diese Wahl gewinnen, wird es wegen Dir sein", schreibt Joe (Biden, der Vizepräsident), bislang eher nicht als Zuckerbrotbäcker bekannt. "Stefan, wir haben so ein Glück, dass wir Dich auf unserer Seite haben", flötet Michelle, "Du hast es wahrscheinlich knapp, aber Du gibst, was Du kannst." Und ihr Ehemann: "Stefan, ich kann Dir gar nicht sagen, wie dankbar ich bin."

Dankbar wofür?

Erst nach Wochen kommen sie darauf, dass der Dank ein bisschen voreilig war. Stefan, heißt es nun in einer Mail, drei Millionen kleine Spender hätten einiges bewirkt, aber "du warst laut unseren Unterlagen nicht darunter. Machst Du nicht mit?" Leise Kritik, aber andererseits darf man einen potenziellen Wähler natürlich nicht vor den Kopf stoßen. Schon am nächsten Tag ist Michelle Obama wieder mit einem Dank zur Stelle.

Aber es kommt noch besser: eine Einladung zum Dinner mit dem Präsidenten. "Flug und Hotel übernehmen wir", schreibt Barack, "Du musst nichts tun, außer zu kommen und zu essen." Sogar einen Gast dürfte ich mitbringen. Ist das zu glauben? Nein, ist es nicht. Ich habe nämlich leider die Zeile überlesen, in der steht, dass man als Spender von fünf Dollar oder mehr zwar tatsächlich ausgewählt ist - aber nur als Teilnehmer an der Ziehung der paar glücklichen Dinnergäste, und wer hat schon Losglück.

Ohnehin wird die Sache auf Dauer ein bisschen öde. Irgendwann mag man einfach nicht mehr lesen, warum sich Michelle Obama vor 32 Jahren in den Menschen Barack verliebt hat. Oder dass sich Sandy und Steve eine Pizza für 15 Dollar vom Munde abgespart haben, um das Geld der Obama-Kampagne zur Verfügung zu stellen. Und wenn man schließlich sogar den Satz lesen muss "Stefan, die Wahl ist in Deinen Händen", dann bekommt man fast ein bisschen Sehnsucht nach dem Marinefliegerkommando in Nordholz.

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