US-Serie "Breaking Bad":Die Finsternis der Sonne

Die US-Serie "Breaking Bad" mit Bryan Cranston und Aaron Paul

Rächer, Allmachtsphantastiker, Drogenkoch: Der krebserkrankte Walter White (Bryan Cranston, l.) und sein Schüler Jesse Pinkman (Aaron Paul).

(Foto: dapd)

Noch nie ist eine Fernsehserie mit solcher Wucht auf ihr tragisches Ende zugesteuert wie "Breaking Bad". Ein Treffen mit Erfinder Vince Gilligan, der mit seiner Drogensaga ein globales Drama erschuf.

Von Joachim Hentschel

Ja, er schaut auf die Uhr, jedes Mal. Am Sonntagabend, wenn es neun wird an der Ostküste und sechs in der Zeitzone Kalifornien. Wenn die Leute Breaking Bad einschalten, seine Serie. Manchmal, bei umständlichen Auslandsreisen, muss Vince Gilligan nachrechnen, aber er verpasst ihn nie, den exakten Moment, in dem sich die Erkenntnis verbreitet. Bei den Augenzeugen vor dem Fernseher, dann übers Netz.

Eine TV-Serie zu drehen, das bedeutet ja, alles wahnsinnig lang im Voraus zu machen, Geheimnisträger zu sein und im Kopf schon drei Runden weiter. Am wichtigsten bleibt der Augenblick, in dem die Geschichte endlich in die Welt hinausgeht. "Ich denke an die Leute. Daran, wie sie zuschauen", sagt Gilligan. Wenn mehrere Millionen Menschen gleichzeitig etwas kapieren, das ist ein physikalisches Ereignis.

Es wird jemand sterben, allerhöchstwahrscheinlich

Die Uhr, auf die er dann schaut, ist so ein kleines, altes Ding mit Zeigern, am braunen Lederband. Vince Gilligan, 46, der Erfinder und Kreativchef von Breaking Bad, wirkt mit Bärtchen und hellblauem Oberhemd nicht mal wie der berühmte Bankangestellte, mehr wie ein Museumsdirektor. Er sitzt auf der Präsentationscouch eines Berliner Privatclubs, um sich herum hat er Scherzartikel drapiert: Stoffpuppen mit den Gesichtern der Serienhelden Walter White und Jesse Pinkman, Tütchen mit grellblauem Kandiszucker, die die Droge Crystal Meth symbolisieren sollen, die White und Pinkman in der Serie herstellen und verkaufen.

Alles Ablenkung, um den furchtbaren Ernst der Lage zu verdrängen. Es wird jemand sterben. Jemand wichtiges, allerhöchstwahrscheinlich. Breaking Bad geht zu Ende, nach fünf Jahren und ebenso vielen Staffeln, mit der 62. und letzten Folge, am 29. September, um neun Uhr Eastern Daylight Time.

Gilligan hat selbst das Drehbuch dazu geschrieben und Regie geführt, das macht er nur noch alle Jubeljahre. Er reist sogar durch die Welt, um den Leuten zu erklären, warum es besser so ist. Noch nie hat es um den Schluss einer Fernsehserie ein derartiges globales Drama gegeben.

Vermutlich, weil noch keine Fortsetzungsshow der Fernsehgeschichte mit so viel gebremster Wucht, solchem existenzphilosophischem Aplomb, so viel heißer, schluchttiefer Verhängnisliebe auf ihr eigenes Ende zugesteuert ist, von der ersten Episode an. Walter White, Chemielehrer in New Mexico, gespielt vom stummen Teufel Bryan Cranston, bekommt gleich in der Pilotfolge die Lungenkrebsdiagnose, tödlich, keine Chance auf Heilung. Er will für die Familie vorsorgen. Startet mit seinem Schüler Jesse das Drogenlabor, wird dann nacheinander zu King Koks, zum Rächer, Albtraum, Allmachtsphantastiker, schwarzen Loch, zum Phantom auf der Pinnwand der Polizei.

Alles, jedes System kann man mit Breaking Bad erklären. Die Freiheit des Menschen, die Unausweichlichkeit des Bösen, und selbst richtig große Werke wie die Sopranos oder The Wire kommen in dieser serienverrückten Welt nicht an gegen die Sonnenfinsternis, die Vince Gilligan da bestellt hat. Am Anfang lockte der Pay-TV-Kanal AMC damit rund eine Million Amerikaner pro Woche. Den Einstieg in die letzte Breaking Bad-Staffel guckten Anfang August fast sechs Millionen, weltweit mitsamt Internet, Raubkopien und so weiter wohl dreimal so viel.

Wie schlecht kann schlecht sein?

Und hier sitzt Gilligan und weiß, wie es ausgehen wird. Wie das letzte High Noon zwischen Walter und seinem Schwager Hank Schrader abläuft, dem Polizisten, der in Folge 55 endlich gemerkt hat, dass der staatenweit gesuchte Drogenbaron bei ihm auf der Veranda sitzt und mit den Kindern spielt. Ob der grauenhafte Held am Ende sterben wird und wenn ja, wie, durch Selbstmord, Schießerei, Organversagen. Blogs und Nachrichtenseiten überbieten sich derzeit mit Listen aller denkbaren Szenarien.

Die International Business Times schlug vor, Walter könne nach Kuba auswandern und an einer Schule arbeiten. Gilligan kennt das Ende, er hat es selbst geschrieben, aber man fragt ihn nicht danach. Man hofft, dass er nicht aus Versehen irgendwas verrät. Seit Wochen schleichen alle um diese letzte Breaking Bad-Schicksalsfolge herum wie um ein leicht entzündliches Fass. Aber wenn es hochgeht, dann wollen doch alle beisammen sein, als Community, wenigstens virtuell.

Wie Schach mit zehn Armen und 20 Gegnern

Sie hätten sich die denkbar größte Mühe gegeben, er und seine sechs Autoren, sagt Vince Gilligan. Ein Jahr lang fummelten sie an diesem Ende herum, malten 16 Kästchen an die Wand, für jede der letzten Folgen eins, und tarierten aus, wie viel Resthandlung in jedem drin sein musste, damit zum Schluss nichts überlappt. Es war wie Schach, mit zehn Armen und 20 Gegnern. Manchmal konnte er nachts nicht schlafen. Wie man im Jahr 2013 eine Serie dieser Tragweite, dieser immensen Pferdestärke richtig beendet, das bringt einem keiner bei. Da ist man der erste.

Es hatte auch sanften Druck gegeben. "Einige der beteiligten Firmen waren nicht begeistert, als ich ihnen sagte, dass wir aufhören wollen", erzählt Gilligan. Man könnte denken, er untertreibt noch. Natürlich war Breaking Bad nach vier Jahren so weit, dass die Produzenten von Sony Pictures und der Sender AMC erst so richtig zu profitieren begannen von der Anschub- und Entwicklungsfinanzierung. Die Kurve ging noch nach oben, also ein wirtschaftlich geradezu dämlicher Punkt, um aufzuhören. Es muss Ärger gegeben haben.

Erst wollte AMC nur eine verkürzte letzte Staffel, Sony suchte schon nach einem neuen Sender, bis man sich einigte. Und man glaubt dem Serienvater sogar, dass es ihm wirklich nur ums Narrative, Ästhetische ging, um das Gefühl, die Story habe ihre Reiseflughöhe verlassen, setze zur Landung in der Wüste an. Die Fehler, die ihnen damals bei Akte X unterlaufen waren, die habe er nicht noch einmal machen wollen, sagt Gilligan. Sieben Jahre war er im Team der Ufo-Geschichte gewesen, bis Staffel neun, und zum Schluss liefen ihnen die Fans davon, weil man auch den schönsten Plot eben nicht unendlich oft twisten kann.

Irgendwann geht es nicht mehr weiter

Ganz früher gab es die Serien, die dafür ausgelegt waren, niemals zu Ende zu gehen (und manche von ihnen laufen ja noch, wie die Lindenstraße). Dann die, die zunehmend so bescheuert wurden, dass sie sich selbst die Gurgel zudrehten. Die, die ohne Schluss verschwanden (wie das großartige Bored To Death), weil dem Sender plötzlich das Geld zu schade war. Und Fälle wie die Sopranos, bei denen im Finale von Staffel sechs einfach der Bildschirm schwarz wurde, worüber sich viele Leute heute noch richtig aufregen können.

Irgendwie ist bei Breaking Bad alles anders. Bei dieser Geschichte, die vom Start weg schon den tödlichen Ausgang in sich eingeschrieben hatte. Die wie keine andere Fernsehsendung der letzten Jahre dem wahren, bitteren, nicht im Geringsten religiösen Prinzip gefolgt ist, dass jede menschliche Handlung ihre Konsequenzen hat. Und dass es deshalb, so ungern man es hört und so wenig interaktiv das auch ist, irgendwann nicht weitergeht.

Alle werden sich an den Händen halten am Abend des 29. September. Es wird eines dieser verbindlichen, weltweiten Live-Ereignisse, die es dem soziokulturellen Forschungsstand nach heute gar nicht mehr geben dürfte. Das letzte Harry-Potter-Buch ist ein Witz dagegen, allein schon, weil es sechs Jahre her ist. Eine Ewigkeit.

"Im Grunde ging es bei Breaking Bad ja darum, wie ein guter Mensch nach und nach zu einem schlechten wird", sagt Vince Gilligan. "Nach einiger Zeit stellt man sich da nun mal die Frage: Wie schlecht kann schlecht sein? Wann ist man am Limit?" Und: Wird es nicht doch irgendwann noch einen Kinofilm geben? Vielleicht, antwortet er. Wahrheitsgemäß. Er scheint die Idee richtig mies zu finden.

In Deutschland laufen die letzten Breaking Bad-Folgen beim Pay-Sender AXN dienstags um 21 Uhr im Original und von 9. Oktober an auf Deutsch.

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