US-Politik:Megafon des Präsidenten

US-Politik: Scaramucci hatte große Pläne für die Pressearbeit; nach seinem Rauswurf müssen die Journalisten nun doch ohne den angedachten Kummerkasten auskommen.

Scaramucci hatte große Pläne für die Pressearbeit; nach seinem Rauswurf müssen die Journalisten nun doch ohne den angedachten Kummerkasten auskommen.

(Foto: AP)

Die Zehn-Tages-Bilanz von Anthony Scaramucci ist rekordreif. Richtig lange hält den Job des Regierungssprechers aber keiner aus. Über eine Position zwischen hungriger Meute und Staatsgewalt.

Von Stefan Kornelius

Bei zehn Tagen kann man eigentlich nicht von einer Amtszeit und schon gar nicht von einer Ära sprechen. Und dennoch wird Anthony Scaramucci als hübsche Fußnote in die US-Geschichte eingehen. Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses mit der kürzesten Überlebenszeit. Das ist ein Rekord in diesem Gewerbe.

Scaramucci wurde fälschlicherweise immer wieder als Pressesprecher bezeichnet. Das war er nicht. Hierarchisch betrachtet residierte er eine Etage über dem Sprecher, oder in seinem Fall: der Sprecherin des Weißen Hauses. Allerdings führte er sich auf wie ein Sprecher, suchte die Kameras, die Auftritte in den Talkshows, die politische Deutungshoheit.

Seine Zehn-Tages-Bilanz ist jedenfalls beeindruckend: Ein entlassener Pressesprecher (Sean Spicer), ein gefeuerter Stabschef (Reince Priebus), ein paar Dutzend Liebeserklärungen und Unterwerfungsgesten an den Präsidenten, einige gelöschte Tweets wegen politischer Unverträglichkeit, eine gewaltige Ego-Präsentation in Talkshows und im Frühstücksfernsehen, ein zweites Kind, eine geschiedene Ehe und eine Salve an Beleidigungen und Flegeleien, die im amerikanischen Fernsehen traditionell mit einem hohen Piepston überdeckt würden.

Kaum ein Pressesprecher hält es länger aus als zwei Jahre

Sprecher des Präsidenten: Es gibt nicht viele Jobs, die in Washington so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen und so wenig Dank generieren. Denn eigentlich liegt in der Aufgabe ein Widerspruch: Ein Mensch soll im Rampenlicht stehen und den Präsidenten verkaufen, ohne diesem Präsidenten die Bühne zu nehmen oder sich gar von Eitelkeiten oder der geborgten Macht überwältigen zu lassen. Nicht wenige sind deswegen an der Aufgabe gescheitert.

Kaum ein Pressesprecher hält es länger aus als zwei Jahre - oder besser: Kaum ein Präsident hält es länger als zwei Jahre mit einem Sprecher aus. Der Job laugt aus, die Funktion als Scharnier zwischen dem Nachrichtengeschäft im Minutentakt und dem zähen und weniger eindeutigen Behördenbetrieb ist in der politischen Mechanik nicht vorgesehen. Erstaunlich, dass in der gesamten US-Geschichte nur zwei der Sprecher in ihrem Bürostuhl gestorben sind, beide übrigens während der Präsidentschaft von Harry Truman. Todesursache: Herzinfarkt.

Marlin Fitzwater war hingegen einer, der es besonders lange ausgehalten hat unter seinen Präsidenten. Fünf Jahre und 354 Tage diente er erst unter Ronald Reagan und dann unter George H. W. Bush, dem Älteren also. Tatsächlich wird Buch geführt über die Arbeitstage, und jeder Tag länger am Pult wird an die Brust geheftet wie ein Orden nach einer Schlacht.

Fitzwater kennt man noch aus der Tagesschau, rundes Gesicht, kaum Haare, buddhagleich in sich ruhend. Er war der Mann, der während des Kuwait-Krieges mit der grün schillernden Live-Berichterstattung kämpfte. Satelliten-TV war geboren und mit ihm die celebrity journalists, die prominenten Berichterstatter, die sie im Weißen Haus ein bisschen besser behandelten, weil die es so erwarteten und man im Gegenzug auch gut behandelt wurde. Die Fernsehgröße Barbara Walters war so ein Fall, oder die Moderatoren der großen Nachrichtensendungen.

Im Weißen Haus sitzt eine besonders aggressive und hungrige Reportermeute

Tatsächlich herrscht aber nicht selten auch eine tiefe Abneigung zwischen Sprecher und Journalisten, nicht nur in den USA. Fitzwater bezeichnete in einem sehr ehrlichen Moment nach seiner Amtszeit das Pressekorps als "ungewolltes Anhängsel", das sich "wie eine Spitzklette um dein Hosenbein legt".

"Die Leute nervt an Journalisten, dass sie sich ständig ein Urteil bilden müssen", sagte er bereits 1996, um hinzuzufügen: "Gewöhn dich daran, weil es noch schlimmer kommen wird." Fitzwater war natürlich kein Prophet und das Internet noch kein Faktor im Geschäft um Lüge und Wahrheit. Aber tatsächlich benannte er ein Problem, das bis heute zwischen Sprecher und Journalisten ungelöst ist: Wer jeden Tag die dicken Briefingmappen liest, wer die Feinheiten und Komplexitäten einer Regierungsentscheidung kennt, wer auch mal Niederlagen hinnehmen muss im Geschäft von Geben und Nehmen, der empfindet das öffentliche Urteil häufig als harsch, verkürzt und unfair. Fitzwater: "Sieh es doch mal von der persönlichen Seite: Wer findet Kritik oder diese ständige Überwachung toll?"

Im Weißen Haus hat sich ein Sprechergeschäft herausgebildet, dass seinesgleichen sucht. Hier werden Meinungen und Informationen gelenkt. Hier sitzt aber auch eine besonders aggressive und hungrige Reportermeute. Kaum irgendwo residieren Journalisten und das Objekt ihrer Berichterstattung auf so engem Raum, nur getrennt durch eine Wand. Wo immer der Präsident hinfährt, begleitet ihn der deathwatch pool, die täglich neu zusammengestellte Truppe der Dauerbeobachter. Der Präsident könnte ja angeschossen werden wie einst Ronald Reagan. Oder dessen Sprecher James Brady, der die Kugel des Attentäters nur knapp überlebte.

Heute reicht ein Twitter-Konto, um den Gemütszustand des Präsidenten zu lesen

Diese Nähe ist verlockend. Andererseits gehört auch ein gewisser Masochismus dazu, im Tross eines Politikers durch die Welt zu reisen, Worthäppchen aufzuschnappen und anschließend im Filing Center des Weißen Hauses mit Buffet-Essen zugestopft zu werden, weil der volle Magen auch die Trägheit befördert. Von Nähe keine Spur. Wenn man es als ausländischer Korrespondent überhaupt in einen Presseflieger schafft, dann in die letzte Reihe, gleich hinter den Kabelträgern und vor der Toilette. Ganz vorne aber sitzt der Sprecher. Im Falle des US-Präsidenten fliegt er sogar in der Präsidentenmaschine. Zugang? Sehr dosiert und nur für ausgewählte Personen. Für wen? Die großen Leitmedien, New York Times etwa, unter Trump eher Fox oder Breitbart. Zählt der Zugang noch? Schwierige Frage, wo eigentlich ein Twitter-Konto ausreicht, um den Gemütszustand des Präsidenten zu lesen.

Nähe oder Distanz ist das zentrale Thema im Geschäft des Sprechers mit seiner Klientel. Im Weißen Haus gilt, was auch aus London bekannt ist oder in Berlin praktiziert wird: Wertvolle Informationen kommen im Zweifel nicht über den Sprecher, sondern über Mitarbeiter, Beamte, Berater, Abgeordnete. Hier ein Fitzelchen, da ein Hinweis, dort eine Konfrontation. Am Ende ergibt sich ein Bild.

In den deutschen Kanzlerämtern hat man das Prinzip verfeinert. Spätestens seit Helmut Kohl gibt es die inoffiziellen Sprecher, die das Geschäft für eine ausgewählte Klientel besorgen: Eduard Ackermann und später Andreas Fritzenkötter bei Kohl, und heute Eva Christiansen bei Angela Merkel, die nie vor einer Kamera Präsenz zeigen muss wie der eigentliche Regierungssprecher Steffen Seibert. Bei Gerhard Schröder erfüllten die offiziellen Sprecher beide Funktionen, der als "Schweiger" gefürchtete Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye und Thomas Steg. Sie waren Spinmeister, aber auch hohe Regierungsbeamte und Koalitionssprecher. Offizielle Sprecher sind immer auch festgezurrt in einem Geflecht aus Paragrafen, Geheimhaltungsvorschriften, Koalitionszwängen.

Auch im Weißen Haus achtet ein kluger Sprecher auf seine Unangreifbarkeit. "Sei so unpolitisch wie möglich und versuche, deine Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit zu bewahren", sagt Fitzwater. Mike McCurry, einer von Bill Clintons Sprechern, hatte in guter Absicht erlaubt, dass seine Auftritte vor den im Weißen Haus akkreditierten Reportern live übertragen werden durften. Die Sache war ein Quotenkiller, bis Monica Lewinsky die Bühne betrat. Danach verfluchte McCurry jeden Moment, in dem er öffentlich Rede und Antwort stehen musste. Sean Spicer, Trumps erster Sprecher-Tropf (182 Tage) spürte gleich mehrmals die Wucht des Bumerangs, als er Unwahrheiten verbreitete und seine Briefings zum Einschalthit wurden.

Der Präsident jedenfalls war voller warmer Worte, als er Spicer aus dem Job und in die Freiheit entließ. Er dankte dem Sprecher für seine Dienste und sagte ihm Erfolg für seine Zukunft voraus: "Schauen Sie doch nur seine großartigen Einschaltquoten an."

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