Urheberrechtsstreit:Die Eine-Milliarde-Dollar-Klage

Carol M. Highsmith

Carol M. Highsmith auf einem Selbstporträt aus den Achtzigern.

(Foto: Highsmith)

Die US-Fotografin Carol M. Highsmith geht vor Gericht, weil die Bildagenturen Alamy und Getty Images Tausende ihrer Aufnahmen zum Kauf angeboten haben - ohne Erlaubnis.

Von Jürgen Schmieder

Eine Milliarde Dollar. Diese - wohl auch für US-Verhältnisse utopische - Summe möchte die Fotografin Carol M. Highsmith vor einem Gericht in New York von den Fotoagenturen Getty Images und Alamy sowie einigen Abmahnbüros erstreiten. Ihre Schadensersatzklage entwickelt sich gerade zu einem Lehrstück über Urheberrecht und geistiges Eigentum - und deshalb ist auch interessant, warum Highsmith eine Milliarde Dollar fordern kann.

Im Dezember vergangenen Jahres öffnete Highsmith eine an ihre Stiftung "This Is America!" gerichtete E-Mail der Firma License Compliance Services. "Wir haben entdeckt, dass Sie auf Ihrer Homepage ein Foto verwenden, für das Sie keine gültige Lizenz besitzen", schrieb das Abmahnbüro im Auftrag der britischen Fotoagentur Alamy. Die Stiftung möge doch bitte schön die Mahngebühr von 120 Dollar bezahlen und das Bild möglichst schnell von der Seite entfernen. Die Stiftung könne sich gern eine Lizenz besorgen, nach dem Entrichten der Mahngebühr freilich.

Highsmith, 70, staunte nicht schlecht, als sie das Foto überprüfte: Sie selbst hatte es aufgenommen. Mehr noch: Sie hatte diese und viele weitere Aufnahmen der Library of Congress kostenlos zur Verfügung gestellt; dort gibt es seit 1988 ein nach ihr benanntes Archiv, das in den kommenden Jahren auf mehr als 100 000 Fotografien wachsen soll, die sich jeder lizenzfrei herunterladen darf.

"Der Ruf der Klägerin wurde besudelt", heißt es in der Klageschrift

Ein Missverständnis, hieß es daraufhin vom Mahnbüro, natürlich müsse Highsmith die Gebühr nicht bezahlen. Als die jedoch weiter recherchierte, fand sie heraus, dass 18 755 ihrer Bilder bei Getty Images und Alamy ohne ihre Einwilligung gegen Gebühr angeboten wurden, und dass auch andere Unternehmen und Personen bereits abgemahnt worden waren. Sie fordert deshalb pro Bild einen Schadensersatz zwischen 2500 und 25 000 Dollar, insgesamt also erst einmal höchstens 468 Millionen.

"Der Ruf der Klägerin wurde besudelt", heißt es in der Klageschrift: "Sie kam als Heuchlerin daher, weil der Eindruck entstehen konnte, dass sie öffentlich ihre Fotos spendet und hintenrum Geld dafür verlangt." Weil Getty Images in den vergangenen drei Jahren in vergleichbaren Fällen zu Strafen von mehr als einer Million Dollar verurteilt worden sei und sich dennoch offensichtlich uneinsichtig zeige, erhöhe sich die Streitsumme aufgrund der "Bad Faith Business"-Regel auf mehr als eine Milliarde Dollar. Das Gericht müsse ein Exempel statuieren, weil die Beklagten sonst einfach weitermachen würden mit widerrechtlichen Gebühren und Abmahnungen. Immerhin sind die Bilder mittlerweile aus den Datenbanken entfernt worden.

Mindestens so interessant wie die Klage ist nun der Versuch von Getty Images, sich aus dieser misslichen Lage hinauszumanövrieren. Zunächst hieß es in einem Statement, dass es sich um eine Verkettung von Missverständnissen handle, die das Unternehmen aufklären werde. Man werde sich mit der Klägerin einigen. Sollte das nicht möglich sein, stellte Getty klar, dann werde man sich "vehement verteidigen". Die Fotos seien "public domain", also nach amerikanischem Recht öffentlich verfügbar. Darüber freilich schüttelten Experten den Kopf. Zum einen liege das Urheberrecht trotz der Spende noch immer bei Highsmith, zum anderen: Wenn es öffentlich verfügbar sei - warum verlangen Getty und Alamy dann Gebühren dafür?

Wer ein Bild verwendet, das er auch umsonst haben könnte, ist selbst schuld

Wohl deshalb legte Getty Images am Montag noch einmal nach. Das Erstellen und Verwalten einer Bilderdatenbank, heißt es in einer Ergänzung des Statements, koste viel Zeit und Geld. Das Unternehmen stelle seinen Kunden nicht nur Bilder zur Verfügung, sondern auch den Service einer Suchmaschine und sorge zudem für schnelle Bereitstellung und rechtliche Absicherung: "Bildbibliotheken sind deshalb juristisch dazu befugt, Gebühren für öffentlich verfügbare Bilder zu verlangen."

Es gibt etwa die Fotografie von Dorothea Lange mit dem Titel "Migrant Mother", ein legendäres Bild aus dem Jahr 1936, das eine sorgenvolle Migrantin mit ihren Kindern zeigt. Würde die Süddeutsche Zeitung das Foto in der Printausgabe drucken und einen Monat auf der deutschen Nachrichtenseite zeigen wollen, dann müsste sie Getty Images 1025 Dollar zahlen. Würde sie es bei der Kongressbibliothek herunterladen, könnte sie es kostenlos und ohne Restriktionen verwenden.

Zynisch übersetzt bedeutet die Argumentation des Unternehmens: Wer ein Bild verwendet, das er auch umsonst haben könnte, ist selbst schuld. Ob das Gericht dieser Logik folgen wird, erscheint eher fraglich. Rechtsexperten halten einen dreistelligen Millionenbetrag als Schadensersatz für möglich. Eine Firma, die gern mal abmahnt, wird nun verklagt, weil die tatsächliche Urheberin abgemahnt wurde. Auch Getty Images ist irgendwie - selbst schuld.

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