Ulrich Wickert:"Privatsender müssen keine Nachrichten senden"

Der ehemalige "Tagesthemen"-Moderator Ulrich Wickert über den Fall Kachelmann, überflüssige Nachrichtensendungen und seinen neuen Roman.

Christina Maria Berr

Der ehemalige Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert über überflüssige Nachrichten im Privatfernsehen, den Fall Kachelmann und seinen neuen Kriminalroman.

sueddeutsche.de: Sie bringen gerade einen neuen Kriminalroman heraus - Das achte Paradies ist der vierte Fall von Jacques Ricou. Jetzt ist er unter anderem in der georgischen Mafia und ein Berater des französischen Präsidenten, der versucht, die Ermittlungsversuche zu beenden - wie sind Sie auf diese Themenkomplexe gekommen?

Ulrich Wickert: Mein Freund Eric - ein Franzose, der in Nizza gewohnt hat und irgendwann auf sein Boot gezogen ist - hat mir erzählt, wie schrecklich neureiche Russen die Côte d'Azur versauten. Die würden dort mit Geld um sich schmeißen und den Hafenmeister bestechen. Er schimpfte furchtbar. Daraufhin fing ich an, mich mit der Thematik zu befassen, sehr spannend. Die neuen Russen kaufen jetzt ganz Cap Ferrat auf. Daneben gibt es die alten Russen, die Mitte des 19. Jahrhunderts Nizza entdeckt haben, um 1900 eine wunderbare orthodoxe Kathedrale bauten und nach der Revolution hierher flohen. Das Verrückte ist, dass Putin die Kathedrale jetzt zurückhaben will. Zar Nikolaus hat die Kirche damals bezahlt - und der russische Ministerpräsident meint, sie gehöre also auch heute dem russischen Staat.

sueddeutsche.de: Das kommt auch im Roman vor. Dann mischt sich auch noch der jetzige französische Präsident Nicolas Sarkozy in die Ermittlungen der Romanfigur Jacques Ricou ein. Sarkozy kommt nicht wirklich gut weg.

Wickert: Ich gehe eher mild mit ihm um. In meinem Krimi ruft der Berater des Präsidenten bei meinem Untersuchungsrichter an, um eine Untersuchung zu verhindern. Die Wirklichkeit ist schlimmer: Eine unabhängige Untersuchungsrichterin möchte sich um den Fall Betancourt kümmern, das aber will Sarkozy partout verhindern. Ihr wird einfach gesagt: Dein Leben ist bedroht. Das kann man sich bei uns in Deutschland einfach nicht vorstellen.

sueddeutsche.de: Können wir das nicht? Sie haben ja jahrelang guten Einblick in die Politik gehabt.

Wickert: Eine derartige Verquickung können wir uns nicht vorstellen. Allerdings hatte auch ich selbst mal ein sehr unangenehmes Erlebnis: Als Redakteur beim Nachrichtenmagazin Monitor habe ich über den BND recherchiert und über dessen Machenschaften berichtet. Da warnte mich der damalige Kanzleramtsminister Horst Ehmke: Ich solle jetzt mal aufpassen, dass ich nicht aus dem Zug falle. Ich solle jetzt nicht in eine einsame Hütte gehen.

sueddeutsche.de: Und - hatten Sie Angst?

Wickert: Das Dumme war, ich war auf einer einsamen Hütte und irgendwann bekam ich die Angst. Da bin ich früher abgefahren.

sueddeutsche.de: Auch in Ihrem Roman kommt eine ermittelnde Journalistin vor. Wie ist es denn, wenn Journalisten die besseren Ermittler sein wollen?

Wickert: Ich habe bei Monitor viel über Rechtsradikale recherchiert und berichtet. Und ich habe damals mein Wissen mit dem Verfassungsschutz ausgetauscht. Manchmal wusste ich mehr als die, weil Journalisten vielleicht unverfänglicher recherchieren als jemand, der seine geordneten Bahnen dreht.

"Ich bin ja jetzt richtiger Kriminalermittler"

sueddeutsche.de: Darf man denn als Journalist mit dem Verfassungsschutz kooperieren?

Ulrich Wickert: "Eins habe ich gelernt - Angst kann ein gutes Triebmittel sein."

"Mister Tagesthemen" Ulrich Wickert: "Meinetwegen müssen Privatsender keine Nachrichten senden."

(Foto: dpa)

Wickert: Ich fand das völlig in Ordnung.

sueddeutsche.de: Vermissen Sie die investigative Recherche heute?

Wickert: Na, ich recherchiere doch für meine Krimis. Ich bin ja jetzt richtiger Kriminalermittler. Und das macht enormen Spaß.

sueddeutsche.de: Die ARD hat gerade Günther Jauch für eine Talkshow eingekauft - würde Sie so eine Sendung nicht auch reizen?

Wickert: Mich nicht! Ich bin eher der Mann für lange Einzelinterviews. Mit Kohl, Genscher oder Schröder habe ich für Phoenix jeweils Interviews von drei Stunden Länge gemacht.

sueddeutsche.de: Für Jauch gibt das Erste immerhin mhr als 4000 Euro die Sendeminute aus.

Wickert: Wenn die ARD meint, sie braucht Jauch, dann ist das so. Was ich bedauere ist, dass in der ARD zu wenige Moderatoren aufgebaut werden, aus denen später mal Jauchs oder Harald Schmidts werden könnten. Heute wird zu häufig nur nach Leuten gesucht, die nur gefällig sind.

sueddeutsche.de: Sie haben vergangenen November eine große Kritik an den Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen geübt. Wie ist Ihre Bilanz heute darüber?

Wickert: Zuschauer haben mich zugeschüttet mit Zustimmung. Auch aus den Sendern wurden meine Aussagen oft, hinter vorgehaltener Hand, unterstützt. Natürlich kam auch der offizielle Widerspruch. Doch es hat sich einiges geändert. Diejenigen, die über Themengewichtung und Sondersendungen zu politischen Ereignissen entscheiden, denken seit der Kritik mehr darüber nach, welche Themen sie in welcher Form platzieren. Und das finde ich prima.

sueddeutsche.de: Beim Fall Kachelmann war die ARD so zurückhaltend.

Wickert: Der Mann ist absolut vorverurteilt worden. Wir wissen nicht, was da wirklich gewesen ist. Sein Liebesleben gehört nicht in die Öffentlichkeit.

"Da wollen wir den Prozess erst mal abwarten"

Ulrich Wickert

Das Thema Kachelmann gehört für Wickert nicht in die Tagesthemen: "Wir sollen nicht das Privatleben veröffentlichen."

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Wenn es nun zum Prozess kommt, sollte die ARD berichten?

Wickert: Es gibt doch Sendungen wie Brisant, wo das hineingehört, aber nicht in die Tagesthemen. Wir haben in den Tagesthemen nicht berichtet, als Gerhard Schröder sich scheiden ließ. Wir sollen nicht das Privatleben veröffentlichen. Es gibt ja viel zu viele Menschen, die davon leben, dass sie ihr Leben in die Öffentlichkeit bringen und so zu einer Figur werden. Privates gehört aber nicht in eine Öffentlichkeit.

sueddeutsche.de: Die ARD hat gesagt, solange Kachelmann nicht verurteilt ist, wird man an der Zusammenarbeit mit seiner Firma Meteomedia nichts ändern. Im Falle einer Verurteilung würde man neu darüber nachdenken.

Wickert: Was sollte denn eine Verurteilung - so es denn eine gäbe - mit der Berichterstattung des Wetters im Ersten zu tun haben? Sie sagen doch auch nicht: Ich kaufe dieses oder jenes Auto nicht, weil der Chef der Firma ein Delikt begangen hat. Das hängt überhaupt nicht zusammen.

sueddeutsche.de: Aber Herr Kachelmann würde dann als Moderator nicht mehr zur Verfügung stehen.

Wickert: Da wollen wir jetzt erst mal den Prozess abwarten.

sueddeutsche.de: Sie haben damals die Berichterstattung zur Bundestagswahl als Anstoß ihrer Kritik genommen. Wie war es denn bei der Wahl von Christian Wulff zum Bundespräsidenten?

Wickert: Da habe ich natürlich ferngesehen. Und es war faszinierend, den ganzen Tag einen politischen Ablauf durch das Fernsehen mitzuerleben. Das ZDF bereut vermutlich heute noch, dass es abends Unterhaltung gesendet hat. Die Zuschauer sind mehrheitlich bei der ARD geblieben, die weiter über Wulff berichtete. Ich glaube, Ulrich Deppendorf hat zehn Stunden moderiert.

sueddeutsche.de: Und Sie haben ihm zehn Stunden zugehört?

Wickert: Ja, es war einfach spannend, weil man wirklich mitbekam, was da politisch vor sich gegangen ist.

sueddeutsche.de: Ein anderes großes Schwerpunktthema zur Primetime war für die ARD Lenas Sieg beim Eurovision Song Contest. Diese Nachricht war offenbar wichtiger, als das Öl-Loch im Golf von Mexiko.

Wickert: Puristisch gesagt, ist natürlich das Loch wichtiger, aber wenn eine ganze Nation fiebert, dann muss man Lena nehmen. Fußball wird auch von Puristen an das Ende der Tagesschau gesetzt, aber wenn die Nationalmannschaft etwas Besonderes leistet, darf man damit auch die 20-Uhr-Nachrichten beginnen.

"Meinetwegen müssen Privatsender keine Nachrichten senden"

sueddeutsche.de: Die ARD und der Privatsender Pro Sieben kooperieren für den Eurovision Song Contest noch einmal - ist das der richtige Weg?

Wickert: Ich finde es richtig, dieses Herunterschauen der Öffentlich-Rechtlichen auf die Privaten abzubauen. Vielleicht trägt diese Kooperation dazu bei. In den Privaten gibt es ja gute Sendungen: RTL hat beispielsweise Spiegel TV, es gibt gute Dokumentationen auf Vox und Pro Sieben. Und ich bin ein ganz großer Fan von 24 und Mad Men. Diese US-Serien laufen nicht im Öffentlich-Rechtlichen, obwohl deren Qualität meist über dem liegt, was ARD und ZDF selbst produzieren.

sueddeutsche.de: Die Nachrichtensendungen werden bei den Privatsendern aber gekürzt. Der Nachrichtensender N24 wurde gerade von der ProSiebenSat1-Gruppe verkauft.

Wickert: Das war das Beste, was man machen konnte, weil der neue Eigentümer Stefan Aust, einst Spiegel-Chefredakteur, wirklich ein hervorragender Nachrichtenjournalist ist und mit dem Aufbau von Spiegel TV bewiesen hat, dass er von Qualitätsfernsehen etwas versteht. So wird sich N24 zum Positiven hinentwickeln.

sueddeutsche.de: Und wie sehr sollen Nachrichten im Privatfernsehen vertreten sein?

Wickert: Also, ob ich nun auf RTL oder ProSieben Nachrichten sehe oder nicht - für mich ist das nicht wichtig. Denn das, was im Privaten an Nachrichten gesendet wird, ist doch sehr bunt und sehr krawallig. Meinetwegen müssen die Privatsender keine Nachrichten senden.

sueddeutsche.de: Ein Argument der Privaten ist ja, dass die Zuschauer sich nicht für Nachrichten interessieren. Sie selbst mussten erfahren, dass das von Ihnen herausgegebene Nachrichteninternetportal Zoomer eingestellt werden musste.

Wickert: Leider, zoomer.de war ein Opfer der Finanzkrise. Wir haben ja mit 45 Journalisten angefangen. Da können Sie sich vorstellen, wie teuer das war.

"Journalismus muss auch im Netz bezahlt werden"

sueddeutsche.de: Medien im Netz sollen möglichst nichts kosten - wie soll da Journalismus im Internet funktionieren?

Wickert: Das Internet ist für mich keine Gefahr, sondern eine neue Transportplattform. Im Netz gibt es viel Müll oder Überflüssiges, aber auch einige gut schmeckende Trüffel - und die, die die Trüffel ins Netz stellen, merken, man kann sie verkaufen oder vermarkten. Ein gutes Beispiel ist Mediapart - die Internetplattform eines ehemaligen Chefredakteurs von Le Monde. Mediapart hat die ganze Betancourt-Geschichte ausgegraben. Auf dieser Site muss man aber für Artikel einen Euro zahlen. Und das funktioniert. Journalismus muss eben auch im Netz bezahlt werden.

sueddeutsche.de: Zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und der Regierung gibt es gerade einige Jobwechsler. Kanzleramtssprecher Ulrich Wilhelm ist vor kurzem als neuer Chef des Bayerischen Rundfunks bestimmt geworden, ZDF-Moderator Steffen Seibert übernimmt im August dessen Posten bei Merkel. Nach dem Fall Brender scheint eine Verquickung von Politik und Medien besonders kritisch.

Wickert: Wenn ein Sprecher der Kanzlerin, der anwesend war bei Entscheidungen, die den Journalismus betreffen, direkt BR-Intendant wird, entspricht das eigentlich nicht der idealen Trennung von Staat und Medien. Umgekehrt hat es immer Journalisten gegeben, die es hochinteressant finden, so nah an der Macht zu sein. Das kann ich verstehen. Aber dann sollte man in der Politik bleiben.

sueddeutsche.de: Hätten Sie sich auch einen Wechsel in die Politik vorstellen können?

Wickert: Ich bin vielleicht ein zu knorriger Typ, als dass man mich je gefragt hätte.

sueddeutsche.de: Gucken Sie denn noch "Ihre" Nachrichtensendungen in der ARD?

Wickert: Ich bin ja ein Abhängiger. Seitdem die Tagesthemen an das heute-journal anschließen, gucke ich heute-journal und danach die Tagesthemen, auch um zu sehen, wer macht das besser?

sueddeutsche.de: Und?

Wickert: Ist doch logisch, dass die Tagesthemen meist besser sind!

Ulrich Wickert, Das achte Paradies, Piper Verlag 2010.

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