TV: "Der verlorene Sohn":Zurück als Fremder

Was treibt einen jungen Deutschen in die islamistische Szene? Ein Fernsehfilm sucht Antworten. Dabei bleiben Lücken offen - und Chancen des Themas ungenutzt.

Harald Hordych

Der Film mit dem Titel Der verlorene Sohn spielt auf sensiblem Gebiet. In einem Klima, das nach den jüngsten Terrorwarnungen leicht in Hysterie umschlagen kann, erzählt er die Geschichte eines jungen Deutschen, der den muslimischen Glauben angenommen hat und in den Bannkreis islamistischer Terroristen geraten ist.

Der verlorene Sohn

Nach zwei Jahren Haft in Israel ist Rainer Schröder (gespielt von Kostja Ullmann) zurück in Deutschland. Der islamistischen Gewalt seiner einstigen Verbündeten habe er abgeschworen, beteuert er. Doch der Verschlossene zieht bald den Verdacht seiner Familie auf sich.

(Foto: NDR/Georges Pauly)

Das glaubt jedenfalls der Verfassungsschutz. Der junge Mann (Kostja Ullmann) trägt einen Allerweltsnamen und ist in einem Allerweltsdeutschland mit Sportvereinen und Einfamilienhaus-Siedlungen aufgewachsen.

Die Mutter geht ganz in ihrer Arbeit als Handballtrainerin auf, sein Bruder (Ben Unterkofler) lässt sich wie Millionen andere Teenager auf dem Bett von Rockmusik bedröhnen und schätzt Computerspiele.

Der Film beginnt mit der Ankunft Rainer Schröders am Flughafen. Er wird nach zweijähriger Haftstrafe aus Israel abgeschoben. Er hatte versucht, 12.000 Dollar illegal einzuführen. Die Kamera zeigt in Nahaufnahme seinen Nacken, so werden Opfer gefilmt, denen Schlimmes bevorsteht, Verfolgung und Ablehnung zum Beispiel.

Nach kurzer Wiedersehensfreude bleibt er Mutter und Bruder fremd, auch wenn er sagt, dass er der Gewalt abgeschworen hat. Aber der Koran liegt auf seinem Bett, und er möchte mit seinem muslimischen Namen Omar angesprochen werden.

Reiz des Ungeheuerlichen

Der ernste, verschlossene junge Mann mit den dunklen, geschorenen Haaren wird weiter beschattet, obwohl die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hat. Stefanie Schröder (Katja Flint) versucht, ihren geliebten fremden Sohn zu verstehen und ihm zu helfen.

Der als intensives Kammerspiel inszenierte Krimi bewegt sich geraume Zeit sehr schön auf dem schmalen Grat zwischen Drama und Thriller. Er entwickelt eine feine Spannung aus den Gegensätzen, die alle spüren, die sie ausblenden wollen, die sie befangen machen und zunehmend verzweifeln lassen.

Am Ende steht Ratlosigkeit

Der verlorene Sohn erzählt allerdings zwei Geschichten, die sehr relevant sind, gerade nicht: Wie schwer es einem gemacht wird, der zurückkommt, selbst, wenn er wieder ins alte Leben wollte. Und wie einer, der nicht zurückkommen will, überhaupt so werden konnte.

Die Geschichte, für die sich der Film schließlich entscheidet, ist die spektakulärste, aber auch die spekulativste. Sie ergibt sich dem Reiz des Ungeheuerlichen: Eine Mutter muss erkennen, dass ihr Kind tatsächlich zum verblendeten Attentäter geworden ist. Das Rätsel, das Rainer Schröder für seine Familie darstellt, das bleibt er dann auch für den Zuschauer.

Stärken gibt es einige. Da ist der knappe Dialog, die Ambivalenz der Figuren, wie die des undurchschaubaren LKA-Beamten Buchner (Werner Wölbern), eine reduzierte musikalische Unterlegung, und da ist die überzeugende Regie von Nina Grosse, der dramatische Schluss ist mit geschliffener Eleganz inszeniert.

Aber ausgerechnet die Ankündigung der Drehbuchautoren, Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer, zu erzählen, wie eine Mutter darauf reagiert, wenn sich ihr Sohn zum Terroristen entwickelt, erfüllt der Film nicht.

Rainers Ansichten sind die in wenige Sätze handlich verpackten Anklagen gegen den westlichen Lebensstil, also aggressive Versatzstücke der Ablehnung, wie man sie kennt.

Lieber auf Nummer sicher

Sicher, Rainer fühlt sich von der Oberflächlichkeit unserer Konsumgesellschaft, der Dumpfheit seines Elternhauses abgestoßen. Doch warum er dann den Islam und bald den radikalen Islam entdeckt, warum er in Ausbildungslager geht und warum er, isoliert und sich abkapselnd, nicht zurückfindet, diese Fragen und Antworten darauf werden ausgeklammert.

Offenkundig, weil die seelische Not der einsamen Mutter, die nachts - reichlich rührselig - allein im Bett mit dem Foto ihres verstorbenen Mannes spricht, uns näher sein soll als der verstockte Fremde.

Eine Perspektivverschiebung weg von uns hin zum Unbekannten wäre bei diesem hochaktuellen, sehr diffizilen Thema das wirklich Spannende gewesen. Das Fernsehen geht da lieber auf Nummer sicher.

Der verlorene Sohn lässt einen so am Ende ratlos zurück, wie oft am Ende einer Nachricht im Fernsehen oder einer Zeitung: Man weiß nicht, was in diesen Menschen vorgeht.

Dass jemand, der zur lebenden Bombe wird, unnahbar, aggressiv und bedrohlich wirkt, ist bei Kostja Ullmann eindrucksvoll zu beobachten, aber nicht sehr überraschend. So wirken Menschen nun mal, die zu allem entschlossen sind. Und so treibt dieser Film auf das kalkulierte, betont dramatische Finale zu.

Zugunsten einer spektakulären Zuspitzung wird eine Chance vertan, mit durchweg glänzenden Schauspielern und einer sehr präzise und konzentriert arbeitenden Regie einen nicht vertrauten Lebensweg zu erhellen.

Die NDR-Produktion hat übrigens nach Drehschluss im November 2008 zwei Jahre auf einen passenden Sendeplatz warten müssen. In dieser Zeit ist Deutschland von so einem im Film abgehandelten Szenario verschont geblieben.

An diesem Mittwochabend konkurriert Der verlorene Sohn mit dem Champions-League-Spiel des FC Bayern in Mailand. Der Film ist ein gutes Alternativprogramm.

Der verlorene Sohn, Mittwoch, ARD, 20.15 Uhr.

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