TV-Talkerin Maybrit Illner:"Wir machen die genialste Sendung der Welt"

Wie radikal muss Fernsehen sein - und wie radikal ist Maybrit Illner? Ein Talk übers TV-Talken: Was Gottschalk und gestürzte Minister für die Quote bringen und wieso abends so viel gequasselt wird.

Christopher Keil

SZ: Frau Illner, vor drei Wochen hatten Sie eine Runde mit Thomas Gottschalk, es ging um gute und schlechte Unterhaltung. Richtig gut war die Sendung nicht. Ist Unterhaltung schwerer als Politik?

Maybrit Illner

Was ist gute Unterhaltung? Maybrit Illner talkt im Zweiten - und bekommt im Ersten bald noch mehr Konkurrenz.

(Foto: ZDF/Carmen Sauerbrei)

Maybrit Illner: Fanden Sie? Wir reden nicht jede Woche über das Fernsehen und auch nicht über Unterhaltung im Fernsehen, das stimmt. Aber mich hat auf eine fast naive Art die Antwort auf die Frage interessiert, was eigentlich gute Unterhaltung ist. Da kann man sehr unterschiedlicher Auffassung sein. Und wir wollten wissen, ob öffentlich-rechtliches Fernsehen der Castingshow-Gesellschaft etwas entgegensetzen sollte. Da muss nun wirklich nicht gleich ein Programmentwurf herauskommen.

SZ: Die Quote war erstaunlich hoch, so hoch wie seit drei Jahren nicht mehr. Ärgert Sie das? Sie haben in diesen drei Jahren viele komplizierte Themen abgearbeitet, aber Gottschalk holte die Menschen ab.

Illner: Ich bin überhaupt nicht verärgert. Genauso haben wir uns das gewünscht. Die 3,9 Millionen Zuschauer waren sicher auch Thomas Gottschalk zu danken. Aber eine Woche später hatten wir 3,4 Millionen, und es ging um Herrn zu Guttenberg.

SZ: Hätten Sie nicht Lust, mehr über Unterhaltung und Gesellschaft zu sprechen, den Regelkreislauf der politischen Debatten radikal zu durchbrechen?

Illner: Das machen wir doch ständig! Wir haben uns von Beginn an nicht auf das politische Personal und politische Themen im engeren Sinne beschränkt. Wir reden über die Frauenquote mit Maria Furtwängler, wir reden über den Kommunismus mit Claus Peymann, wir reden über Stuttgart 21 mit Judith Holofernes, der Sängerin der Band Wir sind Helden. Ich finde uns reichlich radikal.

SZ: Was interessiert Sie persönlich?

Illner: Es klingt banal, aber wir leben in wirklich aufregenden Zeiten. Ich bedanke mich nicht nur dreimal am Tag für den Beruf, den ich ausüben kann, sondern wir spüren jede Woche, wie irrsinnig rasch sich die Welt verändert. Und gleichzeitig wächst die Ratlosigkeit derer, die politische Entscheidungen zu treffen haben. Das interessiert mich.

SZ: Wächst die Ratlosigkeit in der Vermittlung der Themen?

Illner: Überhaupt nicht. Die besten Lösungsvorschläge kommen meist nicht aus der Politik. Wir stellen immer wieder fest, dass die Leute uns schauen, weil auch sie diese Ratlosigkeit spüren. Das macht sie aber nicht apathisch, sondern aktiver. Im Grunde sind wir wie das Internet: das Medium für aktive Leute.

SZ: Auch die Schwarmintelligenz des Netzes hat zu Guttenberg gestürzt. Wie erfolgreich ist der YouTube-Kanal Ihrer Sendung?

Illner: Wir haben es bisher auf 600.000 Klicks auf unserem Kanal gebracht, über 1,5 Millionen Mal wurden unsere YouTube-Videos heruntergeladen. Das alles nutzt auch dem ZDF, weil die Debatten in den Sender-Chats weitergehen. Inzwischen haben wir eine Facebook-Seite mit ein paar tausend Freunden. Das ist wirklich ordentlich.

"Sie sehen mich furchtlos und entspannt"

SZ: Bisher haben Sie donnerstags konkurrenzbefreit diskutieren können. Nach der Sommerpause wird Ihnen die ARD mit fünf Talkshows wöchentlich auf die Pelle rücken. Reinhold Beckmann, der bisher montags zu sehen war, wird mindestens 30 Minuten direkt gegen Sie antreten, und Beckmann führt gerne politische Gespräche. Was nun?

Illner: Sie sehen mich furchtlos und entspannt, weil wir glauben, dass das gut gehen wird.

SZ: Für Sie? Was spricht dafür?

Illner: Erstens gehen wir davon aus, dass wir die genialste Sendung der Welt machen, ganz klar. Zweitens spricht dafür, dass sich Talkshows bislang nicht gegenseitig beschädigt haben, wenn ihre Zahl wuchs. Als Frank Plasberg mit Hart aber fair aus dem dritten Programm in die ARD kam, hieß es auch, das werde den Untergang des Genres beschleunigen. Das Gegenteil war der Fall. Drittens senden wir am Donnerstag eine halbe Stunde früher als Beckm ann. Und konkurrenzlos waren wir auch vorher nicht. Einen Kampf um die Gäste und die besseren Themen hat es immer schon gegeben. Keine Ahnung, ob wir uns jetzt kannibalisieren. Ich glaube, da hat die ARD eher ein Problem als wir.

SZ: Die ARD entwickelt bereits eine Systematisierung der Gästelisten, sie plant den Aufbau einer entsprechenden Datenbank.

Illner: Da kann ich nur sagen, schön, dass wir die Sorgen nicht haben. Wir müssen uns nicht mit uns koordinieren. Und wir haben seit elf Jahren einen Sendeplatz, den jeder kennt.

SZ: Wissen Sie eigentlich, ob der Zuschauer die vielen Talkshows noch bewusst unterscheiden, also einem Sender zuordnen kann? So verschieden ist das doch alles überhaupt nicht.

Illner: In erster Linie unterscheiden sich die Sendungen durch ihre Moderatoren. Und da die Welt aufregend bleibt, leben die Talkshows fort. Und sie leben offenbar so großartig fort, dass die ARD beschlossen hat, noch eine dazu zu kaufen.

SZ: Widerspruch: Die ARD hat nur ihre überzahlreichen Talk-Spezialisten befriedet, in dem jeder eine Sendung machen darf, das war eine emotionale Entscheidung. Noch einmal gefragt: Beschäftigt Sie die gestiegene Masse Talkshow überhaupt nicht?

Illner: Ich weiß nicht, ob die eine Sendung mehr nun schaden wird. Wenn in einer Stadt auf engstem Raum fünf Restaurants sind, dann kann das gut gehen, und alle sind voll. Es muss nur nicht bedeuten, dass sich das Nachtleben nennenswert verbessert. Aber ich bin nicht der Restaurant-Tester der ARD.

SZ: Sehen Sie sich eigentlich im direkten Vergleich mit Beckmann oder eher mit Jauch, der wie Sie eine grundsätzlich klar umrissene politische Talkshow mit Anspruch führen soll?

Illner: Ganz ehrlich, ich denke darüber nicht nach. Ich weiß nicht, welche Sendungen Reinhold Beckmann und Günther Jauch machen werden. Klar, Talk ist, Talk bleibt Talk. Man wird auch bei der ARD das Fernsehen nicht neu erfinden können. Man kann die Aufstellung ändern. Das haben sie getan und aus der Vierer- eine Fünferkette gemacht.

SZ: Auch Maybrit Illner verändert sich. Die Studiokulisse wird gerade renoviert. Mit welchem Ziel?

Illner: Wir verändern uns eigentlich immer, und die Idee dazu ist anderthalb Jahre alt. Unsere Fototapete im Hintergrund war schon ein bisschen angeknabbert. Das neue Studio (erstmals am 31. März zu sehen) wird technischer sein, das Publikum rückt näher an die Diskutanten, wird noch mehr einbezogen. Wir setzen uns enger zusammen, es wird neue Farben geben: Weiß, Lila, Grau, neue Stühle, ein neues Design.

SZ: Das ist alles?

Illner: . . . uuund es wird eine digitale Wand geben, das ist die größte Veränderung. Das, was uns in der Sendung besonders wichtig ist, kann länger präsent sein, multipliziert werden auf eine große Fläche. Die Gäste, die emotionalen Höhepunkte werden optisch vergrößert. Form folgt Inhalt. Wir freuen uns drauf.

"Ich könnte glatt noch 500 machen!"

SZ: Schauen Sie sich eigentlich Talkshows anderer Länder an?

Illner: Wir gucken regelmäßig, was die Engländer und die Franzosen auf diesem Gebiet machen. Wir schauen auf die Holländer, die sind auch gute Entwickler. Aber die Definition unserer Sendung bleibt gleich: Es soll um Positionen und Haltungen gestritten werden. Das heißt, wir wollen keine Porträts von Menschen liefern wie in den Personality-Talks und keine "Sozialpornos" wie in kommerziellen Sendern. Wir versuchen zu verstehen, worin die Interessenkonflikte in diesem Land bestehen.

SZ: Was ist wichtiger: das aktuelle Thema der Woche oder der smarte Ansatz einer These, in der sich das frühe Erkennen von Entwicklungen ausdrückt?

Illner: Wir wollen das Thema der Woche diskutieren.

SZ: Wie alle. Langweilt Sie das nicht?

Illner: Dann wäre Aktualität langweilig. Es gibt Themen, siehe zu Guttenberg, die sind so mächtig, da wache ich nicht auf und denke: Wir müssen, um uns unbedingt zu unterscheiden, über die Unternehmenssteuerreform reden. Das wäre Blödsinn.

SZ: Was hat die Talkshow für Aufgaben? Müsste sie nicht auch einmal neue relevante Sachverhalte herausarbeiten?

Illner: Das tut sie ständig, mit echten Entdeckungen an Leuten und Ideen, die bis dahin keiner kannte. Aber eine Talkshow muss nicht investigativ sein. Ihre Aufgabe ist es, einen guten Seismografen dafür zu haben, was Menschen politisch bewegt.

SZ: Kerner und zu Guttenberg in Afghanistan: richtig oder falsch?

Illner: Wenn ich Kerner gewesen wäre, hätte ich die Sendung wohl auch gemacht. Wäre ich zu Guttenberg gewesen, hätte ich sie nicht gemacht.

SZ: Wie lange wollen Sie überhaupt noch Talkshow machen?

Illner: So lange sie Spaß macht. Alles ist möglich. Oder, wie Martin Walser sagt: Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr.

SZ: Walser, wäre der nicht ein etwas anderer Gast für Ihre Sendung.

Illner: Den kriegen wir nicht von seinem Hügel herunter. Im Herbst feiern wir unsere 500. Sendung. Ich könnte glatt noch 500 machen! Ich kann mir allerdings auch vorstellen, irgendwann nur noch zu schreiben. Und genau so gut kann ich mir vorstellen, beim Internetfernsehen Web 3.0 dabei zu sein. Ich werde mich selbst überraschen.

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