TV-Talk zum Fall Böhmermann:"Auch Diktatoren haben Menschenwürde"

TV-Talk zum Fall Böhmermann: Sandra Maischbergers Gäste (von links): Stephan Mayer, Ralf Höcker, Ulrich Kienzle, Idil Baydar, Jürgen Trittin und Ozan Ceyhun

Sandra Maischbergers Gäste (von links): Stephan Mayer, Ralf Höcker, Ulrich Kienzle, Idil Baydar, Jürgen Trittin und Ozan Ceyhun

(Foto: Michael Fehlauer)

Bei "Maischberger" geht es um die Frage, ob irgendwer noch irgendetwas zur Staatsaffäre Böhmermann beizutragen hat. Das ist überraschend unterhaltsam.

TV-Kritik von Julian Dörr

Um den Zustand der Medienrepublik Deutschland in Zeiten der Staatsaffäre Böhmermann zu beschreiben, zitiert man am besten den Münchner Kabarettisten Karl Valentin: "Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen." Vorhang auf also für die Sendung von Sandra Maischberger.

Zum zweiten Mal in etwas mehr als einer Woche ist Böhmermann Thema in einem Polit-Talk der ARD. Seit Anne Will am vorvergangenen Wochenende ist zwar einiges passiert: Die Bundeskanzlerin hat eine mögliche Strafverfolgung des Satirikers Böhmermann bewilligt - nach Paragraf 103, dem viel belächelten Überbleibsel aus der Kaiserzeit, das Merkel bis 2018 auch gleich abschaffen will. Und TV-Moderator Jan Böhmermann hat sich in eine vierwöchige Fernsehpause verabschiedet. Sehr furios, dieses vorläufige Finale der Affäre Böhmermann. Doch die großen Fragen, die hinter der Debatte liegen, sind die gleichen geblieben - und die hat die in- und ausländische Presse aus jedem erdenklichen Blickwinkel beleuchtet und kommentiert.

Die ARD hindert das natürlich nicht daran, die Anne-Will-Runde von vor gut einer Woche noch einmal neu aufzugießen. Bei Maischberger geht es an diesem Abend um das gleiche Thema, nur Wortlaut und Tonalität wurden etwas verschärft: Aus "Streit um Erdoğan-Kritik: Kuscht die Bundesregierung vor der Türkei?" wurde "Staatsaffäre Böhmermann: Diktiert Erdoğan Merkels Kurs?".

Das Thema scheint dann doch etwas ausgeleiert

Die Personenkonstellation wurde aus dramaturgischen Gründen einfach gespiegelt: Da ist der Merkel-Verteidiger aus der Union (CSU-Politiker Stephan Mayer gibt den Elmar Brok), der Experte (Medienanwalt Ralf Höcker ersetzt den Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen) und der Mensch vom Fach (als türkischstämmige Comedian tritt auf: die Kabarettistin İdil Baydar). Statt der Linken-Politikerin Sevim Dağdelen sitzt bei Maischberger der Grüne Jürgen Trittin, statt des Erdoğan-Verstehers Fatih Zingal gibt es an diesem Abend den Erdoğan-Versteher und deutsch-türkischen AKP-Politiker Ozan Ceyhun. Und weil das Thema Böhmermann doch etwas ausgeleiert scheint, darf als Bonus der Nahostexperte Ulrich Kienzle mitdiskutieren.

Die wirklich spannende Frage an diesem Abend ist also nicht, wie einen die Redaktion von Maischberger glauben lassen will, ob Erdoğan Merkels Kurs diktiert. Die Frage lautet, ob irgendjemand in der Causa Böhmermann noch irgendetwas Neues oder Konstruktives zur Debatte beizutragen hat.

Inwiefern das am Ende gelingt, bleibt so offen wie die Diskussion selbst. Der Versuch jedoch ist überraschend unterhaltsam. Zum Beispiel wenn sich Jürgen Trittin und Medienanwalt Ralf Höcker über weite Strecken der Sendung auf eloquente Weise in juristischem Detailwissen überbieten - ein überaus kurzweiliges Proseminar in Rechtslehre.

Die werden doch nicht ...

Es geht um Paragraf 103, die Sache mit der Majestätsbeleidigung. Um die Unsinnigkeit dieses Gesetzes zu unterstreichen, führt Jürgen Trittin an, der Paragraf schütze Barack Obama ebenso wie Kim Jong Un. Woraufhin Höcker entgegnet: "Auch Diktatoren haben Menschenwürde." Und überhaupt, so der Anwalt weiter, würde er, Trittin, unter Aufgabe von Fakten moralisieren. Der Paragraf 103 schütze eben nicht nur die persönliche Ehre eines Staatsoberhaupts, sondern auch die außenpolitischen Beziehungen des deutschen Staates. Sollte Böhmermann zu drei Jahren Haft verurteilt werden, rechnet Höcke vor, dann bekäme er ein Jahr für die Beleidigung und zwei Jahre für die Störung der diplomatischen Beziehungen. Wenn eigentlich alles gesagt ist, bleiben wohl nur noch irrwitzige Gedankenexperimente.

Irgendwann kündigt Maischberger dann an, Böhmermanns Gedicht, den Casus Belli selbst, noch einmal vorzuführen, um die Diskussionsgrundlage zu veranschaulichen. Kurz schreckt man von der Couch hoch: Die werden doch nicht den aus der Mediathek gelöschten Beitrag noch einmal im Fernsehen zeigen? Nein, tun sie nicht. Aber immerhin gibt es Standbilder der betreffenden Szenen, unterlegt mit Sprechertext, der großzügig aus der "Schmähkritik" zitiert. Erdoğan-Kritiker Ulrich Kienzle lacht, Ozan Ceyhun, Parteifreund des türkischen Präsidenten, ist wütend.

Wieder dreht sich die Diskussion um die Frage, die Deutschland erst beschäftigte und dann zermürbte: Ist das nun erlaubte Satire oder nicht? "Absolut", sagt die Kabarettistin İdil Baydar. Böhmermann habe mit seinen rassistischen Ausführungen strukturellen Rassismus in Deutschland aufgezeigt. "Eine Beleidigung für alle Türken", sagt AKP-Politiker (und ehemaliger SPD-Europaabgeordneter) Ozan Ceyhun. So weit waren wir vor ein paar Wochen auch schon.

Böhmermann als Dynamitstange

Zuweilen scheinen die Illustrationen und Grafiken auf der Videoleinwand im Hintergrund abwechslungsreicher zu sein als die Diskussion im Vordergrund: Böhmermann als Dynamitstange zwischen Erdoğan und Merkel. Viele Böhmermänner, deren Münder mit deutschen und türkischen Flaggen zugeklebt sind. Doch dann - man möchte sagen: endlich - beginnt sich die Runde langsam vom Fall Böhmermann abzuwenden. Im letzten Drittel der Sendung geht es um die Türkei. Da sind die Fronten zwar schnell verhärtet, vortrefflich streiten lässt sich aber trotzdem.

Wer 2000 Menschen wegen Beleidigung verklage, der habe sie nicht alle, der sei "ein Fall für die Psychiatrie", lautet Kienzles finales Urteil über den türkischen Präsidenten. In seinem Land gebe es kein Problem mit der Meinungsfreiheit, kontert Ceyhun wenig später: "Es gibt keine Journalisten in türkischen Gefängnissen." Das seien vor allem Terroristen. Daraufhin eskaliert die Diskussion schnell, alle gegen Ceyhun. Am Ende einigt man sich darauf, sich nicht einig zu sein.

"Alles hängt mit allem zusammen", resümiert Sandra Maischberger, "vielleicht werden wir ja bald etwas von Böhmermann selbst hören." Man muss diese Schlussworte auch ein klein wenig als Hilferuf der deutschen Medienlandschaft lesen.

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