TV-Serien an Feiertagen:Im Streaming-Fernsehen ist kein Platz für Weihnachten

Friends Television Stills

In der Sitcom Friends kam das Weihnachtsgürteltier zu Besuch.

(Foto: Getty)

Die traditionellen Weihnachtsepisoden von TV-Serien werden zum Auslaufmodell. Wie soll man denn auch einen bestimmten Tag feiern, wenn alles jederzeit abrufbar ist?

Von Jürgen Schmieder

Es gibt wenige unnützere und damit unterhaltsamere Debatten als jene, bei denen einzelne Episoden von Fernsehserien in eine Rangliste geordnet werden müssen. Deshalb, aus aktuellem Anlass, eine kleine Anregung für eine Diskussion am dritten Adventswochenende: Welche ist die beste Weihnachtsfolge? Die richtige Antwort kann freilich nur lauten: der rührselige Moment in der vierten Staffel der Mystery-Serie Lost, als Desmond am Weihnachtsabend von einem Boot aus seine geliebte Penny anruft. Es geht um die Gewissheit, dass man im Leben tatsächlich nur einen Menschen braucht, der einen liebt.

Aber es muss natürlich nicht unbedingt Lost sein: Es gibt zum Beispiel auch den Auftritt von Ross Geller als Weihnachtsgürteltier in Friends, das melancholische Betrinken von Joan und Don in Mad Men, das sehr bunte Lichterspiel nach einem sehr turbulenten Weihnachtstag in How I Met Your Mother. Die Animationsserie Die Simpsons hat im Jahr 1989 gar mit einer Weihnachtsepisode begonnen. Es gibt: herzzerreißende Geschichten in The Brady Bunch und I love Lucy, wunderbare Traurigkeit in Cheers und Gilmore Girls und völlig abgefahrene Augenblicke in South Park, Akte X und It's Always Sunny in Philadelphia.

All diese Episoden gehören zum Kanon der amerikanischen Fernsehgeschichte, sie sind aber freilich auch der Beweis für das Selbstverständnis im amerikanischen Unterhaltungskapitalismus, dass TV-Programm letztlich nur Lockvogel und Stimmungsmacher für kaufwütige Konsumenten ist: Die Zuschauerin soll ihrem Ehemann bitteschön dieses Auto mit der riesigen roten Schleife darum kaufen, das sie in einem Werbefilmchen während der Weihnachtsfolgen sieht, wenn der Typ in der Serie auch ein Auto bekommt. Männer sollen ihren Angebeteten gefälligst den feilgebotenen Schmuck kaufen, so wie das die Ehemänner in den Folgen auch tun. Und bereitet einem das Geldausgeben nicht gleich viel weniger Kopfschmerzen, wenn einem Steve Urkel in der Sitcom Alle unter einem Dach beibringt, dass jedes Kind eine einzigartige und wunderschöne Schneeflocke ist, auch wenn es einen in den Wahnsinn treibt? Hach.

Streamingportale, die ganze Staffeln veröffentlichen, können Specials nicht gebrauchen

White Christmas Blues

Bei den Simpsons wird auch dieses Jahr noch beschert.

(Foto: Fox)

Mittlerweile allerdings scheint sich der Aufwand des seriellen Weihnachtsspektakels kaum noch zu lohnen, diesen Eindruck vermittelt zumindest der Blick auf den TV-Adventskalender: Es gab bislang Weihnachtsfolgen der Sitcoms Will & Grace, Bob's Burgers und Superstore, zu Weihnachten wird es Episoden von den Simpsons, Doctor Who und Call the Midwife geben, dazu einige Filmklassiker wie Ist das Leben nicht schön? oder Buddy - Der Weihnachtself, das war's dann aber auch schon. Was ist da los?

Zum einen haben Streamingportale mit ihrer Strategie, alle Folgen einer Staffel gleichzeitig zu veröffentlichen, dafür gesorgt, dass die Produzenten keine Rücksicht mehr nehmen müssen auf die Wünsche der Werbekunden an bestimmten Feiertagen: dem Kaufrausch-Tag "Black Friday" am Thanksgiving-Wochenende etwa, dem Wochenende des Football-Endspiels Super Bowl, zu dem jeder US-Haushalt unbedingt einen neuen Fernseher kaufen soll - oder eben Weihnachten. Wer will schon einen Christbaum im Herbst sehen? An dieser Stelle soll trotzdem erwähnt werden, dass das Finale der ersten Staffel der fantastischen Netflix-Serie Stranger Things durchaus als Weihnachtsfolge durchgehen könnte.

Der zweite Grund für die fehlende Weihnachtsstimmung in den Serien traditioneller Sender liegt darin, dass sie dem Streamingtrend mit inszenierten Events trotzen müssen - also mit Ereignissen, bei denen die Zuschauer live vor dem Fernseher sitzen müssen, wenn sie nichts verpassen wollen: Es gibt deshalb etwa ein Adventskonzert der Sängerin Gwen Stefani, die Liveübertragung der Weihnachtsparade in den Disney-Ferienparks oder Spitzenspiele der Basketballliga NBA am Weihnachtstag. Besondere Serienfolgen an Weihnachten werden so immer unbedeutender.

Den Zuschauer muss das aber nicht weiter grämen, es gibt ja schließlich den Kanon mit den bezauberndsten Weihnachtsfolgen der Fernsehgeschichte. Kann man ja auch mal abarbeiten über die Feiertage. Beim Streamingportal Netflix gibt es eine eigene Kategorie dafür: Ross Geller als Weihnachtsgürteltier in Friends, das Lichterspiel in How I Met Your Mother, die wohl unanständigste Weihnachts-Frage der Geschichte ("Hast du mit meiner Mutter geschlafen?") in It's Always Sunny in Philadelphia. Und, natürlich: den Anruf von Desmond in Lost.

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