"Doctor's Diary": Neue Staffel:Hochzeitsnacht im Sechsbettzimmer

Auch in der dritten Staffel von "Doctor's Diary" ist nichts vorhersehbar, aber alles chaotisch - gerade dadurch besticht die untypische Krankenhausserie.

Hans Hoff

Gretchen Haase ist immer noch eine verklemmte Kuh. Sagt Dr. Marc Meier, und der muss es wissen. Schließlich ist er schon seit Schulhoftagen die heimliche große Liebe des zur Rundlichkeit neigenden Gretchens. Doch auch der smarte Doktor ist der jungen Frau in Weiß nicht abgeneigt.

Eingestehen dürfen sich beide ihre Zuneigung indes nicht, denn dann würde der nun in die dritte Staffel startenden RTL-Serie Doctor's Diary der wohl wichtigste Handlungsstrang fehlen, dann könnte Gretchen nicht einen mordenden Betrüger heiraten, und sich Marc nicht von einer bösen Krankenschwester erpressen lassen, dann würde die Suche nach dem Auslöser einer gefährlichen Seuche nicht halb so klamaukig ausfallen, und es gäbe nicht so viel Raum für bitterböse Dialoge.

Als RTL 2008 mit der ersten Staffel von Doctor's Diary an den Start ging, war das gleich ein doppeltes Wagnis. Zum einen tendierte das Zuschauerinteresse an deutschen Serien gegen null. Der Erfolg war amerikanischen Produkten wie House oder den verschiedenen CSI-Ablegern vorbehalten.

Deutsche Formate überlebten in diesem Klima selten ihre Pilotfolge. Die Sender produzierten zwar in Serie, ließen die fertigen Produkte aber nicht auf die Zuschauer los, weil sie ein Quotendesaster fürchteten.

Dass es RTL in solch einem Umfeld trotzdem versuchte und dabei, durchaus mit einem gewissen Anspruch versehen, die gängigen Erzählmuster gegen den Strich bürstete, darf als Ausweis von Mut bewertet werden. Von Anfang an verweigerte sich Doctor's Diary der Einordnung in ein Schema.

Auf den ersten Blick ist es eine Krankenhausserie wie viele. Bleibt man jedoch eine Weile dabei, erlebt man ein Wechselbad. Da werden Herz-Schmerz-Geschichten erzählt, die von einem Moment auf den anderen in die Darstellung durchaus ernsthafter Probleme münden können.

Wer eben noch einen garstigen Spruch absondern durfte, kann schon im nächsten Moment tot sein oder zumindest so aussehen. Besonders spannend wird es immer dann, wenn es drunter und drüber geht und der Eindruck nicht weichen will, dass hier niemand mehr weiß, wo es langgehen soll.

Trash-Parodie auf "Outbreak"

Natürlich weiß Bora Dagtekin sehr wohl, wohin er will. Der Autor hat für die ARD-Serie Türkisch für Anfänger so ziemlich alle Fernsehpreise abgeräumt, die es zu gewinnen gibt. Trotzdem wirkt das öffentlich-rechtliche Produkt im Nachhinein betrachtet nur wie eine Schreibübung zu Doctor's Diary.

Damals hat Dagtekin noch ausgetestet, wie man seltsam gefärbte Handlungsstränge zu einem chaotischen Zopf zwirbelt, inzwischen beherrscht er diese Kunst und geht gelegentlich noch einen Schritt weiter - dann wedelt der Zopf mit dem Kopf.

Das zeigt sich bei der dritten Staffel von Doctor's Diary. Die sollte ursprünglich wieder um den Sommer herum ausgestrahlt werden, doch offensichtlich will man die inzwischen zum Vorzeigeprodukt gereifte Serie nicht so lange auf Eis legen und strahlt sie im quotenstarken Jahresanfangsprogramm aus.

Bringt sie, was man von ihr erwartet, könnte sie sich endgültig als dauerhafte Marke etablieren. Dann würde über die nächste Staffel nicht erst entschieden, wenn die aktuelle schon abgelaufen ist.

Schließlich wussten die Zuschauer am Ende der zweiten Staffel noch nicht, dass es weitergehen würde. Sie sahen nur, wie Gretchen Haase sich anschickte, nicht Dr. Marc Meier, sondern einen Betrüger zu heiraten! Alles war vorbereitet, es fehlte nur noch das Finale der Hochzeitszeremonie, als plötzlich in der Feiergemeinde das große Erbrechen einsetzte. Kotze, Klappe und Schluss.

Die dritte Staffel erzählt nun in der 90-minütigen Pilotfolge, wie die große Seuche bekämpft wird. Anstatt sich in einer Honeymoon-Suite mit ihrem Gatten vergnügen zu dürfen, muss Gretchen die Hochzeitsnacht in einem Sechsbettzimmer verbringen, in dem auch ihr Marc nächtigen muss.

So nebenbei inszenieren die Akteure dann noch so etwas wie eine Trash-Parodie auf den Seuchen-Thriller Outbreak und laufen in einer Art Raumanzüge in billig durch die Gegend. Zusätzlich werden dabei auch die diversen Betrügereien und Unstimmigkeiten geklärt.

Was nach Chaos klingt, ist es auch

Zudem führt das Schicksal dem testosterongesteuerten Marc Meier noch die ansehnliche und wenig prüde Mitzi Knechtelsdorfer (Nora Tschirner) zu. Plötzlich dringen aus seiner Wohnung verdächtige Laute, was Gretchen umgehend an Seuche denken lässt. Schließlich hat sich Marc das falsche Serum gespritzt. Also lässt sie die Tür aufbrechen.

Was nach großem Chaos klingt, ist es auch. Aber genau das ist das Vergnügen an dieser Serie. Zu keinem Zeitpunkt beugt sie sich der Wahrscheinlichkeit. Immer gibt es noch einen Dreh.

Dabei kann Autor Dagtekin sich vor allem auf seine Hauptdarsteller verlassen. Diana Amft hat ihr stets in mehrfacher Hinsicht hungriges Gretchen Haase voll im darstellerischen Griff, und Florian David Fitz gibt seinem arroganten Schnöseldoktor Marc Meier stets jene Bitterkeit in den Ausdruck, die so fein zwischen Zweifel und Zynismus oszilliert. Und dann ist da auch wieder die wunderbare Annette Strasser als herrlich beschränkte Krankenschwester Sabine.

Hier und da wird noch einer draufgesetzt. Dann hält derbes Bauerntheater Einzug in die Erzählungen, wird es ein wenig zu direkt. Dank der atemlosen Inszenierung von Sophie Allet-Coche sind solche Aussetzer allerdings schnell vergessen.

Die Regisseurin weiß sehr wohl, wann sie Gas geben darf und wann es Zeit ist, mal kurz auf die Bremse zu treten, um einer aktuellen Absurdität Raum zum Wirken zu verschaffen - und dann die nächste Gretchenfrage zu stellen.

Doctor's Diary, RTL, Pilotfolge zur 3. Staffel am 5. Januar, 20.15 Uhr; weitere Folgen jeweils mittwochs, 21.15 Uhr.

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