TV-Moderatorin Jeannine Michaelsen:Frau aus der anderen Welt

Fußball Europameisterschaft 2012 (EM 2012)

Moderatorin und Webreporterin Jeannine Michaelsen bei der ZDF-Berichterstattung zur Fußball-EM 2012.

(Foto: ZDF/Sascha Baumann)

Jeannine Michaelsen ist 31 Jahre alt und liest im Fernsehen vor, was die Leute im Internet so schreiben. Begegnung mit einer, die ihren Beruf Twitter-Tussi für eher seltsam hält.

Von Katharina Riehl

Es gibt bei Youtube eine kurze Szene, in der Jeannine Michaelsen die Dinge selbst sehr hübsch zusammenfasst. Sie steht darin gemeinsam mit dem Moderator Wolf-Christian Ulrich an ein Geländer gelehnt und schaut auf den Berliner Fernsehturm. "Ich bin die Neue", sagt sie zu ihm, und auf die Frage, was sie so mache, antwortet sie: "Ich mache dieses Internet". Und ihm, Ulrich, werde sie in Zukunft in seiner Show aus dem Internet vorlesen. Der Wind weht, und beide blicken versonnen auf den Sendeturm.

Das Video ist ein Werbespot für die Sendung Log in, ein interaktives Politmagazin beim Digitalkanal ZDF info. Ins Studio sind zum jeweiligen Thema der Sendung Diskussionsgäste eingeladen, die Fragen an sie kommen zum Teil von den Zuschauern zuhause - via Internet. Deshalb steht Jeannine Michaelsen an einem eigenen Tisch und liest von einem Bildschirm die ins Netz geschossenen Zuschauerfragen an die jeweiligen Studiobesucher vor.

Weil man das beim ZDF zu mögen scheint, durfte Jeannine Michaelsen mit ihren Tweets im vergangenen Jahr auch zweimal ins Hauptprogramm des Senders. Auf der etwas weltabgewandt wirkenden Fußballinsel Usedom zeigte sie Oliver Kahn, wie man sich auf 140 Zeichen der Welt mitteilt und drehte ihm zur großen Begeisterung der Zuschauer und Twitterer einen falschen Harald-Schmidt-Account als echten an. In der US-Wahlnacht las sie dem Publikum aus dem Internet vor. Jeannine Michaelsen ist die Twitter-Tussi des ZDF.

Sozusagen die "Sprechstundenhilfe der Moderatoren"

Twitter-Tussi, das ist natürlich eine wunderschöne Alliteration, nur gerade aus der Gender-Perspektive kein besonders netter Ausdruck. Aber er ist nun einmal in der Welt, seit ein großer Branchendienst im vergangenen November die Twitter-Tussi zum neuen "Trend-Berufsbild" erklärte. Die Aufgabe der Twitter-Tussi sei es, hieß es da, "bei aktuellen Großereignissen Reaktionen aus dem Netz vorzulesen". Harald Martenstein, Kolumnist des Zeit-Magazins, widmete diesem Trend kurz darauf dann gleich eine ganze Seite: Die Twitter-Tussi, schrieb er, sei die "Nachfolgerin der Show-Assistentin, die es bei Kulenkampff und Peter Frankenfeld gegeben hat", sozusagen die "Sprechstundenhilfe der Moderatoren".

Jeannine Michaelsen, 31, hätte fraglos alle Voraussetzungen für eine Showassistentin: dunkelblond, schlank, hübsch, beim Gespräch in Berlin sehr redebegabt. Doch an der Diskussion, die sich nach dem Twitter-Tussi-Text entwickelte, zeigte sich, dass es um mehr geht als die Frage, ob junge attraktive Frauen, die "lesen können" (Martenstein) sich einen neuartigen Einstieg in Medienberufe erfunden haben. Es geht vielmehr darum, wie das Medium Internet mit dem Medium Fernsehen zusammenfindet. Und darum, wie öffentlich-rechtliche Sender ihrem durchschnittlich nicht ganz jungen Publikum das Internet verkaufen: als eine sehr fremde Welt.

Jeannine Michaelsen hat nie von sich behauptet, eine Internet-Expertin zu sein. Eine Art Fachmoderatorin für Netzinhalte wurde sie, und auch das ist schon irgendwie vielsagend, weil sie ein paar Jahre lang im Internet moderiert hatte. Nach dem Abitur auf dem Land in Nordrhein-Westfalen zog sie nach Hamburg und machte dort eine Ausbildung zur Bühnendarstellern. Sie wollte Musical machen, aber bei den ersten Castings war ihr klar, sagt sie, dass "das nicht die große Karriere würde". Sie ging also nach Spanien und tanzte ein paar Monate auf einer Hotelbühne, danach ging sie nach Deutschland zurück.

Nicht das, was sie machen möchte

Sie fing bei einer Produktionsfirma an, 2008 dann suchte die kleine Firma Ravenrocker in Köln eine neue Moderatorin für das Format Ehrensenf (verdreht für "Fernsehen"), mit dem schon Katrin Bauerfeind bekannt geworden war. Fünfmal die Woche lief das Format. Dann kamen andere Web-Sendungen dazu, auf der Seite eines großen Videospielanbieters etwa und bei Tape TV. Und dort, im Internet, fand sie das Fernsehen.

Die Rolle der Moderatorin für Netzinhalte war - siehe "Trend-Berufsbild" - keine Erfindung des ZDF für Jeannine Michaelsen oder für die Fußball-EM. Beim Nachrichtenkanal N24 etwa gibt es in ähnlicher Funktion Antje Lorentz, auch beim ZDF-Morgenmagazin soll eine junge Frau für den Anschluss ans Netz sorgen. In Thomas Gottschalks gescheiterter ARD-Sendung gab es eine Social-Media-Redakteurin.

Versteht man Jeannine Michaelsen richtig, hätte sie die Twitter-Tussi-Debatte gar nicht gebraucht, um auch ihre eigene Rolle ein wenig fragwürdig zu finden. Bei der Sendung Log in ist die Zuschauerbeteiligung via Internet der Kern der Sendung, weshalb Michaelsen sagt, ihre Position funktioniere für sie hier sehr gut. Doch "vor einer Twitter-Wall stehen und zusammenhangslos Tweets verlesen, die unkommentiert in der Unendlichkeit verhallen" - das sei nicht das, was sie machen möchte.

Interessant an der Figur der Twitter-Tussi ist der Gedanke: Gerade auch ins Hauptprogramm sollen Meinungen von Menschen integriert werden, die sich nicht etwa live im Studio sondern im Internet äußern. Doch ganz so, als sei der Internetnutzer eine vollkommen andere Spezies, der man auch in einer Fernsehsendung vollkommen anders begegnen muss, ganz so, als brauche man unerreichbares Expertenwissen, um bei Twitter ein paar passende Beiträge zu finden, nimmt der eigentliche Moderator der Show diese Beiträge nicht bei sich mit auf, sondern lagert sie quasi aus. "Als sei das ein Fremdkörper", sagt Jeannine Michaelsen. Und: "Wenn Stefan Raab, dessen Sendung TV Total heißt, mal ein Beispiel aus der Zeitung zitiert, dann hat er dafür ja auch keinen eigenen Moderator. Das wäre einfach unsinnig."

Sie sagt, es gebe so ein Gefühl dafür, dass Internet-Inhalte irgendwie in Fernsehsendungen eingebunden werden müssen, "aber es gibt keinen wirklichen Königsweg. Zumindest noch nicht". Also stellt man junge Frauen an den Rand einer Sendungskulisse und lässt sie alle paar Minuten einen Tweet vorlesen. Oder in Nachrichtensendungen werden Youtube-Bilder gezeigt, darunter steht "Quelle: Internet". Genauso gut könnte man Goethe zitieren und "Quelle: Bibliothek" darunterschreiben. Es sind zwei Welten, die noch nicht so recht zueinander finden.

Bei der Wahlnacht des ZDF war auch der Internetbesserwisser Sascha Lobo als Experte ins Studio geladen, auch davon findet man im Netz ein Video. Lobo sagt darin einer wackeligen Kamera, dass er nicht "der Onkel sein mag, der erklärt, wie Twitter funktioniert". Er möchte versuchen, herauszufinden: "Wie ist die Stimmung im Netz?" Der Tweet-Vorleser, heißt das wohl, ist doch kein reiner Frauenberuf.

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