TV-Kritik zu "Neues aus der Anstalt":Aufruf zum Ungehorsam

Jetzt wird's aber zäpfchenduster: Urban Priol und Erwin Pelzig knöpfen sich mit "Badesalz" und anderen Anstaltsgästen im ZDF den Euro-Rettungsschirm vor. Sie waren schon mal kreativer - doch das beste Kabarett schreibt wohl momentan das Leben selbst.

Ruth Schneeberger

Kabarettisten sind in diesen Zeiten auch nicht zu beneiden. Sind sie zu politisch, wirft man ihnen Erdenschwere vor und verbannt sie auf die Kleinkunstbühne vor ein 20-köpfiges Publikum pensionierter Lehrer. Sind sie zu leichtfüßig, werden sie als Comedy verramscht und von Dieter Nuhr im Ersten Deutschen Fernsehen weichmoderiert. Als eine der letzten Bastionen echten künstlerisch-politischen Kabaretts und somit legitime Nachfolger des altehrwürdigen Scheibenwischers gelten derzeit die Macher und Gäste der ZDF-Sendung Neues aus der Anstalt. Und selbst die wirken bisweilen ratlos wie etwa am Dienstagabend bei der zweiten Folge nach der kabarettistischen Sommerpause.

Kabarettist Urban Priol

Neuer Lieblingsfeind der Kabarettisten ist der Banker: Urban Priol in der Sendung Neues aus der Anstalt.

(Foto: dpa)

"Seit dem Ausbruch der Finanzkrise hat die Zahl der Selbstmorde extrem zugenommen", resümieren etwa Urban Priol als Anstaltsleiter und Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig, sein Pressereferent. Dieser Umstand treffe nur leider schon wieder die Falschen. "Es sind eben nicht diejenigen, bei denen man es persönlich bedauern aber gesellschaftlich begrüßen würde", so Pelzig. "Wenn es denn so sein muss, dann sollten doch alle etwas davon haben", säuselt er. Gemeint ist: Umbringen sollen sich gefälligst nicht die Opfer der Finanzkrise, sondern die Täter, also die Banker.

"Wir dürfen uns nicht immer nur um die Opfer, wir müssen uns auch mal um die Täter kümmern. Diese ganzen Börsianer haben doch auch Probleme", so Priol mit gewohnt wirrem Haar und im Blümchenhemd weiter im Text. "Ach, ist der Zweit-Maserati nass geworden?", gibt Pelzig mit zu kleinem Hut artig Stichwort, bevor Priol dazu ausholt, zu erzählen, dass die Themse in London, in der "Kathedrale des Kapitalismus", vor lauter Koks aus Bankernasen schon ganz verschmutzt ist - ähnlich wie der Main in Frankfurt. "Ich freue mich ja, wenn das Finanzgesindel sich selbst ausrottet", so Pelzig.

Braucht es mehr Beispiele, um zu belegen, dass der Lieblingsfeind des Kabarettisten, früher der CSU-Politiker, zwischendurch die Kanzlerin, nun also der böse Banker ist? Die sonst oft so intelligent konzipierte Sendung krankte diesmal daran, dass der Feind zu schnell gefunden und zu oft und zu konkret mit Worten vernichtet wurde, als dass das Publikum noch selber hätte mitdenken müssen. Banker-Bashing steht zwar derzeit hoch im Kurs, wird aber auch schnell langweilig. Weil es so einfach ist. Von Priol und Pelzig könnte man eigentlich komplexere Satire erwarten.

Da tat es gut, dass in Person von Helmut Schleich ein Kabarettist mit Strumpfmaske auftrat, der sich zwar ebenfalls über die Banken beschwerte, aber von der anderen Seite, nämlich der des "freiberuflichen" Bankräubers. Dass selbst ein Krimineller über die Banker von heute lästert, die in bargeldlosen Filialen dem Räuber die Überweisung empfehlen, nimmt dem allgemeinen Banken-Bashing auf elegante Weise seinen eintönigen Einbahnstraßencharakter - und dem Publikum auf intelligente Art das Lachen aus dem Gesicht, so wie es gutes Kabarett manchmal tun muss, um nicht ins Bauerntheater abzurutschen.

Das hessische Duo Badesalz spielte zwar erheiternd aber wenig erhellend "Mensch ärgere Dich nicht" und "Mikado" im Kopf durch und Rainald Grebe gab einen über das Habenwollen Verrücktgewordenen am Klavier zwar mit Sprachwitz, aber ohne durchschlagenden Erfolg.

Völlig zu Recht pathologisiert

"Zehn Millionen Menschen sind in Deutschland Burn-out-Patienten", philosophierte schließlich Pelzig, "was für eine Armee. Wenn die sich erheben würde, um nicht mehr selbst Angst zu haben, sondern endlich den richtigen Leuten Angst zu machen, was die alles erreichen könnte." Das beste Mittel gegen Burn-out sei nämlich weder eine Pille von oben noch ein Zäpfchen von unten, sondern laut Psychologen der persönliche Ungehorsam, haben die Anstaltsmacher recherchiert. Ungehorsam und unberechenbar solle das Volk nun werden, damit "nicht mehr wir von den Märkten genervt werden, sondern die Märkte von uns".

Schlussendlich blieb es also doch an den Anstaltsleitern hängen, die Sendung kurz vor ihrem eigenen Burn-out zu retten, und man muss attestieren: Sie haben ihre Sache am Ende doch noch gut gemacht. Angesichts der tatsächlichen kleinen und großen Katastrophen, die zurzeit die Welt erschüttern, ob nun Bankenkrise, Pofalla-Ausfälle, Occupy-Bewegung mit oder ohne politisches Bewusstsein oder Bundestrojaner: Alles wurde verzweifelt-munter gestreift und diesmal völlig zu Recht pathologisiert.

Dass dann zum Schluss der Banker, die Börsianer oder gleich alle Finanzmärkte als Gesamtschuldige verhaftet werden, das haben sich die Finanzjongleure nun mal gerade selber zuzuschreiben. Das beste Kabarett schreibt das Leben wohl momentan lieber selbst, als es dem ZDF-Anstaltspersonal zu überlassen. Da kann man nur hoffen, dass das demnächst wieder andersrum funktioniert.

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