TV-Kritik zu Gottschalk bei Lanz:Grinsekater im Wunderland

Gottschalk bei Lanz

Markus Lanz und Thomas Gottschalk: bisweilen Kontrahenten, am Ende dieses Abends aber ein Herz und eine Seele.

(Foto: dpa)

Lanz fragt Gottschalk: "Brauchst du das Rampenlicht?" Der kontert: "Wenn du mit den Leuten nicht reden kannst, bist du in unserem Job verloren." Der Schlagabtausch, den sich Gottschalk und sein "Wetten, dass..?"-Nachfolger Lanz im ZDF liefern, ist erstaunlich amüsant.

Eine TV-Kritik von Ruth Schneeberger

Das Fernsehen ist eine merkwürdige Angelegenheit. Tag für Tag, Abend für Abend sitzen weltweit Abermillionen von Menschen auf Polstergarnituren und starren auf eine inzwischen gar nicht mehr so kleine und inzwischen auch kaum noch kistenförmige Einrichtung, die ihnen die Welt zeigen soll.

Hierzulande ist das Fernsehen gar der Deutschen liebste Freizeitbeschäftigung. Ergo müssen sich die Programmverantwortlichen immer neue Wendungen einfallen lassen, um die höchst unterschiedlichen Menschen vor den Apparaten zufriedenzustellen. Gleichzeitig dürfen sie nicht mit allzu fremden und neuartigen Protagonisten verschreckt werden, denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier und sieht gerne Altbekanntes in immer neuem Gewand. Wobei durchaus fraglich ist, ob sich ein Großteil der Zuschauer überhaupt von irgendetwas abschrecken ließe, was im TV zu sehen ist. Die Entwicklung des TV-Programms der vergangenen Jahrzehnte legt nahe, dass es eher nicht so ist.

Seit mehr als einem Jahr leistet sich das deutsche Fernsehen außer dem aktuellen Programm einen Nebenschauplatz beachtlichen Ausmaßes. Er wird in fast allen Medien thematisiert, teils leidenschaftlich diskutiert und gemütserregt von den Zuschauern goutiert. Es geht um einen TV-Protagonisten, der schon seit vier Jahrzehnten in der Medienlandschaft mitspielt, zwischendurch einer Gottheit gleich verehrt wurde, weil ihm der Schalk im Nacken zu sitzen scheint, und der praktischerweise all das auch noch im Namen trägt: Es geht um Gottschalk.

Seit er im Dezember 2010 eine Wetten,dass..?-Show moderierte, in der ein junger Mann einen Unfall mit traurigen Folgen erlitt, und Gottschalk fast auf den Tag genau ein Jahr später diese Sendung zum letzten Mal verantwortete, war kaum eine Debatte in Fernseh-Deutschland so aufgeregt wie diese um den Auf- und Abstieg des TV-Moderators. Ein Nachfolger ist längst gefunden, Markus Lanz hat seinen Wetten, dass..?-Job schon angetreten und schlägt sich unter den Argusaugen der wachenden Öffentlichkeit vergleichsweise wacker.

Auch Gottschalk hat eine neue Sendung im Privatfernsehen und soll nun wieder eine neue im öffentlich-rechtlichen bekommen, nachdem die extra auf ihn zugeschnitte Show in der ARD gescheitert war. Doch irgendwie scheint die Angelegenheit noch nicht erledigt zu sein, um nicht noch hier und da ein bisschen Nektar für alle Beteiligten daraus saugen zu können. Nun also der vermeintliche Paukenschlag: Lanz, der Nachfolger, interviewt Gottschalk, den Vorgänger, in seiner eigenen ZDF-Abendshow.

Was dieser ganze Zirkus noch mit der Außenwelt zu tun hat, darf sich der Zuschauer getrost fragen. Trotzdem lohnt es sich, den beiden Herren in der TV-Arena genauer zuzuschauen (den Videostream zur aufgezeichneten Sendung gab es schon am Nachmittag hier online). Es handelt sich nämlich um ein ziemlich amüsantes Lehrstück über Selbstdarstellung, Fernsehwahrheiten und Realitätsverlust, das das ZDF am späten Donnerstagabend (23:15 Uhr) bietet.

Gleich zu Beginn beißt Lanz sich fest: Er habe beobachtet, wie Gottschalk beim Reinkommen die Zuneigung des Publikums aufgesogen habe. Ob er den Applaus immer noch brauche, ob er süchtig danach sei, ob er nicht aufhören könne, will der Nachfolger wissen. Und er bleibt dran: Als Gottschalk kumpelhaft und ausladend wortreich versucht, von der eigentlich kritischen Frage abzulenken und stattdessen die Sympathien des Publikums mit großen Gesten und kleinen Anekdoten auf seine Seite zu ziehen, hakt Lanz immer wieder nach. Bis es Gottschalk reicht und er zum nur teilweise charmanten Gegenangriff übergeht.

Lanz stellt vielfach, in unterschiedlichen Anläufen und sinngemäß die zusammengefasste Frage: "Gehen wir mal davon aus, dass du keine psychischen Störungen hast: Brauchst du den Applaus, das Scheinwerferlicht? Kannst du nicht aufhören?" Gottschalks Antwort: "Wenn du nicht kommunikativ bist, wenn du nicht in der Lage bist, auf Leute zuzugehen, dann bist du in diesem Beruf verloren." Das hat gesessen. Denn das durchweg verwendete "Du" der beiden Moderatoren, die hier zu Kontrahenten werden, kann durchaus wörtlich genommen werden: Lanz wurde schon vielfach vorgeworfen, er könne bei Wetten, dass..? nicht angemessen mit den Kandidaten umgehen. Gottschalk spielt hier, vom Nachfolger in die Ecke gedrängt, seinen unschlagbaren Vorteil genüsslich aus: Er kann das, mit jedem zu reden, und immer. Weil das in seiner Natur liegt. Er muss sich dafür nicht anstrengen. Im Gegensatz zu Lanz, wenn der nervös ist.

Es stimmt allerdings nicht, wenn Gottschalk danach ausführlich erzählt, das liege daran, dass er sich so sehr für die Menschen interessiere. Wer Wetten, dass..? in den vergangenen Jahren unter seiner Moderation beobachtet hat, der sah: Er interessierte sich kein bisschen für seine Gäste. Es liegt also wohl eher an einem Umstand, den Gottschalk erst ganz zum Schluss an diesem Abend zugibt: Dass er besser reden kann als denken. Oder zumindest schneller.

Gottschalk: "Ich bin eine Legende!"

Dieser Unterschied zwischen Lanz und Gottschalk wird im Laufe der Sendung immer wieder deutlich: Lanz setzt ein paar wohlplatzierte Zwischenbemerkungen zur rechten Zeit, die auch für Lacher sorgen - das Publikum auf seine Seite zieht aber immer wieder Gottschalk, weil er es schlichtweg zutextet mit wohlig klingenden Worthülsen und seinem sonnigen, verbindlichen Gemüt. Wer allerdings darauf gewartet hat, dass sich Lanz und Gottschalk hier irgendwie dazu äußern, wie sie nun wirklich zueinander stehen, der wird enttäuscht.

Auch das Interview im Focus, bei dem Lanz angeblich gesagt haben soll, Gottschalk wolle der Sendung schaden, indem er zeitgleich mit Das Supertalent bei RTL gegen Wetten, dass..? im ZDF antrete, wird mit keinem Wort erwähnt - und somit auch nicht aufgeklärt. Stattdessen sieht man zwei Entertainern dabei zu, wie sie sich im besten Lichte darstellen, in ihrem jeweiligen Image sonnen und selbstbestätigen: Lanz, der kritische aber charmante Nachhaker, Gottschalk, der unkritische aber auch angstfreie Entertainer. Dennoch schaffen sie es, ein durchaus amüsantes 75-minütiges Gespräch zustande zu bringen, obwohl sie fast nur über sich selbst reden. Beziehungsweise vor allem über Gottschalk.

Anstelle dieses eigentlich interessanten Punktes, der Rivalität der beiden Moderatoren, geht es um das Scheitern von Gottschalk im ARD-Vorabend (Gottschalk: "Wenn du Arzt bist und eine Operation versemmelst, richtest du großen Schaden an - aber nicht als TV-Moderator, der eine Sendung vergeigt"), um die Frage, warum er sich das überhaupt angetan habe nach 23 Jahren erfolgreicher Wetten, dass..?-Moderation (Gottschalk: "Glaubst du, dass irgendein Mensch Blümchen gestreut hätte, wenn ich irgendwo in Malibu sitze und angele? Wenn du weg bist, bist du weg!"), bis zu der Frage, warum er sich daraufhin auch noch die Ko-Moderation beim RTL-Supertalent neben Dieter Bohlen aufgebürdet habe (Gottschalk: "Da habe ich einen Fehler gemacht, über den ich mich ein bisschen ärgere: Das Ding macht Spaß, aber ich sitze da mit dieser bildungsbürgerlichen Haltung, von der ich glaube, dass man sie mir ein bisschen unterstellt. Aber jetzt kommen die Live-Shows, das kann ich besser, und danach werde ich mich mit RTL darüber unterhalten, wie es weitergeht. Wenn ich mich bei dir hinsetze und du sagst hinterher, den Gottschalk hätte ich mir auch schenken können, bin ich genauso unglücklich wie du.").

Unglücklich werden über diesen Abend aber weder Lanz noch Gottschalk sein, denn beide haben ihre Sache durchweg erstaunlich gut gemacht in einem teils erstaunlich offenen, teils erstaunlich kampfeslustigen und teils erstaunlich unterhaltsamen Gespräch. Sieht man einmal davon ab, dass es drängendere Themen gäbe, die die Welt bewegen dürften als die Befindlichkeiten eines alternden Showmoderators und den Rückblick auf sein öffentliches Leben (Lanz: "Du warst eine Legende." Gottschalk: "Nein: Ich bin eine."), abgesehen davon also darf man trotz gelegentlicher Zweifel attestieren, dass hier zwei Menschenkinder wohl einfach den passenden Beruf erwählt haben: Einigermaßen geistreich unterhalten und dem Publikum einen netten Abend bereiten, das können sie. Und zwar beide, auf ihre Art.

Dass der eine dabei ein bisschen wie ein schmieriger Banker wirkt (da hat Tom Hanks schon recht gehabt) und der andere manchmal wie ein krankhafter Schwatzonkel (Gottschalks eigene Worte, auch wenn er einen anderen Eindruck erwecken wollte): geschenkt. Das Fernsehen ist eben eine merkwürdige Angelegenheit. Aber bisweilen ziemlich unterhaltend.

Zwei Grinsekater im Wunderland, mitten in der Nacht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nur um sich selbst scharwenzelnd, das erreicht schon eine nahezu surreale Ebene, für die man den Machern der Sendung fast dankbar sein muss. Denn Plattitüden gänzlich ohne Inhalt gibt es ja andernorts schon genug im deutschen Fernsehen.

Und immerhin nutzte Gottschalk die Sendung, um öffentlich zu verkünden, dass er mit seiner neu geplanten Show in der ARD keinesfalls noch einmal gegen Lanz werde antreten wollen, zumindest nicht auf demselben Sendeplatz. Worüber der Jüngere dann doch recht dankbar war. Mit dieser Verbrüderungsgeste dürfte weiteren Spekulationen über Rivalitäten der beiden Entertainer fürs Erste ein Riegel vorgeschoben sein. Für wen auch immer das wichtig ist.

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