TV-Kritik: Reue bei Peter Hahne:Schabowski - aus Versehen eine historische Figur

Großreinemachen mit Seelsorger Hahne: Günter Schabowski, die einstige DDR-Größe, redet im ZDF über seine Irrtümer, die Linke und seine Worte am 9. November 1989. Danach ging die Mauer auf.

Sarina Pfauth

Es muss schwer auszuhalten sein, wenn ein Mann erkennt, dass er seine Lebenskraft für ein falsches Ziel eingesetzt hat. Dass er Menschen Leid zugefügt hat. Kurzum: Dass er versagt hat.

Hahne

Bußgespräch am Sonntagnachmittag: Günter Schabowski legt bei Peter Hahne seine Lebensbeichte ab.

Günter Schabowski ist einer der wenigen, die mit einer solchen Erfahrung an die Öffent-lichkeit gehen. Das Bußgespräch am Sonntagnachmittag mit Peter Hahne im ZDF ist nicht sein erstes öffentliches Schuldeingeständnis. Es ist aber ein Lehrstück darüber, wie ein Mensch mit seiner Vergangenheit umgeht - und wie die Öffentlichkeit mit seinem Bekenntnis.

Schabowksi war Regierungssprecher der DDR und SED-Politbüromitglied. Ende der Neunziger wurde er wegen Totschlags und Mitverantwortung für das Grenzregime der DDR zu drei Jahren Haft verurteilt. Zuvor war er mit einer einzigen Aussage weltbekannt geworden.

Am 9. November 1989 hielt der heute 81-Jährige eine Pressekonferenz - und verkündete mit den hervorgestotterten Worten "Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort .... unverzüglich" die Reisefreiheit für die Bürger der DDR. So war das allerdings nicht abgesprochen.

Die Mauer sollte zwar geöffnet werden, allerdings später - ein Rundfunksprecher hätte die Neuigkeit morgens um vier Uhr verkünden sollen, "wenn die Republik schnarcht", wie Schabowksi lakonisch bemerkt. Er selbst wusste nach eigenem Bekunden aber nichts von der Sperrfrist.

Tausende nahmen ihn beim Wort und strömten zur Mauer. Die Grenzbeamten allerdings wussten noch nichts von der Neuigkeit. Bis heute gilt es als ein Wunder, dass keiner von ihnen das Feuer auf die Massen eröffnete - sondern dass die Beamten brav die Schlagbäume öffneten.

"Wie war das damals, Günter Schabowski?", hat Moderator Hahne seine halbstündige Sendung getitelt. Der Name ist Programm: Der ehemalige DDR-Funktionär erzählt von seinen Erinnerungen, Hahne lässt ihn gewähren. Seine Fragen sind Hilfestellungen, kritisches Nachhaken unterbleibt.

Schabowski ist ein alter, gesundheitlich angeschlagener Mann - und Hahne will ihn offensichtlich nicht mit bohrenden Fragen quälen, sondern erzählt lieber von seinem Geburtsdatum (der 9. November) und der Bewunderung, die seine Ohrenärztin (er deutet dabei auf sein Ohr) für Schabowksi hegt.

Allerdings: Günter Schabowski offenbart auch so viel von seinem Inneren. Seine Verurteilung, sagt er, war gerecht, denn "ich war letztlich verantwortlich, dass es eine Gesetzgebung gab, die die Tötung von Menschen vorsah". Und ja, "ich schäme mich". Er habe sich einem solchen Staat verbunden gefühlt, "ich bin dafür auch bestraft worden."

In den Tagen und Wochen nach der historischen Pressekonferenz zum Mauerfall habe er sich immer wieder Fragen gestellt und Vorwürfe gemacht - und schließlich dem Kommunismus abgeschworen.

Bis heute hat Schabowski keine Einsicht in seine Stasi-Akte beantragt - obwohl ihn das interessieren würde. Eine klare Antwort darauf, warum er das nicht getan hat, bleibt er schuldig. Vielleicht hat dieser Mann einfach Angst davor, menschlich noch weiter von ehemaligen Weggefährten enttäuscht zu werden. Denn die Enttäuschungen aus der Wendezeit nagen noch immer an ihm, auch das macht das Interview deutlich.

Mehrfach widerholt er, dass die Linke, die immer noch DDR-hörig und im Kern noch von der SED geprägt sei, ihn hasse, ihm Verrat vorwerfe. Mit diesem Vorwurf, so scheint es, fällt es ihm schwer zu leben. Schabowski äußert sich bitter über die Partei Die Linke, schimpft auf die alten Genossen und speziell auf Margot Honecker: "Diese Frau ist eine hysterische Ziege." Über Oskar Lafontaine sagt er: "Wie konnte sich der Mann mit dieser Partei einlassen und ihr zu einer Ehrenrettung verhelfen? Das halte ich für einen außerordentlich schäbigen Umstand."

In Schimpf und Schande hatte ihn die SED nach der legendären Pressekonferenz davon gejagt, der Sowjet-Führer Gorbatschow war außer sich vor Wut, weil Schabowski ihn nicht vorab von der geplanten Öffnung informiert hatte.

Dabei hatte der Presse-Mann, so erzählt er, die Absicht gehabt, die DDR zu retten. "Man glaubte, durch diesen Schritt in Kontakt mit der Bundesrepublik zu kommen und damit die entscheidende Stütze zum Fortbestand der DDR zu bekommen."

Dabei, das gibt Schabowski unumwunden zu, hatte sich die DDR zu diesem Zeitpunkt selbst schon längst überlebt - der Staat war wirtschaftlich am Boden, das Volk übte einen enormen Druck auf die Mächtigen aus. "Waren sie damals realitätsfremd?", fragt Hahne vorsichtig nach. Antwort: "Ich würde mich nicht so bewerten."

Immer wieder im Interview versucht Schabowski, seine Bedeutung für die Geschichte festzuklopfen - trotz der Fehler, die er begangen hat und der Verachtung, die ihm von seinen ehemaligen Genossen immer noch entgegenschlägt. "Ich bin eine Figur der Öffentlichkeit", betont er. "Ich gehörte ja zu den drei oder vier Leuten, die die Absetzung Honeckers bewirkt haben. Das war ja immerhin das Staatsoberhaupt." Mehr noch: "Meine Worte haben letztlich bewirkt, dass die DDR zugrunde gegangen ist".

Mit Blick auf die deutsche Einheit sagt er: "Ich empfinde das wie eine große Genugtuung, dass sich das hier so friedlich enwickelt hat." Bei der Deutung solcher Aussagen hilft wohl ein Interview, das Schabowksi im vergangenen Jahr zwei Reportern des Tagesspiegel gesagt hatte: Es gebe Menschen, sagte Schabowksi damals, die seine Rolle bei der Pressekonferenz als Versuch respektierten, die Spaltung zwischen Ost und West zu überwinden. "Der 9. November 1989 ist für mich ein Tag, auf den ich mit Genugtuung und auch mit einem gewissen Stolz zurückschaue. Immerhin hilft er mir heute, die Zeit zu überstehen, wenn man so will."

Die eigene Biographie als Scherbenhaufen, damit will auch Günter Schabowksi nicht leben. Er will sich zumindest als kleines Rad in der Geschichte wahrgenommen wissen. Als Bote der Freiheit. Zumindest einmal will er das gewesen sein.

Es geht dem Ex-Politruk in dem halbstündigen ZDF-Gespräch schlicht um die Deutung seines Lebens. Die Dramatik des Zeitzeugeninterviews steigt noch, als Hahne ein kurzes Interview mit Joachim Gauck einspielt - der Mann, der seine Kraft dafür einsetzt, das DDR-Unrecht aufzuarbeiten, der selbst unter dem Unrechtsstaat gelitten hat und sich kürzlich für die Wahl zum Bundespräsidenten aufstellen ließ.

Gauck gibt Rückendeckung: Schabowski sei ein Mann gewesen, der jahrzehntelang auf dem politischen Irrweg war. "Er gehörte zu meinen Unterdrückern." Schabowski habe das aber erkannt. Er sei über die Wahrheit in eine geistige Freiheit gelangt. "Diese Kraft zur Umkehr schätze ich an ihm besonders."

Hat jemand, der mit seiner Vergangenheit bricht und seine Fehler bereut, eine neue Chance verdient? Denkt er selbst, dass er eine solche Möglichkeit nutzen dürfte? ZDF-Mann Hahne fragt den alten Herrn im braunen Rolli und mit grauem Sakko, der heute als Rentner in Berlin lebt, ob er je daran gedacht habe, noch einmal politisch aktiv zu werden.

"Eigentlich nicht", antwortet Schabowski. Die Zeit, in der er politisch Einfluss übte, die seien vorbei. "Für immer vorbei."

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