TV-Kritik: Reinhold Beckmann:Die Befreiung aus dem Opferland

Die Kindheit in Luxus-Gefangenschaft, die Jugend im Schatten des übermächtigen Vaters: Walter Kohl hatte es nicht leicht als "Sohn von ...". Bei Beckmann plauderte er darüber, wie er endlich seinen Seelenfrieden fand.

Verena Wolff

Es hätte wirklich spannend werden können bei ARD-Talker Reinhold Beckmann an diesem Montagabend. Walter Kohl kam zu Besuch ins Studio in Hamburg, sein erster Fernsehauftritt. Er hatte Großes im Gepäck: Sein eben erschienenes Buch, in dem er mit seinem Verhältnis zum schier übermächtig scheinenden Vater Helmut Kohl aufräumt. In dem er erzählt von der Zeit in Oggersheim, von der täglichen Bedrohung als Schulkind in der Hochzeit der RAF und von dem insgesamt schwierigen Leben als "Sohn von ...". Von den zwei Welten, in denen er ständig zu leben schien und der Projektionsfläche, die er für das Tun seines Vaters war.

Walter Kohl veröffentlicht Buch

Walter Kohl (links, hier mit seinem Vater Helmut Kohl) spricht bei ARD-Talker Reinhold Beckmann über sein Leben mit dem prominenten Vater.

(Foto: dpa)

Viele Kommentatoren hat eine so schonungslose Abrechnung, wie sie oft bezeichnet wurde, überrascht - zu einer Zeit, da das politische Urgestein Kohl, angeschlagen und alt zwar, aber doch noch immer lebt. Lars Brandt etwa, Sohn von Altkanzler Willy Brandt, veröffentlichte erst nach dem Tod des Vaters ein Buch über die ebenfalls nicht leichte Beziehung.

Beckmann nennt das 272-Seiten-Werk gleich zu Beginn seiner Sendung ein "berührendes Buch", spricht von einer "ganz anderen Vater-Sohn-Geschichte". Und dann lässt er Walter Kohl erzählen - seine persönliche Geschichte, sein Leben mit der Übermacht Helmut Kohl, der zwar nie zu Hause, aber doch immer und überall präsent war. Von seiner Rolle als "Sohn von ...", in der er seit frühester Jugend angegangen und teils gar bedroht oder verprügelt wurde - für Entscheidungen, die der Vater oder die Seinen zu verantworten hatten und die der junge Walter kaum verstand.

Beckmann schlug eine seiner sanftesten Tonlagen an, als er eine wahrhaft erschütternde Geschichte von Kohl hören wollte. "Die Anmeldung zum Fußballklub ...". Kohl nimmt den Faden auf, erzählt, wie er als Achtjähriger allein zum örtlichen Verein ging, um sich aufnehmen zu lassen. Gerade war eine politische Entscheidung getroffen worden, die den Sportplatz in Mitleidenschaft gezogen hätte und also nicht auf viel Gegenliebe stieß. "Und der Frust der Erwachsenen hat sich an mir entladen", sagt Kohl, ruhig, abgeklärt, mit dem gelegentlichen Blinzeln und dem Zungenschlag, den man von seinem Vater kennt. "Sie haben eine Bierflasche abgeschlagen und mich weggejagt."

Beckmann schweigt betreten, Kohl analysiert sogleich: "Man wird ein Stück in Haft genommen für Entscheidungen, die in einer anderen Welt getroffen wurden", sagt er - und das bereits als Kind, als Jugendlicher. Schön kann das nicht gewesen sein, auch nicht in der pfälzischen Idylle, das versteht der Zuschauer schnell.

Bedroht waren die Brüder Kohl von der RAF und von der allgemeinen Gefahrenlage im Deutschland der siebziger Jahre. Behütet von der Mutter, über die Walter sehr liebevoll spricht. Sie sei, natürlich, das Herz der Familie gewesen, sie habe alles zusammengehalten. Sie, Hannelore, die perfekt Englisch und Französisch sprach, sah es als ihre Aufgabe an, die Kinder großzuziehen und "hat den Kern ihrer Tätigkeit in der Familie verstanden". Sogar schuldig gefühlt habe sie sich, dass die Kinder in dieser unsicheren Bundesrepublik groß werden mussten - einer Situation, die sie nicht hatte ahnen können, als Walter und sein Bruder Peter geboren wurden.

Der krasse Gegensatz dazu: das Polittier Helmut Kohl. Die Heimat des Vaters sei die CDU, nicht die Familie, sagt der Sohn. "70, 80 oder mehr Stunden hat er jede Woche in seine politische Tätigkeit investiert." Ein ruhiges Wochenende mit der Familie sei in der Jobbeschreibung eines Ministerpräsidenten oder Bundeskanzlers nicht vorgesehen. Und Kohl schiebt, wie zum Schutz des Vaters, hinterher: "Er ist ein ganz großes politisches Ausnahmetalent, er muss Politik machen." Wie bei einem Ausnahmemusiker sei das, der einfach sein Instrument spielen muss und eigentlich nur darin gut ist.

Überhaupt schlägt der älteste Sohn von Hannelore und Helmut Kohl äußerst gemäßigte Töne an - die politische Leistung des Einheitskanzlers, das betont er mehrfach, stehe völlig außer Diskussion. Daran sei nichts zu rütteln. Allem voran nennt er den Nato-Doppelbeschluss, natürlich die deutsche Einheit und den Weg zum Euro.

In erster Linie sei das Buch eine persönliche Geschichte, seine persönliche Geschichte. Es beschreibt seinen Weg, seine Emanzipation vom Vater, auch den Weg der Versöhnung, die er für sich gefunden zu haben scheint. Getrennt seien sie heute, Helmut und Walter Kohl, sagt er. Vor einem Dreivierteljahr habe er den Vater das letzte Mal gesehen. Dass er von dessen zweiter Hochzeit nichts wusste und auch vom Tod der Mutter über den Umweg Büroleiterin erfuhr, ist hinlänglich bekannt.

Sanftere Töne

Er sei noch immer gewillt, Brücken zu bauen, das macht er immer wieder deutlich - doch dieser 47-jährige Mann, der äußerlich in vielem an den übermächtigen Vater erinnert, schlägt deutlich sanftere Töne an - auch, als es die Vermarktungsmaschine des Buches glauben lässt. Er habe keine Abrechnung verfasst, betont er. Das Buch sei das Ende eine Prozesses, in dem er mit seinem Leben als "Sohn von ..." gebrochen und den Ausweg aus dem, wie er es nennt, Opferland gefunden hat. Die Situation war für ihn geklärt, als er sein Innerstes nach außen gekehrt und zu Papier gebracht hat. Abgeklärt und ruhig kann er darum über die Situation sprechen - sehr zur Verwunderung von DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck.

Der soll zusammen mit seinem Sohn im letzten Drittel der Sendung noch ein bisschen über verschiedene Wege des Aufbegehrens gegen das DDR-System plaudern - und darüber, wie Vater und Sohn "trotz unterschiedlicher Lebensentwürfe und trotz familiärer Konflikte wieder zueinander gefunden haben". Dass dieser Gesprächsstrang im Angesicht der ersten knappen Stunde der Show gnadenlos unterging, ist wohl müßig zu erwähnen.

Zu reizvoll schien die Chance auf einen kurzen Blick in das Innere der Familie Kohl. In vielen Familien gibt es eine ähnliche Gemengelage - doch ist ein Buch darüber nur in den seltensten Fällen interessant. Spannend macht das Kohl-Buch auch und vor allem die Projektion des großen, übermächtigen Politikers in das Private hinein. Doch: Wo waren da die wirklich interessanten Fragen von Gastgeber Beckmann, der ein unerschütterliches Gespür dafür hat, seinen Gästen dann ins Wort zu fallen, wenn es mal ein bisschen spannend wird? Wo war die Frage nach der Idylle am Wolfgangsee und der Inszenierung der Familie Kohl in Wahlkampfzeiten? Wo war das Nachhaken bei der Beziehung zwischen Vater und Sohn?

Bei einigen Fragen sieht es so aus, als würde der so abgeklärt und in sich ruhend scheinende Walter Kohl noch mal nachlegen wollen, weiter in die Tiefe gehen - aber Beckmann lässt Kunstpausen nur in seinem eigenen Redefluss zu. Kohl würgt er da mit neuen Fragen ab, wo ein kurzes Innehalten gelohnt hätte.

Dass er, wie spätestens bei der zweiten Hochzeit des Vaters klar wurde, nicht zum engsten Familienkreis gehört, sei für ihn kein Problem, sagt Kohl junior. Er habe seinen Frieden für diese Situation gefunden. Dieser Satz lockt Beckmann dann doch kurz aus der Reserve, er kann das offenbar überhaupt nicht nachvollziehen und macht eine verbale Vollbremsung: Fragen über Fragen häuft er an zu einer Sache, zu der alles gesagt ist.

Die Antworten, die Walter Kohl auf Beckmanns Fragen gibt, klingen alle nicht wirklich neu. In dem einen oder anderen Bericht hat man das alles schon gelesen, in den vergangenen Wochen, seit das Buch erschienen ist. Überraschend ist eher das Verhalten des Kanzlersohnes, der so gar nicht auf den Vater eindrischt oder lospoltert. Die Statur, der Blick, einige Verhaltensweisen - sie lassen sich nicht verleugnen. Die Stimme aber ist eine andere. Und auch die Art zu sprechen erinnert so gar nicht an den Altkanzler. Sanfter sind Wortwahl und Intonation, nicht laut und polternd und bestimmend.

So ruhig und so abgeklärt, wie er ist, kommt Walter Kohl allerdings erst recht imposant rüber. Und durch sein Verhalten, durch die Auskunft über seinen langen Weg der Selbstfindung, bekommen manche Ereignisse erst ihre echte Dramatik. Diese Episode etwa: "Du musst stehen" - an diesen Rat kann sich Walter Kohl noch gut erinnern. Der Vater gab ihn, als sich der Junge mit seinen Sorgen und Nöten an ihn wandte. Für Gefühlsduselei war da offenbar keine Zeit, auch nicht dafür, die Ängste ernst zu nehmen. Stattdessen: Standhaft sein, nicht einknicken, die Position verteidigen. Die Position als "Sohn von ...".

Die Konsequenz für Walter sah hingegen ganz anders aus: "Ich war einsam, verhielt mich nicht mehr nachvollziehbar für die anderen Kinder." Dabei habe er eigentlich immer nur so sein wollen wie sie, er wollte nicht in zwei Welten leben.

Der endgültige Bruch kam für ihn mit der Parteispendenaffäre - er habe nach dem Zusammenhalt der Familie gesucht in dieser schwierigen Zeit. Aber wie oft in seinem Leben enttäuschte der Vater den Sohn. Und versuchte, auch dieses Drama allein auszusitzen. Die Mutter konnte und wollte nicht mehr, sie nahm sich schließlich das Leben. Auch Walter dachte darüber nach. Nach einem einschneidenden Erlebnis mit dem eigenen Sohn aber waren die Suizidgedanken über Bord geworfen. Stattdessen reiste er aus dem Opferland aus, setzte sich auseinander, fand seinen inneren Frieden. Und schrieb ein Buch darüber.

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