TV-Kritik: Beckmann:Bakterien klammern nicht

Gurken? Sprossen? Ach was. TV-Moderator Reinhold Beckmann sucht die Verantwortlichen für die Ehec-Krise krampfhaft in den politischen Strukturen. Dabei prallt er an einer entnervten Verbraucherschutzministerin und mehreren souverän-gelassenen Ärzten ab. Zum Schluss gibt es wenigstens noch einen wütenden Landwirt.

Hannah Beitzer

Waren nun Salatgurken aus Spanien, Tomaten oder doch Sprossen aus Niedersachsen für die gefährlichen Ehec-Erkrankungen in Deutschland verantwortlich? Bisher gibt es kein klares Ergebnis. Vielleicht hat das Reinhold Beckmann auf die Idee gebracht, seine Talkrunde zum Thema Ehec wie ein Kreuzverhör aus einem schlechten Krimi zu inszenieren - frei nach dem Motto: Beckmann, übernehmen Sie.

German Agriculture and Consumer Protection Minister Aigner addresses news conference in Berlin

Weist Kritik an ihrem Ehec-Krisenmanagement zurück: Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU).

(Foto: REUTERS)

So liefert er sich gleich zu Beginn mit Markus Boeddecker, der vor mehr als zwei Wochen an Ehec erkrankte, ein regelrechtes Frage-und-Antwort-Pingpong: "Wie geht es Ihnen? Werden Sie noch behandelt?" und schließlich: "Wussten die Ärzte Bescheid?". Aha, denkt der Zuschauer, es soll also mal wieder darum gehen, wie die medizinische Fachwelt und natürlich die Lieblingsversager aus der Politik von einer Seuche überrascht wurden. Schnell hatte man den Eindruck, dass Boeddecker vor allem ein eleganter Einstieg in die Sendung sein sollte - er erzählt ein bisschen von seiner Krankheit und wird dann geschäftsmäßig verabschiedet, damit Beckmann sich die (vermeintlich) Verantwortlichen vorknüpfen konnte.

Der Moderator erschien bestens vorbereitet zur Schlacht - ständig präsentiert er neue Grafiken, neue Zahlen. Unheilvoll wabern bohnenförmige Bakterien-Modelle über den Bildschirm - um dann sofort wieder auf die gequält dreinschauenden anderen Mitglieder der Talkrunde zu blenden: die sichtlich entnervte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner und ein Trio von Ärzten, das wohl irgendwie miteinander in Konflikt geraten soll - was aber nicht wirklich geschieht.

Da ist zum einen Reinhard Burger, der Leiter des Robert-Koch-Instituts in Berlin. Seinen Job möchte man wahrlich nicht haben, denn egal, wie er sich verhält - es besteht immer das Risiko, dass er dafür eins auf den Deckel kriegt. Rät er zur Gelassenheit und die Infektion breitet sich weiter aus, steht er schnell als Vertuscher da. Warnt er - wie zur Zeit - eindringlich vor Ehec, sieht er sich womöglich dem Vorwurf der Panikmache ausgesetzt.

Die beiden anderen anwesenden Ärzte - Ulrich Frei von der Berliner Charité und Klaus-Dieter Zastrow, Chefarzt am Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Vivantes Klinikeb Berlin - haben zum Einstieg ein paar beruhigende Messages im Gepäck. Von Mensch zu Mensch übertragbar sei Ehec nur, "wenn es zu Schmierinfektionen kommt", sagt Frei. Zastrow erklärt etwas plastischer: "Das geht nur, wenn jemand Stuhl an der Hand hat, dann die Hand einem anderen gibt und der gleich darauf die Finger in den Mund nimmt." Lecker. Abgesehen davon haben die beiden Ärzte hilfreiche Tipps, die zwar nicht ganz neu sind, aber die Debatte angenehm versachlichen: Rohes Gemüse solle man vor dem Essen schlicht waschen. "Man muss sich vorstellen, dass diese Bakterien niemals alleine vorkommen, sondern immer in Verbindung mit Schmutz und anderen Partikeln", erläutert Zastrow, "die klammern sich nicht an die Salatgurke."

Kommissar Beckmann ermittelt

Das hört sich durchaus machbar an - ist Reinhold Beckmann aber anscheinend nicht dramatisch genug. Er stürzt sich auf Ilse Aigner und setzt sein Kreuzverhör fort: "Warum gab es heute noch keine Gewissheit über die Sprossen?" fragt er. Die Ministerin zieht die Augenbrauen hoch. Es gebe ja nicht nur die Proben - sondern auch die Indizienkette: "Bei sechs Ausbruchsfällen konnte man es zu dem Betrieb in Uelzen zurückführen."

"Wann gibt es Ergebnisse?", will Beckmann daraufhin atemlos von Reinhard Burger wissen. "Da müssen Sie die Lebensmittelbehörden fragen; wir haben nur untersucht, was die Patienten verzehrt haben." Blende nach Niedersachsen - dort erzählt Eberhard Haunhorst vom Amt für Lebensmittelsicherheit noch einmal, dass es bisher keine infizierten Proben gab - dass das jedoch nicht bedeute, dass die Ehec-Erkrankungen nicht dort ihren Anfang nahmen.

Beckmann nimmt wieder Reinhard Burger und Ilse Aigner ins Visier: Warum sei man überhaupt erst so spät auf die Sprossen gekommen, wo doch - mit einem Klick geht wieder eine Statistik auf - 1996 in Japan schon mehr als 12.000 Menschen nach dem Verzehr von Radieschen-Sprossen an Ehec erkrankt waren? Beckmann wedelt mit dem ersten Patienten-Fragebogen des Robert-Koch-Instituts - hier würden Sprossen nicht abgefragt.

Auch von Frei und Zastrow gibt es milde Kritik am Fragebogen. "Bei den ersten Befragungen hat keiner angegeben, dass er Sprossen gegessen hat", begründet Burger. Außerdem sei der Fragebogen längst weiterentwickelt und von einer Seite auf 35 angewachsen - die Frage nach Sprossen inklusive. "Aber die Indizienlage ist doch eindeutig", bellt Kommissar Beckmann.

"Das ist doch zu komplex"

Er will nun von Ilse Aigner die Zuständigkeiten in Bund und Ländern erläutert haben. In den vergangenen Tagen wurde bereits mehrfach das deutsche Behördenwirrwarr kritisiert - das Verbraucherschutzministerium ist ebenso zuständig wie das Gesundheitsministerium, denen wiederum jeweils das Bundesinstitut für Risikobewertung und das Robert-Koch-Institut unterstehen. Eigentlich ist Gesundheit in Deutschland allerdings Ländersache, weswegen das Robert-Koch-Institut hier nur beraten darf. Auch die möglicherweise betroffenen Lebensmittel werden nicht etwa vom Bundesministerium für Verbraucherschutz untersucht - sondern von den Länderbehörden.

Beckmann hat deswegen durchaus recht, wenn er Aigner unterbricht: "Wie Sie das erklären müssen, das ist doch zu komplex ... Warum gibt es kein zentrales Krisenzentrum?" Jetzt verfällt Ilse Aigner in Krimi-Deutsch: "Wir haben schon eine Task Force." Und im Übrigen verlaufe die Zusammenarbeit bestens. "Ich habe auch kein Bedürfnis, mitten in der Aufklärung über Strukturen zu diskutieren."

Doch Beckmann hat noch ein letztes Ass im Ärmel: den wütenden Landwirt. Gerhard Schulz, Gurkenbauer aus Papenburg, berichtet von Gurken, die wegen des verkündeten Lieferstopps in den Müll gekippt würden. 100.000 bis 120.000 Euro Umsatzeinbußen hat der Bauer eigenen Angaben zufolge schon hinnehmen müssen.

"Wir sind sehr enttäuscht, dass das Robert-Koch-Institut und das Ministerium überhaupt nicht reagieren und sich auf drei Kulturen fokussieren", beklagt er. Etwa drei Wochen könne ein Betrieb wie seiner den Auslieferungsstopp durchhalten - "dann müsste man schon mit der Bank sprechen".

Ilse Aigner reagiert professionell betroffen: "Dass die Situation bitter ist für die Erzeuger, das brauchen wir nicht diskutieren", sagt sie. Entschädigungen? Da druckst sie ein bisschen herum. In der Sache bleibt sie hart: "Es gibt schwere Erkrankungen. Da hat Verbraucherschutz höchste Priorität." Über die Situation der Landwirte werde sie sich aber trotzdem mit ihren europäischen Amtskollegen in Luxemburg unterhalten.

Beckmann wirkt zu diesem Zeitpunkt bereits müde. "Gibt es in der Kantine im Ministerium noch Salat? Im Robert-Koch-Institut?" versucht er noch einmal halbherzig eine kleine Provokation. Einvernehmliches Kopfschütteln bei Aigner und Burger. "Wir haben am Wochenende gegrillt", ruft Landwirt Schulz trotzig in den Raum, "und dabei haben wir Gurken und Tomaten gegessen." Gezwungenes Gelächter.

"Danke, Herr Burger, dass Sie sich gestellt haben", sagt Beckmann noch zum Schluss in Richtung RKI-Leiter. Ganz so, als wäre er das personifizierte Ehec-Bakterium, das sich höchstpersönlich und exklusiv in Beckmanns Sendung rechtfertigen musste.

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