TV-Kritik:Ohne Worte

Toter Winkel

Nichts mehr ist gut: Anyá (Emma Drogunova) haut ab, als sie eines Nachts in den Kosovo abgeschoben werden soll.

(Foto: WDR)

"Toter Winkel" will ein "Familiendrama" sein und ist doch viel mehr als das: Der ARD-Film mit Herbert Knaup und Hanno Koffler ist ein Deutschland-Drama, das zeigt, was hierzulande alles möglich ist.

Von Bernd Kastner

In der ersten Szene des Films klingelt es an der Tür, es ist Nacht, die Polizei ist da und auch das Ausländeramt. Aufstehen! Mitkommen! Abschiebung! Eine Familie aus Kosovo, drei Kinder, seit 17 Jahren in Deutschland, muss raus. Deutscher Alltag in Zeiten der Flüchtlingskrise, brutal traurig. "Kannst du mir bitte sagen, warum uns dieses Scheißland unbedingt loswerden will. Die ganze Zeit war immer alles gut und jetzt auf einmal nicht mehr", sagt später die 15-jährige Tochter Anyá (Emma Drogunova). Sie ist den Häschern entkommen und versteckt sich bei einem Klassenkameraden. Nichts mehr ist gut.

Dass die ARD den Fernsehfilm Toter Winkel ein "Familiendrama" nennt, ist nicht falsch, aber untertrieben. Der vom Lindenstraßen-Erfinder Hans W. Geißendörfer produzierte Film ist ein Deutschland-Drama, nichts weniger. Man könnte die Geschichte, die auf diese schreckliche Nacht folgt, als ein bisschen dick aufgetragen abtun, wäre da nicht die deutsche Realität: die NSU-Mordserie etwa. Oder, ganz aktuell, der Verdacht, dass ein Mann ein Fußballteam in die Luft sprengen wollte, um an der Börse Reibach zu machen. Oder dieser mutmaßlich rechtsextreme Bundeswehroffizier, der sich als syrischer Flüchtling ausgegeben haben soll.

Alles ist möglich in Deutschland, und nicht alles ist, wie es anfangs scheint. Exzellent spielt Herbert Knaup den Friseurmeister Karl Holzer, zufriedener Ehemann, liebender Vater und Opa. Als ein guter Freund seines Sohnes Thomas (Hanno Koffler) von einem Lastwagen überfahren wird und die Polizei herausfindet, dass dieser Freund ein Neonazi war, stellen sich die ersten Fragen: Was ist mit Holzers eigenem Sohn? Was wusste Thomas über seinen verunglückten Freund? Gar nichts, beteuert Thomas, schon lange keinen Kontakt mehr gehabt, alles gut.

Dann aber redet der Sohn, der dem Hobby des Hasenzüchtens nachgeht, von der reinen Rasse und der natürlichen Ordnung, als er seiner Tochter erklärt, warum er nun den einen Hasen töten muss: weil der eine unpassende Schwanzfarbe hat. Und wo hat die kleine Enkelin die rechten Lieder gelernt, die sie beim Opa auf dem Frisierstuhl singt? Vater Holzer stellt Fragen; Misstrauen und Verdacht beginnen sich in die Familie zu fressen. Ohne jedes Spektakel kommt dieser Film aus, und ohne viele Worte sowieso. Sprachlosigkeit droht die Liebe zu ersticken, je mehr der Vater den toten Winkel ausleuchtet. Herbert Knaups Mimik sagt alles, und lässt zugleich so viel offen.

"Ich war ein guter Vater", sagt er. "Bist du dir da sicher?", fragt sie

Spätestens, als man zu ahnen beginnt, dass das Schicksal der kosovarischen Familie mit der Geschichte der Holzers verwoben sein könnte, als Karl Holzer auf die verzweifelte Anyá trifft, wird die Qual des Vaters zur Qual des Zuschauers. Möge er doch den endgültigen Beweis finden, dass sein Sohn kein schlechter Mensch ist, und er selbst auch nicht.

"Ich war ein guter Vater", sagt Holzer irgendwann zu seiner Schwiegertochter, worauf diese erwidert: "Bist du dir da sicher?" Sicher ist wenig in dieser Geschichte um Täuschung und Tarnung, um Liebe und Abscheu.

Toter Winkel, ARD, 20.15 Uhr.

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