TV-Kritik: Menschen bei Maischberger:Launige Anekdoten vom Alkohol

Menschen bei Maischberger, Sandra Maischberger, ARD, Werner Böhm

Betrachtet Alkohol als sein "Entspannungselixier": Schlager-Barde Werner Böhm alias Gottlieb Wendehals.

(Foto: WDR/Max Kohr)

Sänger Werner Böhm preist die Vorzüge von Hochprozentigem als "Entspannungselixier", Schauspieler Jaecki Schwarz gibt alkoholgeschwängerte Anekdoten aus seinem Berufsleben zum Besten. Zu kurz kam bei Sandra Maischberger dagegen die eigentliche Frage des Abends: "Alkohol im Alter - Die verheimlichte Sucht?".

Eine TV-Kritik von Johanna Bruckner

Die Gästeliste macht bekanntlich die Feier. Am Dienstagabend hatte Sandra Maischberger nun leider Menschen eingeladen, die zum ausgelobten Thema der Sendung bedauerlich wenig beitragen konnten. Dafür machten sie den Talk im Ersten über weite Strecken zu ihrer ganz eigenen Mottoparty, die da lautete: Wie schön ist doch der Alkohol! Da wurde die entspannende Wirkung von Hochprozentigem gepriesen. Und das Verhalten der Polizei in der DDR angeprangert, die einen verdienten Künstler mutwillig in die Alkoholfalle habe tappen lassen. Mit 2,6 Promille war Schauspieler Jaecki Schwarz einst hinterm Steuer erwischt worden, musste zehn Prozent seines Vermögens abgeben. Wie gemein!

Dass die Gäste zur eigentlichen Frage des Abends - "Alkohol im Alter - Die verheimlichte Sucht?" - kaum Antworten zu bieten hatten, lag freilich am wenigsten an diesen selbst. Sie waren altersmäßig schlicht fehlbesetzt. Zwar wussten vier der sechs Geladenen über krankmachenden Alkoholkonsum aus eigener Erfahrung zu berichten. Neben "Polizeiruf"-Protagonist Schwarz waren das Sänger Werner Böhm, auch bekannt als "Gottlieb Wendehals", und die trockene Alkoholikerin Annette Zieren. Doch ihre Suchtkarrieren begannen allesamt in einem Alter, das gemeinhin noch nicht als Alter gilt. Einzig Doris Weiland fiel tatsächlich in die anvisierte Risikogruppe.

Weil sie mit der Pflege ihres schwerkranken Mannes überfordert gewesen sei, habe sie irgendwann Hilfe im Alkohol gesucht, erzählte die heute 73-Jährige. "Ich habe gedacht: Dann geht es dir besser und du vergisst das Leid." Am Ende habe sie eine Flasche Rotwein und eine Flasche Sekt pro Tag gebraucht. Weiland berichtete von den Ausreden, mit denen sie ihren Konsum vor dem Weinlieferanten und der Kassiererin im örtlichen Supermarkt rechtfertigte. Von der ständigen Angst, der "Stoff" könnte ausgehen. "Ich habe mich vor mir selbst geschämt." Mit 70 Jahren ließ sie sich schließlich in eine Suchtklinik einweisen. "Demütigend" und "hart" sei der Entzug gewesen.

"Ältere sind nicht fähig, darüber zu sprechen"

In Weilands Erzählungen zu vorgerückter Stunde deutete sich an, welche besondere Problematik Alkoholismus im Alter birgt. Die Betroffenen sind umso beschämter, weil sie Generationen angehören, für die Alkoholsucht noch keine Krankheit, sondern eine persönliche Schwäche ist. "Ältere Menschen sind nicht fähig, darüber zu sprechen", berichtete der geladene Suchtmediziner Michael Musalek. Alkoholkranke Senioren suchten seltener und sehr viel später als andere Betroffenengruppen professionelle Hilfe. Ein zusätzliches Hemmnis ist dabei laut Musalek die gesellschaftliche Tabuisierung. "Man hält es nicht für möglich, dass ältere Menschen so viel trinken."

Der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) zufolge, gelten hierzulande weniger als drei Prozent der Männer zwischen 60 und 64 Jahren und weniger als ein Prozent der Frauen der gleichen Altersgruppe als alkoholabhängig (Stand: 2011). Doch immerhin 15,4 Prozent konsumieren regelmäßig Alkohol in riskantem Maße - und mehr als jeder vierte Mann trinkt jeden Tag mehr als zwei Bier. Die Statistik zeigt dabei nur einen kleinen Ausschnitt eines vermutlich noch sehr viel größeren Problems: Wer älter ist als 64 Jahre, wird gar nicht erfasst.

Der Maischberger-Talk hätte hier erklären und aufklären können. Doch anstatt Zahlen zu nennen, zitierte die Moderatorin lieber ein ums andere Mal die Schlagzeile einer Boulevard-Zeitung: "Immer mehr Senioren trinken sich ins Koma." Und die Brisanz des Themas sollte wohl die Kulisse mit Dutzenden gefüllten Wein-, Bier- und Schnapsgläsern verdeutlichen. Da hatten selbst die marktschreierisch beworbene Alkoholbeichte von Schauspielerin Jenny Elvers-Elbertzhagen und das "Jenke-Experiment" zum Thema Alkoholismus, jeweils bei RTL, mehr Substanz.

Betrunken von der Bühne gestürzt - kein Problem

Im Ersten wetteiferten hingegen eine Dreiviertelstunde lang Barde Böhm und Schauspieler Schwarz, wer die amüsantere Anekdote vom Alkohol im Repertoire hat. Da wurden markige Sprüche aus Böhms Biografie vorgelesen, der auf eine einsame Insel "Gegorenes, Gepanschtes und Gebranntes" mitnehmen würde. Und der 71-Jährige erzählte, wie er seinerzeit Fans nach einem Auftritt zum Freisaufen eingeladen habe und für das Gelage am Ende zusätzlich zur Gage von 16.000 DM weitere 2000 DM aus eigener Tasche draufgegangen seien.

Auch dass er bisweilen so betrunken war, dass er von der Bühne stürzte, fand Böhm selbst in der Rückschau nicht besorgniserregend. Die Leute hätten applaudiert - und "heute klebt man mir einen Meter vom Bühnenrand ein gelbes Band hin". Schluss mit lustig war für den "Stimmungssänger der Nation" erst, als er von Maischberger gefragt wurde, ob seine Lieder nur mit Alkohol zu ertragen seien. Da hatte dann ausnahmsweise die Moderatorin die Lacher auf ihrer Seite.

Dass er Hochprozentiges wohl in zumindest riskantem Maße konsumiert (hat), wollte - oder konnte - Böhm sich nicht so richtig eingestehen. Für ihn sei Alkohol sein "Entspannungselixier". Ein Problembewusstsein zeigte sich nur in Ansätzen, wenn er sich bei Suchtmediziner Musalek erkundigte: "Woran liegt es, dass manche erkranken und andere nicht?" Und vom Experten wissen wollte, ob denn hoher Alkoholkonsum zu einem gesteigerten Demenz-Risiko führe.

"Was, da kann man schon sterben?"

Jaecki Schwarz war in Sachen Selbsterkenntnis zwar weiter - der 66-Jährige ist seit 23 Jahren trockener Alkoholiker. Doch umso befremdlicher wirkte es, wenn er Böhms mit fragwürdigem Stolz vorgetragene Behauptung, nie kotzen zu müssen, konterte mit: "Im Gegensatz zu Gottlieb kann ich sehr gut erbrechen." Um dann zu erzählen, wie ihm einmal während eines Auftritts vom Alkohol schlecht geworden sei. Hinter der Bühne habe er sich übergeben, "irgendwo, wo man nicht gleich ausrutscht". Generell sei das Arbeiten aber selbst mit zehn halben Bier und einer halben Flasche Cognac intus immer problemlos möglich gewesen - wozu gibt es schließlich Souffleusen?

So richtig schien sich also auch der trockene Alkoholiker Schwarz den Risiken seines früheren Suchtmittels nicht bewusst zu sein. Als ihm Mediziner Musalek eröffnete, wie gefährlich 2,6 Promille sein können - es ging um die erwähnte Alkoholfahrt zu DDR-Zeiten - zeigte sich der Schauspieler ehrlich schockiert: "Was, da kann man schon sterben?"

Im Verlauf der Sendung bemühte sich die Gastgeberin zwar verstärkt, die Gesprächsrunde ihrem eigentlichen Zweck zuzuführen. Doch entweder wurde Maischberger von ihren Gästen torpediert. So ließ sich selbst Suchtexperte Musalek biweilen dazu hinreißen, Ernsthaftigkeit durch Edutainment zu ersetzen. Mit dem Alkohol sei es wie mit der Sexualität, erklärte er an einer Stelle: "Die Österreicher behaupten immer, sie hätten zweimal in der Woche Sex. Aber ob es nun weniger oder mehr ist - es stimmt nie!" Oder die Moderatorin versäumte es selbst, wichtige Aspekte zu vertiefen und etwa den Frauen in der Runde mehr Raum zu geben.

So wurde die schwierige Diagnose von Alkoholismus genauso knapp abgehandelt wie das unterschiedliche Konsumverhalten von Männern (trinken aus Geselligkeit) und Frauen (trinken vor allem heimlich) und die besondere Gefährdung Älterer (bei ihnen schlägt Alkohol schneller an). Und der Frage, welche Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, um schädlichem Alkoholkonsum und Alkoholismus vorzubeugen, räumte Maischberger nicht mal fünf Minuten ein.

Einen Vorteil hatte die Redezeitpolitik der Moderatorin dann aber doch: Auch der geladene Biersommelier - was hat so jemand auf der Gästeliste einer ernsthaften Diskussion zum Thema Alkoholismus zu suchen? - kam kaum zu Wort.

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