TV-Kritik: Menschen bei Maischberger:Ab ins finsterste Mittelalter

Es liegt in der Natur des Themas, dass Maischbergers Talk zu den Missbrauchsskandalen hoch emotional, aber verhalten verlief - bis zum furiosen Finale der Sendung.

R. Sommer

Sündenvergebung statt staatsanwaltschaftlicher Aufklärung, Vertuschen statt Aufarbeiten, verklemmte Sexualmoral oder das Erodieren aller christlichen Grundwerte: Es lag in der Natur des Themas, dass Sandra Maischbergers Talkrunde zu den aktuellen Missbrauchsskandalen in den Einrichtungen der katholischen Kirche hoch emotional verlief.

Dem Ernst des Anlasses war es geschuldet, dass die Diskussion - bis zu ihrer turbulenten Schlussphase - lange verhalten, aber eben nur täuschend einträchtig verlief. Und wie so häufig wirkte letztlich nichts so entlarvend wie ein unbedachter sprachlicher Lapsus: Die undankbare Buhmannrolle kam dem Salzburger Weihbischof Andreas Laun zu.

Kurz vor dem furiosen Finale der Sendung, in der um Lösungen aus der tiefen Vertrauenskrise der Kirche gerungen werden sollte, ließ eine merkwürdige Sprachwahl Zweifel am Reformwillen seiner Institution aufkommen.

Als Sandra Maischberger von dem österreichischen Würdenträger wissen wollte, ab wann Missbrauchs-Verdachtsfälle kirchenintern als "kriminell" eingestuft und damit die staatliche Strafverfolgung eingeschaltet werden sollte, versuchte Bischof Laun weitschweifig und zunehmend hilflos zwischen Pornographie-Konsum am Computer und realen Übergriffen an Kindern und Jugendlichen zu unterscheiden. Dabei erwähnte er den Fall eines Therapeuten, der beim Sichten von Pornographie "in die Falle" gegangen sei.

Eine Steilvorlage für die ehemalige Mona-Lisa-Moderatorin Maria von Welser, die selbst zwar zum Katholizismus konvertiert war, aber die Selbstheilungskräfte der Kirche aktuell sehr kritisch sieht. "Für mich tappen nur Opfer in die Falle", warf sie dem Bischof entgegen. "Kinderpornos herunterzuladen ist der erste Schritt zum Kindesmissbrauch", so von Welser. Ein Florettstich, der schmerzte - und notwendig war.

Aber der Reihe nach: Eingeleitet wurde die mit dem ehemaligen Jesuiten-Schüler und Beinahe-Priester Heiner Geißler, der streitbaren Publizistin Gabriele Kuby sowie dem Regisseur, Komponisten und ehemaligen Regensburger Domspatzen Franz Wittenbrink prominent besetzte Diskussionsrunde mit einem Schmerzenskatalog.

Der renommierte Künstler, Sohn eines autoritären katholischen Elternhauses mit zwölf Geschwistern und einem Vater, der ihn schlug, erzählte von drakonischen Strafen wie der verharmlosend klingenden "Ohrwaschtlmassage", aber auch sexuellen Demütigungen wie Schlägen auf den nackten Hintern aus seiner Zeit bei dem renommierten Knabenchor. "Auf den Konzertreisen waren wir Stars", erinnerte er sich sichtlich bewegt. Doch stets fürchtete er die Rückkehr ins Internat - ins "finsterste Mittelalter", so Wittenbrink.

Den "Schorsch", den Papstbruder Georg Ratzinger, der 1964 Domkappellmeister in Regensburg wurde und der sich öffentlich dazu bekannt hat, Schüler geohrfeigt zu haben, nahm Wittenbrink aus seiner Kleriker-Schelte aus. Ratzinger war in seiner Erinnerung "eher ein weicher Mensch" und gehörte nicht zu den Sadisten.

In seiner scharfen Anklage an die "Wegguck- und Verschweigekultur in Deutschland" schloss er ausdrücklich die Medien ein. Rückblickend wunderte sich der Musiker, dass er zwar seine Leidenserfahrungen in Regensburg in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk schon drei Jahre zuvor ausführlich thematisiert hatte - das aber angeblich komplett ohne Widerhall blieb.

Heiner Geißler wusste aus seiner eigenen Zeit am Jesuitenkolleg in St. Blasien nichts von Missbrauchsfällen zu berichten, sah sich aber rückblickend bestätigt, dass es richtig war, nicht das Priesteramt anzutreten. "Zwei von drei Gelübden konnte ich nicht halten", sagte er und spielte damit auf das Keuschheits- und das Gehorsamsgebot an.

Diesen Faden griff bereitwillig Maria von Welser auf. "Ich mache mir Sorgen über die Verfassung der katholischen Kirche", sagte sie - und gab dem unnachgiebigen Festhalten am Zölibat eine Mitschuld an den Missbrauchsfällen. "Ich wünsche mir, dass Priester heiraten dürfen", sagte sie - und forderte, wie bei den Protestanten auch Frauen zu ordinieren. Nur so käme ein "größeres Gleichgewicht" in die Kirche, so von Welser.

"Der Rechtsstaat gilt für alle"

Wenigstens an der Oberfläche schien auch Gabriele Kuby zunächst zu Welser aufzuschließen, als sie sagte, dass sie "große Trauer an der Kirche" empfinde. Dennoch machte sie ihre den Gesprächspartnern - mit Ausnahme des Bischofs - schwer nachvollziehbare rhetorische Umkehrung des Verursacherprinzips rasch deutlich.

"Es ist furchtbar, dass die Kirche so beschädigt wird", sagte sie - und das klang recht bewusst so, als ob die Beschädigung von außen und nicht von innen kommt. Mit ihrer steilen These, dass die Sexualmoral der Kirche unter "Dauerbeschuss der Mainstream-Medien" stehe, die bereitwillig den Anlass suchten, jetzt "die Kirche in die Knie zu zwingen", stand sie recht isoliert auf weiter Flur.

Ähnlich wie schon der Augsburger Bischof Walter Mixa zuvor versuchte sie ernsthaft aufrechtzuhalten, dass die sexuelle Revolution die "Werte der Gesellschaft untergraben" und somit dem Kindesmissbrauch Tür und Tor geöffnet habe. "Das ist obszön", schimpfte Franz Wittenbrink später und warnte davor, nicht die "Opfer ein zweites Mal zu missbrauchen".

Den Weg heraus aus dem Minenfeld führte ein klarer junger Mann: Der heute 23-jährige Benedikt Treimer, der als Zwölfjähriger von einem Priester sexuell missbraucht wurde, schilderte besonnen, aber nicht ohne Bitternis sein Martyrium noch einmal. Sein zentraler Vorwurf lautet: Wie schon in seinem ganz persönlichen Missbrauchsfall verpasse auch heute die Kirche die Chance zur echten Bewältigung und setze statt auf externe Aufklärer auf Vertuschen. Kirchliches Sünden-Vergeben sei für die Täter fehl am Platz. "Geht in Therapie", lautete seine Gegenforderung.

Zur Verpflichtung, Missbrauchsfälle nicht erst intern nach Rom zu melden, sondern zusammen mit den staatlichen Stellen zu untersuchen, bekannte sich auch Heiner Geißler, der erst spät aus der Deckung kam und sich mit Bischof Laun ein hitziges Wortgefecht über das seiner Meinung nach ebenfalls unzeitgemäße Heiratsverbot der Priester lieferte.

Wider eine "elitären Gerichtsbarkeit für die Kirche"

Gerade weil die Kirche daran nicht rütteln ließe, zöge sie eben auch viele potentiell Pädophile zum Dienst in den eigenen Reihen an, gab Maria von Welser zu bedenken. "Man muss sich die Priesteranwärter viel genauer ansehen", forderte sie und schlug wissenschaftlich fundierte Einstellungstests vor.

In der Frage der strafrechtlichen Ahndung hatte Heiner Geißler wenige Minuten vor Sendungsende das passende Schlusswort. "Der Rechtsstaat gilt für alle", sagte er an seinen Kontrahenten Bischof Laun gewandt. Eine "elitäre Gerichtsbarkeit für die Kirche" dürfe es nicht geben. Der Kirchenmann bilanzierte dennoch zum Schluss weitgehende Einigkeit. Mit dieser Feststellung könnte er wirklich in eine Falle getappt sein. Bis zum Wiedergewinnen von Vertrauen ist es für die Kirche noch ein weiter Weg.

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