So sieht wohl Fernsehen 2.0 aus: Wenn eine "neue" Spielshow auf Sat.1 so wirkt, als hätte sie sich gar nicht selbst ins Rampenlicht gewagt, sondern schon vor Ausstrahlung der ersten Folge lieber gleich die Parodie-Experten der ProSieben-Truppe Switch ins Rennen geschickt.
"Wir sind jetzt im Profibereich": Moderatorin Britt Hagedorn.
(Foto: online.sdewirtschaft)Auffälligstes Ironie-Signal dieser durch und durch postmodernen Sendung, von der man nicht zu wagen glaubt, dass sie sich jemals selbst ernst genommen hat, ist ihre Moderatorin: Britt Hagedorn. Die altgediente Nachmittagstalkerin quasselt sich mit dunklem Kajalblick und passendem schwarzen Abendkleid, das beim Kapitäns-Dinner auf dem ZDF-Traumschiff so manchen Blick auf sich gezogen hätte, durch ein Spielshow-Martyrium, das zur besten Sendezeit selbst in leichtlebigen Sommerzeiten nichts verloren hat.
"Wir sind jetzt im Profibereich", muntert sie ihren Spielkandidaten zur vorgerückten Sendezeit Talkshow-gerecht auf. Und man muss gar nicht Küchenpsychologe sein, um zu ahnen, dass sich Britt selbst ein wenig Mut macht - im "Profibereich", wohlgemerkt.
"Gänsehaut pur", muss ihr dann der fesche Assistent Harro Füllgrabe beipflichten. Der Mann trägt zwar einen wenig vertrauten Namen, glänzt aber mit einem Gesicht, das doch tatsächlich an irgendwen erinnert. Auf Britts Hauptabendausflug hat er die Aufgabe, genau jene Spielregeln noch einmal zu erklären, die von der Hauptmoderatorin gerade erst in epischer Breite, aber ohne erkennbaren Aha-Effekt vor Kandidaten, Saal-Publikum und Fernsehzuschauern ausgewälzt wurden. Ansonsten muss "Erklär-schon-mal-die-Regeln-Harro" gute Miene zum faden Spiel machen und den "Das wird jetzt super, super spannend"-Sermon am Laufen halten.
Unerträgliche Spannung
Von wegen "Gänsehaut pur": Rund um einen merkwürdig geformten Spieltisch warten mit Nadine, Eliana, Katja und Katrin vier Zocker-Zicken auf ihren Einsatz. Ihr eigenwilliges Spiel wird "Pokern" genannt, hat aber vor allem mit dem Herumschieben von "Schips" (O-Ton Britt) auf dem Filz zu tun. Wenn die Tischdame nicht gerade die nächsten "Regeln" erklärt, deckt sie mit betulich ernstem Blick Tarot-Karten auf, die "Hinweise" enthalten sollen. Zum Glück löst Britt die fast unerträgliche Spannung schnell wieder auf und verrät, dass zunächst Chili-Schoten gemampft, später auf galoppierenden Pferden balanciert und letztlich Arme gedrückt werden müssen.
Eigentlich gefragt sind die zu den vier Spielerinnen passenden Herren-Begleiter. Nur von denen bekommt man lange nichts mit, weil sie in Plastikvitrinen im Bühnenhintergrund drapiert und nur für die Wetteinsätze ihrer Damen ins Rampenlicht gelassen werden. Damit man sie nicht ganz vergisst, feixen sie immer schön artig, wenn sie die Kamera streift.
Von Alexander etwa, dem geheimnisvollen Mann mit dem Hut, bekommt man über weite Strecken überhaupt nichts mit. Bevor er endlich auch einmal für eine Aufgabe aus seinem Plexiglas-Aquarium freigelassen wird, wissen aufmerksame Zuschauer, dass er zaubern und tanzen kann - und zum Glück "sehr fingerfertig" ist, wie seine kokette Eliana verrät. "Das freut mich für dich", pflichtet ihr Britt schwesterlich bei.
Mythos Mann
Doch dem Mythos Mann kann auch der so gepriesene Italo-Schotte nicht gerecht werden. Als er für seine Herzensdame 17 fliegende Toast-Scheiben auffangen soll, die aus einem getunten Hightech-Röster katapultiert werden ("... selbstverständlich kein Otto-Normalo-Toaster", sagt Britt), versagt Alexander kläglich. Trotzdem ein Moment puren Gänsehaut-Gruselns. "Zu deiner Sicherheit sind die Scheiben ein wenig angetoastet", versucht Harro im Moment höchster Anspannung zu beruhigen. Kaum vorstellbar, was mit fliegendem Weißbrot in Shows wie dieser passieren könnte. Und doch ist Krawall-Talkerin Britt natürlich Profi genug, um sich wie Kollege Stefan Raab bis an die Grenze heranzurobben und anstürmende Kritiker-Proteste stillschweigend einzukalkulieren, wenn nicht sogar zu provozieren. Deshalb muss entrüstet festgehalten werden, dass Sat.1 in dieser Familienshow Schindluder mit dem guten Geschmack treibt. Vor Nachahmung muss ausdrücklich gewarnt werden:
Stiller Höhepunkt
Natürlich ist es für die Magenschleimhäute gefährlich, zehn mexikanische Horrorpaprikas zu verschlingen. Natürlich sind die kleinen Kernchen im Inneren das Gefährlichste. Und natürlich ist es eigentlich fies, in einer Spielaufgabe tumbe Männerhände dazu zu zwingen, blonden Schulmädchen im Kampf gegen die Uhr Zöpfe zu flechten. Das ziepft wie Hölle!
Vom Glasscheiben-Einschießen mit Fußbällen ganz zu schweigen. Immerhin bestätigt Thomas Helmer, der sich aus irgendeinem Grund für einen Kurz-Auftritt in diese Sendung verirrt hat, dass er sich mit dem Zerstörungsgeschmetter eine Art Kindheitstraum erfüllte. Müsste sich Britt von derlei Rowdytum nicht entschieden distanzieren?
Kein Wunder, dass einer der eigentlichen Höhepunkte des Männer-Austestens ein stiller war: Familienvater Tom musste nämlich innerhalb von 60 Sekunden so viele Sesamstraßen-Kandidaten aufsagen, wie ihm nur einfielen. Harros Mitgefühl hatte er. "Das ist ein Blitzbirnen-Spiel", menschelte der Assistent glaubhaft. Nur mit Toms Nervosität hatte niemand gerechnet. "Sagt Ihr mir auch, worum's geht, bevor ich noch einmal durchatmen soll?", fragte er schüchtern. Dann musste er sich in einem Spiel bewähren, dessen Regeln offenbar doch zu kompliziert waren.
Unterm Strich ging allerdings vieles gut aus: Peter und Nadine gewannen 50.000 Euro - durch strategisch geschicktes Nichtstun, weil ihre Gegner patzten. Und Britt erfuhr ganz nebenbei, dass dem Siegerpaar bislang das Geld für ihre kirchliche Hochzeit fehlte. Ein rührendes Thema also, das sich wieder besprechen ließe, wenn Britt bei ihrem gleichnamigen Nachmittagstalk ungebremst nachhaken darf. Genau dann, wenn sie sich nicht mehr mit lästigen Spiel-Erklärungen herumschlagen muss. Die echten Shows gehorchen nämlich doch eigenen Regeln.