TV-Kritik:Maischberger und die Mörder

Ein paar Minuten für einen Mord: Bei Sandra Maischberger erzählen die Frau des Kraillinger Doppelmörders, die Mutter des "Rhein-Ruhr-Rippers" und eine verurteilte Mörderin ihre unfassbaren Geschichten. Zeit, um diese zu verdauen oder darüber zu diskutieren, ist nicht. Und die Frage, um die es geht, bleibt weitgehend unbeantwortet.

Anna Fischhaber

Dagmar Eichhorn hat einen Sohn, der vier Frauen verstümmelt hat. Ursula S. einen Ehemann, der aus Habgier mit Seil, Messer und Hantel auf seine Nichten losgegangen ist. Bianca Scholz wäre bei einem Raubüberfall fast gestorben, heute sitzt sie im Rollstuhl. Iris Pfeifer hat nach sechs Jahren Ehehölle ihren Mann erstochen. Jetzt sitzt sie im pinken Shirt, auf dem die Aufschrift Peace prangt, bei Sandra Maischberger im Studio und erzählt wie die anderen drei Frauen auch, wie man damit lebt.

"Gier, Hass, Eifersucht: Kann jeder zum Mörder werden?" ist das Thema an diesem Dienstagabend bei "Menschen bei Maischberger". Ein gesellschaftlich relevantes Thema nennt das die Pressestelle - und hat damit sicher Recht. Der Titel legt allerdings den Verdacht nahe, dass hier die Sensationsgier mancher Zuschauer bedient werden soll. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Mord und den aufgezählten Motiven real, so dass die Frage berechtigt scheint.

Eine andere Frage ist allerdings: Kann der Fernsehzuschauer in 75 Minuten vier so emotionale Geschichten verdauen? Kann man gleichzeitig über vier brutale Verbrechen nachdenken, wo doch eine Sendung nicht reichen würde, um über eines zu reden?

Einen aktuellen Anlass für das Thema gibt es. In München wurde vergangene Woche der Doppelmörder von Krailling zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Jener Mann, der aus Angst um sein Eigenheim seine zwei kleinen Nichten äußerst brutal tötete und vor Gericht meist grinste.

Bei Maischberger versucht nun seine Ehefrau Ursula S. alles, um sich selbst als Opfer in Szene zu setzen. "Ich war sehr froh, dass ich endlich ein Urteil hatte", sagt sie zum Beispiel. "Dass endlich die Öffentlichkeit sieht, dass ich und meine Kinder mit dem Mord nichts zu tun haben."

Sandra Maischberger macht ihre Sache gut. Immer wieder bohrt sie kritisch nach, ob die Frau, die ihrem Mann zunächst ein falsches Alibi gegeben hatte, denn wirklich nichts gemerkt habe. Oder ob eine Ehefrau in so einer Situation nicht lügen müsse.

Ursula S. sieht sich selbst als Opfer

Ursula S., lange braune Locken, kurzer schwarzer Rock, Spitzenhemd, weicht aus. Lieber erzählt sie, wie ihr Mann sie manipuliert und kontrolliert habe, wie er ihr die Kreditkarten weggenommen und sie sich nur auf ihren Krebs und den schwer kranken Sohn konzentriert habe. Aber sie sagt auch: "Ich bin von der Vernehmung nach Hause zu meinen Kindern gekommen und da ist uns dann alles bewusst geworden. Da waren wir zu 99 Prozent sicher, dass er es gewesen ist. Wir haben zu fünft den ganzen Abend geheult."

Bei ihrem kurzen Auftritt vor Gericht hatte sie zu ihrem Verdacht geschwiegen, dafür hatte sie vorher ausführlich mit dem Stern über ihren Mann, den Mörder, geplaudert und dafür laut Zeugenaussagen ordentlich kassiert. Auch nach ihrem Gerichtsauftritt fand Ursula S. schnell ihre Sprache wieder, als die Kameras des Senders angehen, von dem sie Geld bekommt. Nun ist der Prozess vorbei und Ursula S. darf offensichtlich auch mit der ARD reden.

Mit ihrer Schwester, die zwei Kinder verloren hat, redet sie noch immer nicht. Maischberger macht das fairerweise zum Thema, liest einen Brief der Familie vor, der Ursula S. fehlendes Mitgefühl und genau diese öffentlichen Auftritte vorwirft. Nun erzählt die Frau, wie leid es ihr um die Nichten tue. Es fällt schwer, ihr zu glauben. Vor allem, da Ursula S. jetzt wieder betont, dass sie selbst ein Opfer ist, dass sie viel geheult habe und sich einen neutralen, normalen Umgang mit ihrer Familie wünsche.

Hat sie wirklich normal gesagt? Was solle da die Schwester denken, fragt Maischberger noch, dann ist der Auftritt von Ursula S. wieder vorbei. Wie jemand zum Mörder werden kann, darüber hat man nichts erfahren. Es ist das erste Zeichen dafür, dass die Sendung ins falsche Fahrwasser gerät.

"Ich liebe ihn noch immer"

Das bestätigt der Auftritt der drei Frauen, die nun von ihren mörderischen Schicksalsschlägen erzählen können. Man bekommt sogar das Gefühl, die Zusage von Ursula S. habe die Macher der Sendung dazu gebracht, eben noch ein paar passende Gäste einzuladen.

Zunächst tritt Dagmar Eichhorn auf, die Mutter des sogenannten "Rhein-Ruhr-Rippers", eines Serienmörders. Im Gegensatz zu Ursula S. scheint sie über die Schuldfrage wirklich nachgedacht zu haben. Immer wieder hinterfragt sie die eigene Erziehung, sagt etwa den denkwürdigen Satz: "Ich glaube man hat den falschen eingesperrt, da müsste man mich ja einsperren." Oder: "Ich liebe ihn noch immer", " ich habe Angst, wenn er freigelassen wird".

Doch was hat ihren Sohn zum Mörder werden lassen? Selbst Mutter Eichhorn will diese Frage nun beantwortet haben. Doch die geladenen Experten tun sich schwer. Den Erklärungen des Strafverteidigers, berühmt dank seiner Auftritte bei Fernsehrichterin Barbara Salesch, kann man kaum folgen. Und die österreichische Gerichtspsychiaterin, die einst Josef Fritzl untersuchte, stellt fest, sie könne die hier besprochenen Täter nicht aus der Ferne beurteilen.

Auch über das Böse will sie nicht richten: Moralische Fragen seien nicht ihr Job, sie entscheide, wie gefährlich jemand sei. Einleuchtend ist immerhin ihre Einschätzung, dass viele Mörder die Tat in der Fantasie so oft durchgespielt hätten, dass schließlich die Hemmschwelle sinke.

Dann ist auch schon Iris Pfeifer dran, die sagt: "Ich tötete meinen Mann, um zu überleben." Die blonde Frau schildert, wie ihr Mann ihr, als sie hochschwanger war, eine Messer in den Hals rammte, wie er das zweite Kind mit Tritten in den Bauch tötete. Wie die Polizei ihrem Leiden zusah und sie schließlich zustach. 20 Mal.

Ob es tatsächlich so war, ob Pfeifer wirklich auch Opfer ist - dazu stellt Maischberger keine einzige kritische Frage. Sie nickt nur verständnisvoll, während sich eine verurteilte Mörderin als mutige Kämpferin in Szene setzt. Das ist gelinde gesagt unjournalistisch. Natürlich, es gibt solche Fälle. Glaubt man Pfeifer, so steht hier tatsächlich eines der Motive im Raum, die Menschen zu Mördern werden lassen. Und wer versucht, sich in die Frau hineinzuversetzen, entwickelt vielleicht sogar ein gewisses Verständnis, auch wenn Mord durch nichts zu rechtfertigen ist.

Zu wenig Zeit für echte Debatte

Angesichts all des Grauens würde man als Zuschauer jetzt gerne einmal durchatmen und mehr von den Experten hören, die aus der emotionalen Distanz etwas Sachliches zum Thema beitragen sollen. Viel kommt dabei allerdings nicht heraus. Zu viele Themen werden angeschnitten, zu wenig Zeit bleibt für eine echte Debatte. Es geht mal eben um die Schuldfrage an sich, um die Glaubwürdigkeit der Reue der Täter und deren geistigen Gesundheitszustand im Allgemeinen.

Dann tritt noch schnell Bianca Scholz auf. Auch ihre Geschichte ist brutal, natürlich. Zwei Jugendliche überfielen sie nachts, doch anstatt ihr Geld zu nehmen, stachen sie mit einem Messer auf sie ein, durchtrennten ihr Rückenmark und ihre Halsvene und ließen sie schließlich halb tot auf einem Parkplatz liegen. Es ist eine Geschichte, die einen berührt, vor allem, weil die Frau im Rollstuhl sie mit so viel Lebenskraft erzählt.

Nur ist es eben die vierte unfassbare Geschichte, die der Zuschauer an diesem Abend hört. Nicht einmal zehn Minuten hat Scholz dafür. Sie ist als Opfer hier, damit die ARD dem Vorwurf entgeht, man beschäftige sich nur mit den Tätern. So hat Maischberger sie selbst angekündigt. Doch was soll Bianca Scholz für Antworten geben auf die Frage, ob jeder zum Mörder werden kann?

In den letzten fünf Minuten gibt es noch so etwas wie eine Diskussion. Es geht irgendwie um Gerechtigkeit und darum, ob jeder eine zweite Chance verdient hat. Opfer Scholz fordert härtere Strafen. In ihrem individuellen Fall mag das nachvollziehbar sein, doch auch jetzt bleibt der Zuschauer mit dieser Forderung allein. Der Strafverteidiger sagt deshalb noch schnell, dass die EU gerade die Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt hat.

Die Frage, ob denn nun jeder zum Mörder werden kann, beantwortet an diesem Abend bei Sandra Maischberger niemand mehr. Dafür hätte man vielleicht einfach weniger Opfer und mehr kluge Experten einladen müssen.

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