TV-Kritik: Letzter Sonntags-Talk von Anne Will:Schwere Geschütze

Kein Wort über Günther Jauch, dafür wurde es in Anne Wills letzter Sonntags-Runde ordentlich laut: Die Frage, ob Deutschland Panzer nach Saudi-Arabien liefern darf, erhitzt die Gemüter. Vor allem Talkshowdauergast Arnulf Baring stänkert auf seine alten Tage gegen alle, die nicht seiner Meinung sind: "Ach, Kinder, ihr seid so simpel!"

von Ruth Schneeberger

Auf diesem Platz hatte es Anne Will in der ARD nie besonders leicht: Bevor sie die Nachfolge von Sabine Christiansen im sonntagabendlichen Polit-Talk übernahm, galt sie noch als herausragend angenehme Tagesthemen-Moderatorin (2001 bis 2007), der es gelang, die Nachrichten mit ironischem Lächeln nonchalant zu verkünden und die Interviewpartner auch mal härter anzupacken.

Anne Will talkte zum letzten Mal an einem Sonntag

Abschied vom Sonntag: Bei Anne Wills letzter Talkshow-Runde ging es nochmal ordentlich zur Sache.

(Foto: dapd)

Erfrischend wirkte das damals und stand den Öffentlich-Rechtlichen, die gerade dabei waren, ihren Nachrichten einen jüngeren und lebhafteren Anstrich zu verleihen, gut zu Gesicht. Ihre hochgezogene Augenbraue gelangte zu dieser Zeit zu Berühmtheit. Grimme-Preis, Goldene Kamera und der Deutsche Fernsehpreis waren der Dank. Mit der allgemeinen Beliebtheit war es allerdings vorbei, sobald sie sich in die Manege des Polit-Talks begeben sollte - obwohl sie ihre Sache besser machte als ihre Vorgängerin.

Wo Sabine Christiansen von 1998 bis 2007 die Sendung zwar zur wichtigsten politischen Talkrunde im deutschen Fernsehen gemacht, den Männerrunden der Macht aber oft genug nicht mehr als ein zartes Lächeln entgegenzusetzen hatte, war Anne Wills Moderation von Anfang an aus einem anderen Holz: Mit ruhiger Hand führte sie freundlich aber bestimmt ihre Gesprächspartner bisweilen vor, ließ sich weniger die Butter vom Brot nehmen als ihre Vorgängerin, insistierte auf Fragen, die sie gestellt hatte, ließ sich nie aus der Fassung bringen - und ließ auch schon mal jemanden so lange reden, bis er sich verplappert hatte, um dann seine Argumentation zu widerlegen.

Den Rundfunkräten war das anfangs zu wenig: Sie monierten Anfang 2008 in einem eher unüblichen Akt der Kritik, die Moderatorin habe die Fakten nicht schnell genug parat, könne Diskussionsverläufen nicht folgen und habe Probleme mit der Faktensicherheit.

Anne Will setzte sich durch - und blieb. Bis jetzt: Von September an wird Schwiegermutterliebling Günther Jauch, dann 55-jährig, den Sonntags-Talk übernehmen, Anne Will, 45, muss umziehen auf einen weniger prominenten Platz am Mittwochabend. In ihrer letzten Sendung ließ sie nun noch einmal schwere Geschütze auffahren - im wahrsten Sinne des Wortes: Unter der Frage, ob Deutschland Kampfpanzer nach Saudi-Arabien liefern dürfe, ging es einigermaßen hoch her.

Baring versus Sommer

Vor allem Talkshowdauergast Arnulf Baring durfte ordentlich stänkern: Der 79-jährige Publizist bezeichnete sämtliche Gesprächspartner, die nicht seiner Meinung waren, wiederholt und vehement als "simpel" und blauäugig und verteidigte lautstark Waffenlieferungen der Bundesregierung auch an Länder mit instabilen Verhältnissen - weil die Welt nun mal nicht so sei, wie man sich das wünsche: "Wer die Menschenrechte für ein absolut verbindliches Instrument unserer Außenpolitik hält, wird scheitern. In der Welt haben wir vielleicht knapp 200 Regierungen, von denen 180 des Teufels sind, alle schlecht, alle undemokratisch, unterdrücken und quälen die Leute."

Es sei naiv, zu fordern, Deutschland dürfe nur an Bündnispartner und nicht an Länder mit instabilen Verhältnissen liefern. "Wir sind nun einmal Waffenexporteure", ließ Baring höchst ungeduldig verlauten - und sorgte mehrfach für Lacher im Publikum, als er seinen Nebensitzer, Zeit-Mann Theo Sommer, mal als zu jung und mal als zu alt bezeichnete.

Journalist Sommer spielte in der Sendung seinen maßvollen Gegenpart, wobei Baring immer wieder wie ein cholerischer Springteufel dazwischenschoss. Doch Sommer ließ sich nicht beirren, mit ruhiger Stimme forderte der 81-Jährige ehemalige Herausgeber der Zeit die Bundesregierung zur Offenlegung ihrer geplanten Waffenlieferungen auf. Zwar müssten nicht die Details der Planung des Verkaufs von 200 Leopard 2-Panzern an Saudi-Arabien der Öffentlichkeit präsentiert werden, wohl aber die Entscheidung darüber, ob die Waffen geliefert würden oder nicht.

Für den Fall nämlich, dass tatsächlich deutsche Panzer an ein Regime verkauft würden, die es auch gegen sein eigenes Volk richten könne, sei das eine Katastrophe: "Denen jetzt Panzer zu schicken mit sogenannten Räumschilden, gleichsam Demonstrantenbaggern, Demonstrantenschaufeln, nachdem sie in Bahrain geholfen haben, die schiitische Erhebung niederzuschlagen, finde ich absolut fürchterlich."

"Diesen Wahnsinn müssen wir aufhalten"

Dieser Meinung war auch Jürgen Todenhöfer, der am eigenen Leib miterlebt hat, wie gefährlich europäische Waffen in Krisengebieten werden können: Der 70-jährige ehemalige CDU-Politiker und jetzige Autor war im März 2011 während der Revolution gegen Gaddafi in Libyen nur knapp einem Raketenangriff entkommen - sein Fahrer war dabei ums Leben gekommen. In der Sendung wurden Aufnahmen des Angriffs gezeigt - und Todenhöfer betonte, in Libyen Panzer gesehen zu haben, die aus Italien stammten.

"Diesen Wahnsinn müssen wir aufhalten", so Todenhöfer, denn auch die deutschen Panzer würden in Saudi-Arabien "mit Sicherheit gegen die Bevölkerung eingesetzt, so wie bei Gaddafi." Mit einer vermeintlichen Stabilisierungsstrategie im Nahen Osten sei man "immer auf die Nase gefallen. Das berühmteste Beispiel ist Saddam Hussein." Deutschland müsse sich nun vielmehr darauf konzentrieren, den Arabischen Frühling zu unterstützen. Er selbst habe mit Jugendlichen auf dem Tahrir-Platz in Ägypten zusammengesessen und prophezeie, dass es in der arabischen Welt in ein paar Jahren nur noch Demokratien gebe - weil die Jugend fest daran glaube.

"Ach, Kinder, ihr seid alle simpel!"

Das sorgte nicht nur bei Arnulf Baring für höchste Verärgerung ("Ach, Kinder, ihr seid alle simpel!"), sondern auch beim innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU, Hans-Peter Uhl, 66: Saudi-Arabien sei dem Westen "in allen Fragen" immer ein verlässlicher Partner gewesen - und die nun geführte Debatte über etwaige Panzerlieferungen sei ein "Hochamt der Heuchelei, hysterisch inszeniert". Die Diskussion im Bundestag darüber sei in hohem Maße unfair. "Denn was das Verfahren anlangt, haben wir nichts anderes gemacht als das, was Rot-Grün sieben Jahre lang gemacht hat."

Damit meinte er zum einen Waffenlieferungen unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und seinem Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und zum anderen die Geheimhaltung, unter der solche Verhandlungen sonst geführt würden. Normalerweise tauchen Waffenlieferungen Deutschlands erst im Nachhinein im Rüstungsexportbericht auf - diesmal hatte der Spiegel vergangene Woche vorab von dem Vorhaben berichtet.

Was die Menschenrechts-Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament, Barbara Lochbihler, in der Sendung dazu veranlasste, zu fordern, dass dieser Bericht nicht mehr nur einmal, sondern, wie in Großbritannien, viermal im Jahr veröffentlicht werden solle, um die Öffentlichkeit besser über die Waffengeschäfte der Regierung zu informieren. Denn: "Was wir immer wieder machen, ist, dass man versucht, Potentaten für sich zu gewinnen, indem man sie als Stabilitätsgaranten unterstützt, und dass die dann immer aus dem Ruder laufen. Und dann sind wir gezwungen, wie etwa in Libyen, schnell zu entscheiden, ob wir in einen Krieg hinein wollen oder nicht."

Die 52-jährige Menschenrechtsexpertin und langjährige Chefin der deutschen Sektion von Amnesty International bekam an diesem Abend den größten Publikumsapplaus - unter anderem dafür, dass Lochbihler CSU-Mann Uhl vorwarf, dem Münchner Waffenhersteller Krauss-Maffei Wegmann aus seinem Wahlkreis nach dem Munde zu reden.

Angesichts des Schweigens der Kanzlerin zu diesem Thema war Anne Wills letzte Sonntagssendung einem wichtigen Thema gewidmet, dem sie einigermaßen gerecht wurde, hatte interessante Gäste und erhellende Momente und war in ihrer Gereiztheit sogar unterhaltsam. Die Moderatorin dürfte zufrieden sein mit ihrer letzten Vorstellung.

Ihren Abschied thematisierte Anne Will erst ganz zum Schluss, wies nur kurz auf die neue Sendung am Mittwoch, 31. August, 22:45 Uhr, hin, von der sie in Interviews vorab berichtet hatte, sie werde länger dauern (75 Minuten) und mehr Möglichkeit zu tiefer gehenden Gesprächen bieten. Ihren Nachfolger Günther Jauch indes, für den sie nun erst einmal den Platz räumen muss, erwähnte sie mit keinem Wort. Es heißt, seine Sendung, die am 11. September startet, sei 40 Prozent teurer als die jetzige - unter anderem wegen seines Honorars.

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