TV-Kritik: Hart aber fair:Wiegenfest mit "Muttis Klügstem"

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Glückwunsch zum Hundertsten: In Frank Plasbergs Jubiläumssendung beharken sich zwei Ex-Koalitionäre im "Atom-Showdown". Umweltminister Röttgen widerspricht Angela Merkel. Ob er selbst Kanzler kann, mag er aber nicht sagen.

Rupert Sommer

So feiert man Geburtstage - mit einem kleinen Tisch- bzw. Tresenfeuerwerk, bei dem in hitzigen Debatten nicht nur rhetorische Funken sprühen, sondern zum Schluss auch ein kleines physikalisches Energie-Wunder erfunden wird. Zu seiner Jubiläumssendung muss man Frank Plasberg wirklich gratulieren: 100 Mal war der smarte Diskussionsdompteur, der mit Hart aber fair schon vor neun Jahren im Dritten Programm, beim WDR, begann, bislang schon im Ersten zu sehen.

100 mal "Hart aber fair"
:Plasbergs bunter Streiter-Zoo

Seit hundert Sendungen lässt Mittwochs-Talker Frank Plasberg in der ARD die Fetzen fliegen. Eine Galerie prominenter Streithähne.

Die schönste Überraschung: Plasberg ließ sich wie alle Routiniers nichts anmerken und hielt alle Bestrebungen, tatsächlich einen Wirbel ums runde Gedenken zu machen, im Zaum. "Gleich kommen die Tagesthemen ", versuchte er Grünen-Chefin Renate Künast kurz vor Abpfiff der Sendung zum Schlussspurt anzutreiben und stellte sich ihr wie ein väterlicher Coach zur Seite.

Erst wenige Sekunden vor dem Finale ließ Plasberg den Hinweis auf die Jubiläumssendung, die hinter den Kulissen mit einer Aftershow-Party gefeiert wurde, fallen. Viel festlicher stimmte ihn - wie vermutlich jeden guten Journalisten - die hochdramatische Zeitknappheit zum Ende hin, in der jedes Wort wichtig wurde und nur noch die beste Schlusspointe zählte.

Seine Geburtstagsgäste, darunter neben Künast Umweltminister Norbert Röttgen, Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, Atomstrom-Manager Ralf Güldner und Bestseller-Autor Frank Schätzing, machten ihm die Freude, wirklich bis knapp vor der Weiterschalte zu Tom Buhrow auf Draht und geistreich zu bleiben. Und dass ausgerechnet die Tagesthemen um 23 Uhr dem Festbetrieb ein Ende bereiteten, dürfte Plasberg vermutlich amüsieren.

Sollten sich die Gerüchte bewahrheiten, könnte der Talker dieser Beinahe-Kollision künftig einfach leichter aus dem Weg gehen. Dann nämlich, wenn seine Sendung - nach dem großen Sendeplatz-Verschiebespiel, an dem ARD-Programmdirektor Volker Herres derzeit puzzelt - wirklich in die Primetime rückt. Ein Argument dafür, dass Plasbergs beste Sendungen auf die beste Sendezeit gehören, hat er den Planungsstrategen nun wieder an die Hand gegeben.

Das Infragestellen der Uhrzeiten war diesmal fast eine Art running gag der Sendung, jedenfalls als Plasberg beschloss, sich Norbert Röttgen nach bewährter "Hart aber wirklich nicht ganz fair"-Manier einmal richtig zur Brust zu nehmen. Der Umweltminister mit den onkelhaften runden Augengläsern, die eigentlich auch Plasberg gut gefallen müssten, wurde vom Moderator zwar als "Mann der Woche" angepriesen. Aber dass nach zuckrigem Charme unweigerlich die Frechheit folgen müsste, dürfte auch Röttgen geahnt haben.

"Haben Sie das bei Frau Merkel gelernt?"

Plasberg gab genüsslich den in Politikerkreisen kursierenden Spitznamen des aufstrebenden Polittalents preis ("Muttis Klügster") und ließ gleich einen gefürchteten Plasberg-Haken folgen. Das Lavieren, das unentschlossene Hin und Her, die Aalglattheit seiner Positionen machte er Röttgen zum Vorwurf und ließ dies in der Frage gipfeln: "Haben Sie das bei Frau Merkel in Berlin gelernt?"

Doch es kam noch heftiger: Plasberg witzelte, dass Röttgen selbst auf einfache Fragen, wie jene nach der Uhrzeit keine eindeutigen Antworten geben könne, sondern sich hinter rhetorischen Verschleierungen verstecke. Zunächst lächelte Röttgen über diesen Berliner Treppenwitz hinweg.

Ebenso wie über eingespielte Straßenbefragungen, in der viele Passanten dem Mann, der eine Kampfabstimmung über den CDU-Vorsitz in seinem Heimatland NRW erzwingen möchte, als profillosen Ehrgeizling lächerlich machten. Er empfahl sich stattdessen als Mann des Kompromisses und kleidete die Schwierigkeit, sich etwa beim Atomausstieg klar festlegen zu müssen, in viele, aber eben nicht immer eindeutige Worte.

Auch als ihn Plasberg zur Ja-Nein-Antwort zwingen wollte, bewahrte er die Fassung. "Können Sie Kanzler?", schoss ihm Plasberg entgegen. Röttgen antwortete, wie geboten war: "Ich weiß nicht. Der Posten ist gut besetzt."

Dass er der Kanzlerin zumindest widersprechen kann, bewies Röttgen bei der Frage, wofür die Einnahmen aus der geplanten Brennelementesteuer benutzt werden sollen. Es gebe da zwei Verwendungszwecke, dozierte der Umweltminister: Zum einen solle die neue Steuer die Sanierung der Asse dienen, des "gescheiterten, maroden Endlagers", wie Röttgen sagte. Das könne "einige Milliarden" verschlingen. Zum anderen solle der Haushalt konsolidiert werden.

Die schwarz-gelbe Regierung plane neben der Brennelementesteuer außerdem eine zweite Abgabe für die Atomindustrie, die im Falle einer Laufzeitverlängerung aktuell werde: "Diese Laufzeitverlängerungen führen zu Sondergewinnen, und die sollen für die erneuerbaren Energien abgeschöpft werden", sagte Röttgen.

Bei Angela Merkel hatte das zuvor anders geklungen: "Die 2,3 Milliarden Euro, die die Brennelementesteuer bringen soll, werden für die Sanierung, die Konsolidierung des Bundeshaushaltes verwendet", hatte die Kanzlerin von ihrem Regierungssprecher Steffen Seibert ausrichten lassen. Von der Sanierung des ehemaligen Bergwerks Asse in Niedersachsen, in dem radioaktive Salzlauge lagert, war bei Seibert nicht die Rede.

Lesen Sie weiter, wie Wolfgang Clement seine Wandlung vom Politiker zum Lobbyisten rechtfertigt und welcher Talkgast den Comedian gab.

Eine halbe Stunde vor Ende hatte jedoch Röttgen, den Plasberg spöttisch als den Mann vorgestellt hatte, "der Stühle nur braucht, um dazwischen zu sitzen", die Lacher auf seiner Seite. Plasberg griff nämlich den Armbanduhr-Gag noch einmal auf und drängte Röttgen in die Ecke. "Herr Röttgen, wie viel Uhr ist es jetzt?", bat er den Politiker um Klartext.

Röttgen griff den Ball auf und verwandelte die Vorlage selbstironisch: "Es ist jetzt 20 vor elf. Wir sind schon an der Nähe zur elf - dann, wenn Ihre Fete beginnt. Aber wir bewegen uns in langsamen, gedanklich abgesteckten Schritten auf den Höhepunkt des Abends zu", lautete seine absichtlich weitschweifige Stegreif-Replik. Plasberg war angemessen baff: "Comedian ist er auch noch", lautete sein faires Lob. Doch weit gefehlt, wer gedacht hätte, die 100. Plasberg-Show wäre nur ein freundliches Kaffeekränzchen geworden.

In der Sache stritten sich alle Beteiligten bis aufs Blut. Was sicher auch am gut gewählten, diesmal durch originelle Zuspieler und Zuspitzungen geschickt vorangetriebenen Thema "Der Atom-Showdown - wer siegt im Kampf um Energie und Macht?" lag. Ausgangspunkt des Streitgesprächs, das naturgemäß zu keiner Lösung führte, war die von Ralf Güldner und Wolfgang Clement unterzeichnete Anzeigen-Breitseite gegen die schwarz-gelbe Regierungskoalition. Während Röttgen beschwichtigte, dass die aufwendige, von Spitzenmanagern wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann oder Bahn-Vorstand Rüdiger Grube mitgetragene Kampagne, nur "eine Diskussion über das Energiekonzept anzetteln" wollte, gab vor allem Frank Schätzing Contra und kritisierte den Stil als "unselig".

Dennoch konnte sich in einer zunehmend leidenschaftlichen Diskussion ausgerechnet der zuständige Umweltminister zunächst zurücklehnen - die heftigsten Hiebe versetzten sich ausgerechnet die Ex-Koalitionäre Clement und Künast. Dabei versuchte der ehemalige SPD-Wirtschaftsminister, der seinerzeit den von der rot-grünen Regierung mitgetragenen Atomausstieg selbst befürwortet hatte, seinen radikalen Spurwechsel zu erklären.

Seine Wandlung vom Politiker zum Lobbyisten begründete er mit einer Bekehrung aus Großbritannien. Wie angeblich die Partei der Grünen auf der Insel auch habe er sich zu der Erkenntnis durchgerungen: "Kernenergie ist immer noch besser als der Klimawandel."

"Ich wäre glücklich, wenn Sie das täten"

An der Grünen-Heimatfront erntet er dafür nur Empören. Dabei wertete Clement im Gegenzug Renate Künast vom ehemaligen Koalitions-Juniorpartner zu einer der mächtigsten Frauen der Republik auf: "Die Grünen haben die Meinungsführerschaft übernommen", polterte er über die aktuelle Atomstrom-Debatte. Sonderbar nur, dass Künast sich trotzdem in der Defensive sah und leidenschaftlich um Redeanteile zu kämpfen hatte.

Zur Ruhe, wenn auch nur im Spott, kam die leidenschaftliche Fraktionsvorsitzende nur, als Plasberg die erpresserische Drohung der Energieversorger zum Thema machte, angesichts neuer hoher Belastungen die Kernkraftwerke in Deutschland abzuschalten. "Das wäre die erste Drohung, vor der ich keine Angst habe", sagte Künast an den Atom-Lobbyisten Güldner gerichtet. "Ich wäre glücklich, wenn Sie das täten."

Dass die entschiedensten Gegner in der Schlussrunde, die diesmal tatsächlich der Höhepunkt der Sendung war, wieder aufeinander trafen, war abzusehen. Was sich Plasberg als Final-Gag ausgedacht hatte, dagegen weniger. Der Moderator wollte einfach mal wissen, welches der Hart-aber-fair-Streitpaare, sollte dies jemals technisch möglich werden, die höchste Reibungsenergie erzeugen könnte und wer sich wen deswegen als Gegenpol wähle würde. Dass Künast und Gülden wieder zusammen kommen würden, war klar. Röttgen wählte Schätzing, weil er dessen "positive Energie" schätze - und sammelt noch einen kleinen, aber harmlosen Sympathiepunkt.

Richtig witzig wurde dagegen Wolfgang Clement, der sich nach eigenem Beteuern eigentlich nicht in der Sendung ärgern wollte und es dann doch heftig tun musste. Er wählte sich zunächst Frank Schätzing als energetischen Sparringspartner, schob dann aber noch eine Alternative nach: "Den Röttgen nehme ich hinzu - aus erzieherischen Gründen."

Gut möglich, dass der Polit-Youngster von einem alten NRW-Hasen wie dem Ex-Ministerpräsidenten Clement doch noch etwas lernen kann. Dass man sich auf politische Überzeugungen nicht immer festnageln lassen sollte, hat Röttgen allem Anschein nach längst selbst herausgefunden.

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