TV-Kritik: 1000. Folge von "Stern TV":Jauch haucht dem Jubiläum Seele ein

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Seit 22 Jahren ist "Stern TV" einer der wenigen Gemischtwarenläden im Fernsehen: ein bisschen bunt, ein bisschen ernsthaft, ein bisschen anrührend. Fast 900 Mal moderierte Günther Jauch die Sendung. Seither gibt es einen Nachfolger - doch das Jubiläum kommt erst mit seinem Vorgänger auf Touren.

Verena Wolff

Es musste 23:33 Uhr werden, bis die 1000. Sendung "Stern TV" Fahrt aufnahm. Um 23:33 Uhr griff Günther Jauch ein. Der Ex-Moderator, 891 Sendungen lang, war Ehrengast in der 1000. Folge. Es wurde ein bisschen lustig, ein bisschen ernst, ein bisschen rückblickend, ein bisschen vorausschauend. Und auf einmal hatte die Sendung wieder, was ihr in der guten Stunde vorher gefehlt hatte: Seele.

Angestrengt beim runden Jubiläum von Stern TV. Steffen Hallaschka. (Foto: Stefan Gregorowius)

Eine Mischung aus Boulevard und ernsthaftem Journalismus, Beiträge zum Schmunzeln und zum Staunen, Promis und Normalos im Studio, die Möglichkeit, aus Schnapsideen Beiträge zu machen - die Sendung ist seit ihrem Bestehen ein Gemischtwarenladen. Das hat schon immer ihren Reiz ausgemacht, und das vergaßen weder Günther Jauch noch der aktuelle Moderator Steffen Hallaschka, regelmäßig zu erwähnen. Filme gab es, in Mengen. Das "Best of" aus allem, was in den vergangenen 22 Jahren geboten wurde: ein "Best of Promis", ein "Best of Studioaktionen".

Die bewegendsten Schicksale, die Stern TV während der vergangenen Jahre und Jahrzehnte begleitet hat, standen noch einmal im Mittelpunkt. Darunter Schirin Bogner, die im Mutterleib mit dem HI-Virus infiziert wurde. Die Ärzte gaben ihr fünf Jahre, im Jahr ihrer Geburt, 1985, wurde der erste Aids-Test entwickelt. Seit 1993 erzählt Stern TV die Geschichte der jungen Frau, zeichnete ihre Lebensgeschichte nach. Nun saß sie im Studio, auf den roten Ledersesseln neben Hallaschka. Ein berührender Moment an sich, in dem es viel zu fragen gegeben hätte. Der Moderator fragte - aber der Moment blieb merkwürdig blutleer.

Am Rande der Gähnattacke

Danach die Familie Ellguth, ein Ehepaar, das drei Kinder adoptiert hat: Clara und Nhan aus Vietnam sowie Romain aus Madagaskar. Der kleine Junge platzte immer wieder, spontan und lauthals, in die sorgfältig formulierten Sätze des Moderators - einer der wenigen Momente, in denen ein bisschen Leben im Studio war. Und einer der Momente, in denen sich Steffen Hallaschka sichtlich unwohl fühlte. Ansonsten: Ein Film über eine glückliche, wenn auch ungewöhnliche Familie, in der die Adoptionen kein Thema mehr sind.

Ebenfalls am Rande der Gähnattacke: Heinrich Hartmann. An den schlagfertigen, wohlgenährten elfjährigen Jungen mit den roten Haaren und den vielen Sommersprossen dürfte sich noch der eine oder andere Zuschauer erinnern: Heinrich hatte aus Legosteinen und allerlei anderen Zutaten eine Maschine gebaut, die ein Ei köpfen konnte. Und zwar exakt, nicht in Schlangenlinien. Wenn sie denn funktionierte. Ebenso wie vor 15 Jahren im Studio: die Eltern. Und der Junge - man habe lange nach ihm suchen müssen, sagte Hallaschka. In Oxford ist der junge Mann jetzt. Nicht mal eine Flugstunde von Köln entfernt.

Und siehe da, er ist nicht nur hochbegabt, sondern auch Doktor der Mathematik. Und ein eher spaßfreier Charakter, wie es schien. Den Inhalt seiner Forschung wollte er dem Moderator in zwei Minuten erklären. Die hatte Hallaschka nicht, er hätte dem 26-Jährigen 30 Sekunden zugestanden. Also wollte der Mathematiker gar nicht - und damit war dann auch sämtlicher Gesprächsstoff aufgebraucht. Am Ende gab es zu der alten Eierköpfmaschine vom Dachboden noch eine neuere, bessere, kraftvollere - die das eine Demo-Ei so zersägte, dass das dunkelblaue Sakko von Vater Hartmann gleich ein Fall für die Reinigung wurde. Witzig.

Männer der ersten Stunde

Immer wieder mit dabei: Ein gewisser Thorsten Schorn, offenbar ein Mann der ersten Stunde in den Jauch-Redaktionen. Er führte die Zuschauer "hinter die Kulissen" von Stern TV - er zeigte schlicht den Alltag in einer Fernsehredaktion auf. Ein bisschen wollte das wie die Sendung mit der Maus sein - hat aber leider nicht so recht funktioniert.

Nach vielerlei Ankündigungen, nach einem eingespielten Besuch in Jauchs Nachbar-Fernsehstudio bei der Aufzeichnung einer Sendung von Wer wird Millionär? - schließlich war es dann so weit: Der Altmeister und jetzige Produzent der Sendung war da. Endlich, möchte man sagen.

Die Herren plauderten, Jauch schwärmte noch immer vom Konzept der Show, die seit 22 Jahren erfolgreich läuft. Nicht einmal der Moderatorenwechsel vor einem guten Jahr konnte den Zuschauerzahlen von rund drei Millionen oder dem Marktanteil von 15,5 Prozent etwas anhaben. Stern TV gehört tatsächlich in die Fernsehlandschaft - allerdings ist es auch eine Sendung aus einer anderen Zeit. Als es noch die D-Mark gab und sich die DDR in der Selbstauflösung befand. Als Helmut Kohl das Synonym für den deutschen Kanzler war und Johannes Paul II. das für den Papst. Als RTL noch RTL plus war und ein gewisser Hugo Egon Balder dort halbnackte Frauen in Tutti Frutti hüpfen ließ. Als mehr als drei Fernsehkanäle noch etwas Tolles waren.

Die Sendung ist ein Relikt - und für Steffen Hallaschka ist sie ein Traumjob, wie der 40-Jährige vor dem Jubiläum gern zu Protokoll gab. Er mache sich keine Sorgen um die kommenden 22 Jahre. Auch Jauch findet alles prima. Sagt er zumindest. Und empörte sich über die weißen Socken, die er an den Füßen einiger Studiogäste in der ersten Reihe ausmachte. Das hätte es bei ihm nicht gegeben.

Ein bisschen genervt schien Jauch allenfalls von den Spielchen, die er wohl oder übel mitspielen muss. Moderation im Duett, das Blockflötenspiel. Und dazwischen: Ein aufgezeichnetes Duell zwischen Jauch und Hallaschka. Es gab Punkte für Mut und Einsatz, für allerlei dubiose Dinge. Am Ende gab es natürlich einen Gleichstand. Wie hätte das Duell auch sonst ausgehen sollen? Gut, dass es nicht live ausgefochten wurde, sondern in Einspielfilmen. Hallaschka hätte wohl keine Chance gehabt.

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