TV-Kritik: ESC Jury-Finale:Probelauf für Lena und ihre Dubletten

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Beim Jury-Finale des Eurovision Song Contest tobt die Halle beim Auftritt von Lena. Doch auch das verrückte Duo aus Irland sowie eine träumende Ungarin können überzeugen. Die meisten Punkte verteilt Stefan Raab jedoch an einen näselnden Hamburger.

Hans Hoff

Die ersten zwölf Punkte bekommt Deutschland aus Belgien. Douze points, twelve points - die ersehnte Zahl fordert den 36.000 Zuschauern in der Düsseldorfer Arena eine eindeutige Reaktion ab: Grenzenloser Jubel braust durch das Stadion. So stark fällt der aus, dass man meint, irgendwo in einem zuständigen Institut müssten in diesem Moment die Zeiger auf der Richter-Skala ein mittleres Erdbeben in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt anzeigen.

Gemeinsam mit Stefan Raab sang Lena "Satellite", ihren Gewinnersong aus dem Jahr 2010. (Foto: Getty Images)

Dabei spielt es an diesem Freitag, dem 13. im Mai, keine Rolle, dass die warme Gabe aus Belgien nur eine Probe ist, dass die zwölf Punkte für Lena lediglich ein fiktives Ergebnis darstellen, dass es nur darum geht, die Leitungen für das große Finale am 14. Mai zu testen, dass bislang lediglich die Fach-Jurys in 43 beteiligten Ländern abgestimmt haben.

Es ist das so genannte Jury-Finale des Eurovision Song Contests, und die angereisten Fans wollen um jeden Preis ihren Spaß haben. Auch wenn die 25 Kameras an diesem Abend nur Aufnahmen für den Notfall aufzeichnen, wenn außer den Jury-Mitgliedern niemand vor den Bildschirmen sitzt. Ob echt oder nicht echt, das spielt in diesem Moment aber für die Fans vor Ort ohnehin keine Rolle. Zwölf Punkte sind zwölf Punkte. Basta.

Der Spaß beginnt bereits um kurz nach neun an diesem Abend, als Moderator Stefan Raab erklärt, dass es üblich sei, zum Start des ESC den Vorjahressieger noch einmal mit seinem Siegertitel zu präsentieren. Das aber sei in diesem Jahr schwierig, weil Lena ja später selbst noch einmal antreten müsse und daher sicherlich andere Sachen als ihren "Satellite" im Kopf habe.

Um das Dilemma zu lösen greift Raab selbst zur Gitarre, plänkelt ein bisschen mit seiner Mitmoderatorin Anke Engelke herum. Die antwortet mit knallharter Kopfschüttelei in echter Headbanger-Manier, um dann Raab zu seiner Band auf die Hauptbühne zu schicken. Dort legt der Lena-Mentor mit kräftiger Gebläse-Unterstützung eine mitreißende Rockabilly-Version des Siegertitels von Oslo vor. So schwer kommt der "Satellite" da in Schwung, dass er vor lauter Tempo fast schon aus der Umlaufbahn zu kippen droht. Und plötzlich stürmen 43 Lena-Kopien mit den Fahnen der beteiligten Länder die Bühne.

Lena sticht ihre Dubletten aus

Doch in Wahrheit sind es keine 43 Dubletten, denn kurz vor Schluss schält sich aus der wogenden Schar die echte Lena heraus und bringt im Duett mit Raab ihren "Satellite" noch einmal zusätzlich in Schwung. Was für ein Opening! Was für eine Überraschung! Was für eine Show! Das müsste auch die Zuschauer beim echten Finale am Samstag in Schwung bringen. So viel steht fest.

Dass die Show nach solch einem furiosen Start zwangsläufig an Tempo verlieren muss, ergibt sich aus der Natur der Sache. Für 25 Künstler und Bands geht es um alles und nichts bei diesem ESC. Um alles, weil ein Sieg einen ordentlichen Karriereschub bedeuten kann, siehe Abba und Lena, um nichts, weil es in Wahrheit natürlich keine Rolle spielt, wer gewinnt. Wichtig ist das Ereignis selbst und dass alle so tun, als sei der ESC wichtig, als biete genau ihr Lieblingslied an, alle Probleme dieser Welt auf einen Schlag zu lösen. Wenigstens für die drei Minuten, die ein ESC-Beitrag dauern darf.

Genau deshalb passt es so gut, dass der Finne mit der Startnummer eins und dem komischen Namen Paradise Oskar das anfängliche Speed-Erlebnis relativiert. Mutterseelenallein steht er mit seiner Gitarre auf der großen Bühne und stimmt seinen Song an. "Da Da Dam" heißt der und handelt von nichts weniger als von der Rettung der Erde. Die geht dann auch prompt als blaue Kugel auf der riesigen LED-Wand hinter ihm auf, was im Publikum für ein bisschen Gänsehaut sorgt. Leider geben sich die Zuschauer nicht mit dem emotionalen Purismus zufrieden und stimmen einen schleppenden Klatschmarsch im Musikantenstadl-Stil an. Sie wollen Spaß haben um jeden Preis. Das ist zu spüren. Schließlich ist doch ESC.

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Früh folgen die Favoriten. Beim ungarischen Beitrag lässt sich am Jubel der Massen sofort festmachen, dass der Titel "What About My Dream" von Kati Wolf das Zeug hat, auch am Samstag ganz vorne zu landen. Die Stimmung steigert sich noch mal, als die beiden verrückten Iren von Jedward auf der Bühne herumhüpfen wie zwei futuristische Weihnachtsmänner auf Droge. Auch die ehemalige Boyband Blue, die für England antritt, gehört mit "I Can" zu den Favoriten, zumindest, wenn man den Applaus in der Arena zugrunde legt.

Mit dem Lied "Taken By a Stranger" tritt Lena in diesem Jahr für Deutschland an. Ihre fünf Tänzerinnen werden von Spöttern wegen ihrer Outfits als "Samenballett" bezeichnet. (Foto: Getty Images)

Doch das, was Blue entgegenschallt, ist ein Nichts verglichen mit dem Phon-Orkan, der einsetzt, als mit Startnummer 16 Lena auf die Bühne kommt. Ihre fünf Tänzerinnen treten in silbrigen Ganzkörperkondomen an, die ein bisschen an die lustigen Spermien-Darsteller aus Woody Allens Film "Was Sie schon immer über Sex wissen wollten" erinnern, weshalb die Akteure schon spöttisch Samenballett genannt wurden.

Lena inszeniert ihren Titel "Taken By A Stranger" als mystische Verschwörungsnummer. Es geht, soviel verrät der optische Eindruck, um Verschwörungen der dritten Art. Die opulente Lichtinszenierung packt Lena mal unter ein Dach aus Scheinwerfern und präsentiert sie dann wieder im Zentrum eines gigantischen Lichtdoms. Zum Schluss zersplittert das Gesamtbild auf der LED-Wand, und der Jubel erreicht Ausmaße, bei denen man fast ein wenig um die Stabilität der Hallenkonstruktion fürchten muss.

Dass danach nicht mehr viel kommen kann, ergibt sich erneut aus der Natur der Sache. Die deutschen Zuschauer sind eben mehrheitlich wegen Lena gekommen, was für alle folgenden Acts die Sache extrem schwer macht. Nur "Caroban", die Nummer der serbischen Sängerin Nina, kann noch einmal an der Stimmungsschraube drehen. Kurz danach sind alle 25 Final-Titel durch.

13 Punkte für Jan Delay

Die Moderatoren tun dann so, als würden sie zur Stimmabgabe auffordern, was natürlich nur Probe für den Samstag ist. In Wahrheit stimmen in diesen Momenten lediglich die Fachjurys in den 43 beteiligten Ländern ab. Deren Ergebnis wird bis zum Schluss des Finales geheim gehalten und fließt gleichberechtigt mit den Zuschauerabstimmungen ins Endresultat ein.

Als Pausenact tritt schließlich Jan Delay auf die Arenabühne, und tatsächlich gelingt es dem Hamburger Näselkünstler mit der undeutlichen Aussprache, das Haus noch einmal zu rocken. "Wir machen das klar", singt er, und es gibt in der Riesenhalle kaum jemanden, der ihm nicht zustimmt.

Nach 25 Präsentationen der bescheidenen, der opulenten und der schrägen Art wirkt Delays direkte Art wie eine warme Dusche nach kalter Nacht. Stefan Raab sagt, dass Jan Delay, könnte man für ihn abstimmen, nicht nur zwölf, sondern sogar 13 Punkte verdient hätte. Dem ist nicht zu widersprechen.

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