TV-Kritik: Doku über Flick:Egozentriker mit Einfluss

Skrupellos, fleißig, politisch opportunistisch und genial: Arte zeigt den unaufhaltsamen Aufstieg des Kaufmanns Friedrich Flick.

Hans Leyendecker

An der Börse nannten sie Friedrich Flick (1883 bis 1972) den "Geier". Der Industrielle aus dem Siegerland war skrupellos, fleißig, politisch eher opportunistisch und - genial. Beim Raffen und Zusammenhalten zumindest. Er unterstützte die Nazis kräftig, aber nach seiner Berufsauffassung war es eigentlich egal, wer die Macht hatte, solange er sich mit den jeweils Regierenden ins Benehmen setzen konnte. Über die beispiellose Karriere dieses großen Egozentrikers, der zwei Imperien gestaltete, sind in den beiden vergangenen Jahren dicke Bücher erschienen - jetzt gibt es einen sehenswerten zweiteiligen Dokumentarfilm. Die erste Folge beschäftigt sich mit dem Aufstieg Flicks. Teil zwei widmet sich dem fehlgeschlagenen Versuch, eine Familiendynastie zu gründen sowie der berühmten Flick'schen Landschaftspflege.

Der Kaufmann Flick, dessen Vater Holzhändler und Bauer in Kreuztal war, konnte früh Unternehmensbilanzen lesen wie andere Romane. Die Beschäftigung mit Zahlen machte ihn glühend. Er hatte eine ungewöhnliche Witterung für gute Geschäfte: "Die Fähigkeit, abzuwarten, die Fähigkeit aber auch, dann mit der entscheidenden Härte und Emotionslosigkeit die Dinge voranzutreiben und im richtigen Moment zu kaufen oder zu verkaufen" seien das "besondere Talent" Flicks gewesen, erklärt in Folge eins des Films der Historiker Norbert Frei. Unter Federführung des Jenaer Geschichtswissenschaftlers haben im vergangenen Jahr vier Historiker ein mehr als 900 Seiten dickes und wirklich gewichtiges Buch über Flick herausgebracht.

Ein Film kann mit solch einem bibeldicken Opus nicht konkurrieren und hinterlässt gleichwohl Eindrücke. In der ersten Folge des Dokumentarfilms werden alte Tonband-Protokolle ab- und Dialoge nach Protokollen nachgespielt.

Diverse Historiker, unter ihnen der Jenaer Frei-Mitarbeiter Tim Schanetzky, erläutern den Gang der Geschichte. Es ist ein kleiner Scoop, dass der Filmemacher Thomas Fischer nicht nur den ehemaligen Flick-Gesellschafter Eberhard von Brauchitsch vor die Kamera bekam, sondern auch Otto Kaletsch.

Gerettet mit Staatsgeld

Dem Leser wird dieser Name vermutlich wenig sagen. Aber dessen Vater Konrad war ein Vetter und der engste Vertraute des Konzernschmieds Friedrich Flick. Er war zuständig für Finanztransaktionen und Spekulationen aller Art und bewunderte uneingeschränkt den "Geier", der mindestens so erfolgreich war wie die Finanzhaie unserer Tage. Flick spekulierte vor allem mit deutschen Stahlwerken - und gewann, meistens jedenfalls: "Wenn der alte Flick ins Zimmer kam, dann sprangen wir schon vor lauter Schreck auf, weil er eine solche Ausstrahlung hatte, dass man also eben nur strammstehen konnte", erinnert sich Otto Kaletsch. Erzählt wird in dem Film auch die Geschichte des großen Börsenkrachs, und wie Flick Anfang der dreißiger Jahre die Pleite drohte. Er hat sich gerettet, indem er die politische Landschaft düngte.

Mit Himmler auf Besichtigung in Dachau

Ein Finanzminister der Regierung Brüning rettete mitten in der Weltwirtschaftskrise Flick auf Staatskosten mit Steuergeldern. Der Staat kaufte Flick für 100 Millionen Reichsmark die Gelsenberg-Aktien ab. Eine phantastische Summe, wenn man berücksichtigt, dass der Börsenwert gerade 25 Millionen betrug. Andererseits: Manche Merkwürdigkeit in diesen Tagen klingt vertraut, wenn man die alten Flick-Geschichten kennt.

Durch gezielte Geldgaben an Parteien und Politiker hat Flick stets die Einflussreichen für seine Interessen eingespannt. Als sich die gesamte deutsche Großindustrie auf die Nazis einließ, war er vorneweg mit dabei und wurde der größte Rüstungsproduzent des Reiches. Er war erfolgreicher als die anderen. Er war skrupelloser.

Dass der Wehrwirtschaftsführer Flick, der von 1937 bis 1945 unter der Parteinummer 5918393 Mitglied bei den Nazis war, politisch völlig bedenkenlos hantierte, wenn es ihm zum Vorteil gereichte, zeigt die Dokumentation eindringlich. Er besichtigte mit dem Freundeskreis des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, 1936 das Konzentrationslager Dachau und fand alles in Ordnung; er jagte mit Hilfe des Reichsfeldmarschalls Hermann Göring der in der Tschechoslowakei ansässigen jüdischen Familie Petschek einen riesigen Besitz ab und er profitierte von der Sklavenarbeit der Zwangsarbeiter, von denen sich viele in seinen Werken zu Tode schufteten.

Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wurde er 1947 zu sieben Jahren Haft verurteilt. Flick kam bereits 1950 frei. Einer wie er wurde gebraucht. Der erste Kanzler der Republik, Konrad Adenauer, gratulierte ihm zu seinem "großen und staunenswerten" Lebenswerk. Flick wurde wieder der reichste Mann. Diesmal in der Bundesrepublik. Anderthalb Jahrzehnte nach dem Tod des Alten wurde der Konzern verkauft.

Flick - Teil 1: Der Aufstieg, Arte, Mittwoch, 20.15 Uhr, sowie in der ARD am 31. Mai, 21 Uhr;

Teil 2: Das Erbe, Arte, Mittwoch, 21.05 Uhr, sowie in der ARD am 7. Juni, 21 Uhr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: