TV-Kritik: Bundesvision Song Contest:"Verdammtes Privatfernsehen"

Der Bundesvision Song Contest hat seine besten Zeiten hinter sich. Favorit Unheilig gewinnt die Show, die unspektakulär vor sich hinlabbert - das wird auch Stefan Raab am Ende klar.

Hans Hoff

"Alles für die Mama", sagt der Mann aus Nordrhein-Westfalen, den alle Graf nennen, als er am Freitag kurz vor Mitternacht von Showpraktikant Elton zur Bühne geführt wird. Dort soll er als Chef der Band Unheilig noch einmal "Unter deiner Flagge" singen.

Unheilig gewinnt den Bundesvision Song Contest 2010

Unheilig gewinnt den Bundesvision Song Contest 2010: Moderator Stefan Raab gratuliert dem Sänger der Band, dem Graf.

(Foto: dpa)

Es ist ein überaus rührseliges, vor Kitsch triefendes Lied für seine Mutter, mit dem der sonst gerne so düster auftretende Mann mit dem albernen Backenbartansätzen in diesem Jahr den Bundesvision Song Contest gewinnt. Keine Überraschung ist das Ergebnis indes, denn wenn man schaut, wer in diesem Jahr die Charts dominiert. Da kommt man an Unheilig nicht vorbei. Die Band räumt derzeit alles ab und bricht Rekord um Rekord. Da wirkt es fast schon wie ein Wunder, dass die Ostband Silly bei der Auszählung der Stimmen aus den 16 Bundesländern so lange mithalten kann. Aber am Schluss sind die Musiker um Sängerin Anna Loos dann doch nur Zweite, Statisten bei einer Show, die ihre besten Tage eindeutig hinter sich hat.

Als Stefan Raab den Bundesvison Song Contest 2005 ins Leben rief, war es eine Reaktion auf das für ihn enttäuschende Abschneiden seines Schützlings Max Mutzke beim Eurovision Song Contest (ESC). Weil er der Meinung war, dass sich die osteuropäischen Länder die Punkte gegenseitig zuschustern, erfand er einen Wettbewerb, in dem die deutschen Interpreten auf jeden Fall ausgezeichnet werden - weil eben nur sie mitmachen. So wurde der Bundesvision Song Contest geboren als Wettbewerb der Bundesländer unter sich.

Moderativer Minderleister Raab

Das war eine feine, nicht unwitzige Aktion, die ein paar Jahre funktionierte als Kompensation für mangelnden Erfolg beim ESC. Nun aber hat Raabs Lena den ESC in diesem Jahr gewonnen, womit die eigentliche Geschäftsgrundlage für das deutsche Pendant wegfällt. Leider tut sich Raab aber schwer, einmal eingeführte Veranstaltungen wieder fallen zu lassen. Alles, was halbwegs Quote bringt, geht weiter. Tatsächlich muss man aufgrund dieser Besitzstandsstrategie fürchten, dass es zu einer zunehmenden Vermüllung des Pro-Sieben-Programms mit Raab-Shows führt, von denen der Bundesvision Song Contest mit Abstand die überflüssigste ist.

Das wird schon deutlich, wenn in der Sendung die 16 Beiträge vorgestellt werden. Lieblose Einspielfilmchen und stocksteife Eigendarstellungen der Künstler ergänzen in ihrer Sinnlosigkeit aufs Trefflichste komplett überinszenierte Auftritte, bei denen die Kamera ständig wirkt, als versuche sie jegliche Verständlichkeit und Übersicht durch hektische Fahrten und Schwenks zu vermeiden. Dazu irrlichtern gefühlte 5000 Scheinwerfer durch die Berliner Halle, und irgendwo von der Decke hängt ein Körbchen, in dem Stefan Raab steht und sich als Moderator missversteht. Vieles zählt zu seinen Fähigkeiten, aber witzig eine große Show moderieren kann er nicht. Er wirkt steif und unwitzig, wie er da neben Johanna Klum steht, die ihm in Sachen Souveränität am Mikrofon mehrfach den Schneid abkauft. Würde sich der Produzent Raab mal objektiv als Moderator betrachten, er würde sich ziemlich sicher feuern.

Aber der moderative Minderleister Raab ist leider nicht einmal die einzige Schwachstelle bei diesem Spektakel. Schließlich sind da noch jene Gestalten, die normalerweise aus gutem Grund beim Radio arbeiten und nicht zu sehen sind. Nur einmal im Jahr, wenn Raab seine Bundesvision befällt, dürfen sie vor die Kamera und dort ihr Standardsprüchlein absondern. Das geht etwa so. "Hallo, hier sind alle irre gut drauf. Wir feiern hier eine richtig dolle Party. Alle sind unheimlich gut drauf. Die Stimmung ist wahnsinnig. Ich verstehe mein eigenes Wort nicht, aber alle sind irre gut drauf." So muss man reden können, wenn man beim Privatradio arbeitet. Man muss nicht gut aussehen, man muss nur die Standardlügen drauf haben und dann inmitten eines komplett sinnlosen Kreischorkans, den man vorher selbst initiiert hat, noch ein paar Zahlen vorlesen können.

Aus denen wird früh deutlich, dass entweder Silly oder Unheilig das Rennen machen werden. Trotzdem behaupten Klum und Raab in bester Formel-1-Rennen-Manier, aber letztlich doch wahrheitswidrig: "Da ist noch alles drin". Und: "Es wird noch spannend." Wird es natürlich nicht. Es labbert einfach dahin. Es wird in die nächste Dorfdisco geschaltet, wo dann alle irre gut drauf sind und viel gekreischt wird.

Irgendwann, als mitten in der Auszählung noch ein paar Bundesländer fehlen, aber trotzdem Werbung fällig ist, scheint Raab so etwas wie Einsicht zu dämmern. In der Folge fleht er das Publikum förmlich an. "Schlagen Sie mich nicht", bittet er und drückt dann ein sehr offensichtliches Zuschauerurteil aus: "Verdammtes Privatfernsehen." Dem ist in diesem Falle nichts hinzuzufügen.

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