TV-Kritik: Beckmann:Zu heikel für Polit-Maschinen

"Solche Menschen müssen weg, am besten für immer": Bei Reinhold Beckmann diskutieren Eltern und Wissenschaftler über die Sicherungsverwahrung für Sexualstraftäter. Die Politik muss draußen bleiben - zum Glück.

Moritz Baumstieger

Wenn Reinhold Beckmann ganz nah an seinen Interviewpartner herankommen will, macht er das auch mit dem Körper. Der Moderator sitzt dann vorne auf der Kante des Stuhls, stützt sich mit den Ellbogen auf, den Oberkörper weit über die Tischplatte gelehnt. Die Schultern des Mannes hingegen, der ihm am Montagabend gegenübersitzt, hängen herunter. Seine Hände hat er versteckt, sein Blick ist leer und die Stimme tonlos.

Beckmann

"Streit um die Sicherungsverwahrung - wohin mit den Tätern?" - diese Frage stellte ARD-Moderator Reinhold Beckmann seinen Gästen.

(Foto: NDR/Morris Mac Matzen)

Jörg Scholz ist das Schlimmste zugestoßen, was einem Vater passieren kann: Seine Tochter Carolin wurde 2005 von einem Mann in einem Wald überfallen und vergewaltigt, ihr Kopf anschließend mit einem Stein zertrümmert. Was Scholz bis heute nicht begreifen kann: Carolins Mörder war sieben Tage vor der Tat aus der Haft entlassen worden. Und das, obwohl er weiterhin als hochgefährlich galt.

Weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein deutsches Gesetz kippte, könnten bald noch mehr Männer wie Carolins Mörder freikommen. Deshalb möchte Beckmann das Thema "Streit um die Sicherungsverwahrung! Wohin mit den Tätern?" diskutieren.

Das Gespräch, das er als Einstieg mit dem verzweifelten Vater Scholz führt, ist packend. Der Moderator lässt sich die Vorfälle an dem Tag im Sommer 2005 genau schildern. So genau, dass selbst der routinierte TV-Profi Beckmann teils verlegen an einem Stift herumspielt, während er seine Fragen stellt.

Scholz antwortet ruhig und gewählt, erzählt von der einjährigen Auszeit im Job und von dem Prozess, in dem er als Nebenkläger den Täter zu einem Geständnis brachte. Und als Beckmann merkt, dass der Vater die Emotionen nur noch schwerlich kontrollieren kann, gibt er das Zeichen, dass das mit der Nähe nun vorüber ist: Er lehnt sich in seinem Stuhl weit zurück und gibt den Mann frei.

Manchmal haben das Format Beckmann und der namensgebende Moderator ihre Stärken: In einem Zweiergespräch lässt sich das Spannungsfeld für gewisse Themen besser aufbauen, als es jeder Einspielfilm könnte. Und vor allem hat Beckmanns Redaktion da freie Hand, wo die Kollegen der Polit-Talkshows limitiert sind: Während bei Anne Will oder Frank Plasberg immer dieselben Bundes- und Landespolitiker sprechen, kann Beckmanns Team seine Gäste offenbar frei wählen.

Und so sitzen im TV-Studio in Hamburg keine Polit-Maschinen, die gefragt oder ungefragt ihre zuvor mit Referenten eingeübten Messages herunterbeten. Sondern Experten. Durchaus nach Fernsehtauglichkeit ausgesucht, was aber nicht verwerflich ist, wenn sie zum Thema etwas zu sagen haben.

Die Ministerin hat abgesagt

Joe Bausch etwa. Der Gefängnisarzt mit der Glatze, dem Schnauzer und den großen Ohren spielt im Kölner Tatort den Pathologen Dr. Roth, und genau wie sein Alter Ego im Sonntagskrimi analysiert Bausch nüchtern: Trotz mangelhafter Gesetze und gegenteiliger Wahrnehmung in der Bevölkerung nimmt die Zahl der Sicherungsverwahrungen zu. Seit seinem Dienstantritt habe sich die Zahl derer, die ihre Strafe eigentlich abgesessen haben, die man aber noch nicht gehen lassen könne, in der Justizvollzugsanstalt Werl verdoppelt, berichtet Bausch.

Ihm gegenüber sitzen zwei Professoren, der forensische Psychologe Michael Osterheider und der Strafrechtler Jörg Kinzig. Der Vater des Opfers, Jörg Scholz, wird beiden im Laufe der Diskussion immer wieder ungläubige Blicke zuwerfen, denn beide verteidigen die in der Verfassung auch für Straftäter festgeschriebenen Grundrechte.

Kinzig und Osterheider verkörpern das Justizsystem, das Opferverbände als zu täterfreundlich kritisieren. Die beiden Professoren räumen ein, dass sie den Vorwurf in Teilen verstehen können - spätestens jetzt ist man froh, dass kein Law-and-Order-Politiker populistische Phrasen hinterherschicken kann.

Die Argumente der Professoren sind sinnvoll, gleichzeitig aber für Betroffene wie Scholz nur schwer zu verstehen. Die Ohnmacht, die viele Bürger bei der Frage befällt, wohin die Gesellschaft ihre Schwersttäter stecken soll, zeigt sich auch bei Carolin Buttke und Thomas Brauckmann. Beide kommen aus Nordrhein-Westfalen und beide warnen vor dem Bürgerzorn, der sich nicht nur bei Bahnhofsprojekten wie in Stuttgart entzünden könne.

Buttke ist Mitglied einer Bürgerinitiative, die gegen die Errichtung einer Therapieeinrichtung in Oberhausen eintritt. Sie wisse, dass niemand gerne so etwas neben sich habe, doch hier würden 4000 Kinder in unmittelbarer Nähe der Täter zu Schule gehen. Zu Brauckmann ist ein entlassener Täter in den Ort gezogen, seitdem demonstrieren die Bürger vor dem Haus in Heinsberg-Randerath, in dem sich der Mann verschanzt.

Zwar lässt der Staat den Mann rund um die Uhr durch zwölf Beamte überwachen, "aber solche wie der müssen weg", sagt Brauckmann. "Für immer." Jetzt ist es Strafrechtler Kinzig, der ungläubig den Kopf schüttelt.

Zum 1. Januar ist nun ein neues Gesetz zur Sicherungsverwahrung in Kraft getreten, Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hätte dazu sicherlich auch einiges sagen können. Reinhold Beckmann bedauerte, dass sie ihre Teilnahme an der Sendung absagte. Eigentlich sollte er froh sein, ab und zu ohne Politiker diskutieren zu dürfen: Es lag nicht nur am heiklen Thema, dass sich seine Gäste diesmal kein einziges Mal gegenseitig ins Wort fielen.

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