TV-Kritik: Beckmann:Rösler: Kopf durch die Wand

Alte werden weggesperrt, Gesundheitskosten explodieren und der gar nicht mehr so smarte Minister Rösler hat nur ein Rezept: Kopfpauschale. Eine Runde bei Beckmann.

R. Schneeberger

Ob er noch Spaß an seiner Arbeit habe, wollte Reinhold Beckmann wissen. Was soll da einer sagen, der gerade knapp 100 Tage im Amt ist als Bundesgesundheitsminister und schon mit der ersten Runde seiner Gesundheitsreform aneckt - die Umfragewerte von Philipp Rösler (FDP) sinken.

TV-Kritik: Beckmann: Philipp Rösler verknüpfte bei Beckmann seine politische Zukunft mit der Gesundheitsprämie.

Philipp Rösler verknüpfte bei Beckmann seine politische Zukunft mit der Gesundheitsprämie.

(Foto: Foto: dpa)

"Geht noch" lautete die ausnahmsweise einmal knappe Antwort des sonst nicht um Worte verlegenen "Shootingstars" im Kabinett der Doktor Merkel. Der 36-jährige Mediziner musste am Montagabend die etwas unbequeme Rolle des politisch Verantwortlichen spielen in Sachen Krankheit und Pflege beim ARD-Talker Beckmann. Er hatte es dabei mit Experten zu tun, die ihm munter zusetzten.

Lächerlich fand etwa der Münchner Pflegekritiker Claus Fussek die Diskussion um monatlich acht Euro Zusatzbeitrag, die viele Krankenkassen anstreben. Damit würde von den eigentlichen Problemen abgelenkt - und verschleiert, dass das deutsche Gesundheitssystem unnötigerweise Milliarden Euro für Ärzte, Krankenkassenvorstände, Pharmaindustrie und Altenpflege verschlinge: "Da wird das Geld zum Fenster rausgeschmissen!" Der Alarm ist Fusseks Fasson.

Pharmahersteller diktieren Preise

Schützenhilfe kam an dieser Stelle vom Pharma-Experten Gerd Glaeske, der eine Summe von drei bis dreieinhalb Milliarden Euro nannte, die "leicht" eingespart werden könne, wenn nur die Pharmaindustrie einige gesetzlich verankerte Regeln zu beachten hätte.

Beispielsweise gelte in Deutschland noch das Recht des Pharmaherstellers, die Preise für ein neues Produkt (das nur neu, aber nicht innovativ sein müsse) selbst zu diktieren - um die Forschung voranzutreiben. "Wir haben hier aber kaum noch Forschung", so Glaeske. Und weiter: "Viele Pharmahersteller verhindern, dass alternative Mittel auf den Markt kommen." Es ginge ihnen darum, Aktionäre zufriedenzustellen und Gewinne einzustreichen. Nebenwirkung: verunsicherte Patienten.

Ungewohnt zackig wollte Moderator Beckmann wissen, wie die Politik gedenke, die Pharma-Lobby zu knacken - und es kam der Auftritt von Minister Rösler. Er versprach, noch im Februar Gespräche mit Krankenkassenverbänden und Pharmaindustrie zu führen. Man dürfe ihn getrost in einem Jahr wieder einladen und nachfragen, was dabei herausgekommen sei. Sollte seine Gesundheitsreform nicht gelingen, wolle ihn dann zumindest als Gesundheitsminister keiner mehr sehen - was einer durchaus realistischen Einschätzung nahekommt.

Dabei scheint das Amt des Gesundheitsministers höchst ungesund zu sein. Es verschlingt die Minister geradezu.

Aber Philipp Rösler will ja mit allen Mitteln streiten für das Modell einer Kopfpauschale im Gesundheitssystem: "Es lohnt sich, neue Wege zu gehen. Es ist wesentlich gerechter. Wenn wir nichts ändern, dann haben die Menschen wieder das Gefühl, dass Krankheit und Gesundheit immer teurer werden, ohne dass es besser wird."

Der große Mythos "Koalitionsvertrag"

Fast manisch wirkt der Liberale in seiner Mission gefangen, das System umzukrempeln. Sein politisches Schicksal verknüpft er offen mit der Durchsetzung der umstrittenen Gesundheitsprämie. Er glaube aber, trotz aller Widerstände in der Koalition, CDU und CSU für sein Modell gewinnen zu können: "Wir haben einen Koalitionsvertrag, den hat er auch unterschrieben", sagte Rösler mit Blick auf CSU-Chef Horst Seehofer, der eine Kopfpauschale bislang ablehnt. "Und ich glaube, er hat sogar die größte Unterschrift darauf."

Klagen der Pflegerinnen

Weniger über Posten und Politik als vielmehr über die Qualität von Pflege in deutschen Heimen wollten die Altenpflegerinnen Stephanie Flähming und Diana Feilhauer reden. Sie hatten mit ihren Vorwürfen gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitgeber eine öffentliche Diskussion ausgelöst: Die menschenverachtende Situation in ihrem fränkischen Pflegeheim wollten sie nicht weiter mittragen - und zeigten die Pflegeleitung an. Das magere Ergebnis: Die Justiz ermittelte offenkundig äußerst träge, eine einzelne Pflegehilfe wurde entlassen - und die Leiter seien weiterhin im selben Haus tätig, wenn auch an anderer Stelle.

TV-Kritik: Beckmann: Altenheime würden finanziell begünstigt, während Familien von der Politik im Stich gelassen würden, so Pflege-Kritiker Claus Fussek: "Da wird das Geld zum Fenster rausgeschmissen."

Altenheime würden finanziell begünstigt, während Familien von der Politik im Stich gelassen würden, so Pflege-Kritiker Claus Fussek: "Da wird das Geld zum Fenster rausgeschmissen."

(Foto: Archivfoto: ddp)

Es sei in dem Pflegeheim üblich gewesen, dass jede Bitte, für einen Kranken einen Arzt zu rufen, einen Kampf mit den Vorgesetzten auslöst habe. Eine Bewohnerin, frisch aus dem Krankenhaus entlassen, wurde so lange gegen ihren Willen gefüttert, bis sie an einem Stück Fleisch erstickte. Die Kollegen hätten von all diesen Fällen gewusst, sich aber nicht getraut, die Missstände zu benennen - soweit die Schilderungen der Pflegerinnen. Auch die Angehörigen der Patienten hätten "aus Angst" geschwiegen.

Angst vor den Pflegern

"Angst wovor?", wollte Beckmann wissen, der ausnahmsweise einmal gut moderierte und seine Gäste diesmal nur zwei-, dreimal übermotiviert unterbrach, was einige Anstrengung gekostet haben mag. "Vor den Pflegern", wussten die beiden zu berichten, die glaubhaft davon erzählen konnten, wie schnell man als überforderte und unmotivierte Pflegekraft in einen Trott verfällt. Und der sorgt nicht nur für eine kalte, unmenschliche Atmosphäre, sondern für gefährliche Unterversorgung in manchen Heimen.

Die Würde hängt vom Alter ab

Inzwischen sind beide in einem anderen Altenheim tätig, das sie für gut befinden. Die Pflegerinnen ließen Bilder fröhlicher älterer Herrschaften zeigen, die miteinander spielen. Allein: Auch an diesen Ort würde wohl kein gesunder Mensch freiwillig gehen, solange er noch irgendwie in der Lage sein sollte, sich selbst zu versorgen.

Und damit war man beim Kern des Abends angelangt. "Ich habe den Eindruck", so Fussek, "dass die Würde des Menschen in Deutschland inzwischen altersabhängig ist." In der Altenpflege würden "schwerste Menschenrechtsverletzungen" stattfinden, die man sonst nirgendwo dulden würde. "Wären das Bilder aus Guantanamo, würden sie zu Recht in den Tagesthemen an erster Stelle behandelt." Wie menschenverachtend teilweise mit alten Leuten in Pflegeheimen umgegangen werde, das würden vom Arzt über den Apotheker bis zur Fußpflegerin und dem Angehörigen täglich genügend Menschen mitbekommen. "Alle wissen es - und sie schweigen." Das Lebensende werde schlicht verdrängt.

Der Auftritt von Jopie Heesters Ehefrau

TV-Kritik: Beckmann: Simone Rethel und ihr Ehemann Jopie Heesters. Sie sagt: "Wenn ein Kind beim Laufen taumelt und hinfällt, findet man das entzückend. Wenn ein alter Mensch taumelt, sieht man weg."

Simone Rethel und ihr Ehemann Jopie Heesters. Sie sagt: "Wenn ein Kind beim Laufen taumelt und hinfällt, findet man das entzückend. Wenn ein alter Mensch taumelt, sieht man weg."

(Foto: Foto: ddp)

Für Simone Rethel ist die Sache klar: Der Umgang mit dem Alter müsse sich ändern, und zwar schon in jüngeren Jahren. Ihr Expertentum verdankt sie dem Umstand, dass sie seit 23 Jahren die deutlich jüngere Lebensgefährtin des inzwischen 106-jährigen Schauspielers und Sängers Johannes Heesters ist. Er sei zwar inzwischen erblindet, aber voller Tatendrang, so Rethel, er treibe Sport, wolle weiterhin auftreten und schmiede Pläne.

Wer im Alter in ein Heim abgeschoben werde, der verliere diese Lebensfreude schon deshalb, weil er keine Ziele mehr kenne. "Jopies" Gefährtin fordert deshalb unter anderem in ihrem neuen Buch ("Sag nie, du bist zu alt"), dass auch Über-60-Jährige noch arbeiten dürfen sollen. Und verriet, dass sie sich maßlos ärgere, wenn man sich über Heesters lustig mache, nur weil er alt und gebrechlich sei. "Wenn ein Kind beim Laufen taumelt und hinfällt, findet man das entzückend. Wenn ein alter Mensch taumelt, sieht man weg." Die Gesellschaft müsse neu erlernen, dass Alter nicht abstoßend sei.

Für Brisanz in der Runde sorgte schließlich Stefan Krastel, der seine Mutter zu Hause pflegt, seit sie vor zwölf Jahren einen schweren Schlaganfall erlitt. Nicht nur, dass mittlerweile ihr Erspartes aufgebraucht, sein Friseursalon geschlossen und sein Job für die Pflege aufgegeben werden musste ("Ich hatte die Wahl: Geld oder Mutter"): Obwohl die Pflege zu Hause eigentlich günstiger ist, wird Krastel von der Pflegekasse mit ein paar hundert Euro Pflegegeld im Monat abgespeist.

Die mehreren tausend Euro, die ein Platz im Pflegeheim monatlich kostet, würden dagegen von der Pflegeversicherung fast vollständig übernommen. Krastel kämpft - unter anderem mit einem Protestmarsch, der ihn auch zur Kanzlerin führte. Doch Angela Merkel hatte keine Zeit.

Der junge Bundesgesundheitsminister im TV-Studio konnte nicht helfen und wiegelte ab: Die Fachkräfte in Altenheimen seien schließlich teuer, deshalb würde die stationäre Pflege mehr bekommen als nur das Pflegegeld, das den Angehörigen zusteht: "Sonst würde man noch viel mehr Geld aus der Pflegeversicherung ausgeben müssen."

Ob diese Rechnung allerdings aufgeht, steht genauso in den Sternen wie die Frage, ob sich Philipp Rösler lange im Amt hält.

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