TV-Kritik: Anne Will:Lobbyist Henkel als falscher Schiedsrichter

Wirtschaftsmann Henkel sieht bei Anne Will nur noch Steuer-Denunzianten. Geißler und Sahra Wagenknecht halten dagegen.

Melanie Ahlemeier

Bertolt Brecht hat vor mehr als 80 Jahren die Frage gestellt: Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Heute, im Jahr 2010, muss die Antwort darauf um eine wichtige Nuance erweitert werden. Noch schlimmer als die Gründung einer Bank ist die Steuerhinterziehung mit Wissen der Bank.

Henkel, Geißler, Wagenknecht, Grafik: sueddeutsche.de; dpa, ddp

Henkel, Geißler, Wagenknecht - erwartbarer Streit bei TV-Moderatorin Anne Will.

(Foto: Grafik: sueddeutsche.de; Fotos: dpa, ddp)

Seit zehn Tagen diskutiert die Republik über eine Frage: Darf man 2,5 Millionen Euro ausgeben, um geklaute Bankdaten zu erwerben - um so 1500 Steuerhinterzieher zu erwischen und schätzungsweise 400 Millionen Euro zu kassieren?

Mit dem ehemaligen CDU-Generalsekretär und Attac-Mitglied Heiner Geißler ("Kriminell sind die, die das Geld auf ein Schweizer Konto bringen und kriminell ist die Bank") sowie der wirtschaftspolitischen Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Sahra Wagenknecht ("Das ist ein gesellschaftliches Problem"), und dem ehemaligen BDI-Chef Hans-Olaf Henkel prallen bei Anne Will in der ARD Welten aufeinander.

Schade nur, dass die Moderatorin so wenig daraus macht.

Doch der Reihe nach. Deutschland hat ein neues moralisches Gewissen. Ex-Industrielobbyist Henkel, danach als Präsident der Leibniz-Gemeinschaft unterwegs, hat sich selbst dazu ernannt. Eigentlich, so der Manager, sei ja doch alles ganz simpel: Weil die Moral verlottert sei und die Politik ein schreckliches Steuersystem geschaffen habe, gedeihe die Steuerhinterziehung. Den Datendieb würde er "eher festnehmen lassen".

Wirtschaftsmann Henkel liebt die drastische Wortwahl. Er sehe eine "Welle des Denunziantentums", argumentiert er in gewohnt-arrogantem Ton. Und diese Welle habe der frühere Finanzminister Peer Steinbrück losgetreten. Basta.

Wenn keine Kavallerie schrecken kann

"Schwarzarbeiter", "Schwarzseher", "Schwarzfahrer" - und jetzt auch noch "Schwarzbrenner von CDs"? Henkel redet und redet, gibt aber den Entspannten. Der Mann ist bei sich selbst. Keine Kavallerie kann ihn schrecken. Das Kapital, sagt Henkel, treffe keine Schuld an der Misere Steuerhinterziehung.

Es ist klar, dass neben Geißler und Wagenknecht auch die beiden weiteren Gäste - Vermögensberater Christian Freiherr von Bechtolsheim ("Die meisten Wohlhabenden, die ich kenne, geben mehr als sie geben müssten") und der in der Schweiz lebende Managementberater Reinhard Sprenger ("Ich rate Ihnen die Wiedereinführung des Bankgeheimnisses") ihre absehbaren Parolen absondern. Sonst hätte sie die Will-Mannschaft ja gar nicht für Sonntagabend ins TV-Studio eingeladen. Eine Fernsehcrew braucht das Berechenbare, allein schon aus Planungsgründen.

Erst der Film, dann der Ärger

Routiniert legt Sahra Wagenknecht dar, dass sich die Demokratie nicht erpressbar machen lassen dürfe von ein paar Reichen, die mit der Flucht des Geldes drohen. Und Geißler weist darauf hin, dass mit dem Schweizer Geld der deutschen Steuerverkürzer die Bankiers aus Zürich groß spekulieren würden - das sei "Spekulationskapital".

"Das ist doch unfair!"

Nur ein kleiner Einspielfilm der Will-Redaktion lässt den Gast Henkel dann doch die sichergeglaubte Contenance verlieren. Seine schmal gewordenen Augen werden noch schmaler.

"Das ist unfair, was hier passiert, Frau Will", keift er lautstark vor laufenden Kameras. "Karikaturen von reichen Leuten" seien genommen worden, um den Eindruck zu erwecken, Reiche ließen bei der Steuererklärung auch mal fünf gerade sein. Eine "verflixte Fernseheinspielung" nennt Henkel den kurzen Filmbeitrag mit O-Tönen von gutsituierten Bürgern abschließend - und offenbart parallel zu seinem Ärger vor allem seinen Hang zur Kurzatmigkeit, wenn er öffentlich unter Stress gerät.

Es ist der mit Abstand spannendste Moment der Sendung - und genau an diesem Punkt offenbart sie ihre größte Schwäche.

Moderatorin Anne Will gelingt es nicht, die Gäste am kurzen Zügel durch die 60-Minuten-Sendung zu manövrieren und die Steilvorlage Henkels zu nutzen. Sie lässt Sendung und Gäste laufen. Leider.

"Ich will jetzt auch mal was sagen", echauffiert sich Anne Will irgendwann, als alle Gäste aufgeregt durcheinanderschnattern und keiner mehr zu verstehen ist. Wirklich durchdringen kann die Moderatorin nicht. Hübsch ist nur ihr Einwurf in Richtung Henkel: "Ich komme dann gleich zu Ihnen, weil Sie der Schiedsrichter sein wollen."

Nein, Bertolt Brecht hätte an dieser Sendung keine Freude gehabt. Er hätte gelitten, quälende 60 Minuten lang.

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