TV-Kritik: Anne Will:Kirchenaustritt live

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Regisseur Rosa von Praunheim wütete gegen die katholische Kirche - doch die fand bei Anne Will ihre tapferen Verteidiger.

Alexander Kissler

Kein Tag ohne Flaschenpost aus dunkler Vergangenheit: Am reformpädagogischen Internat Birklehof soll es bis in die neunziger Jahre zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Die Odenwaldschule sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, auch nach dem Jahr 2000 seien dort Schüler erniedrigt worden. Das evangelische Martin-Luther-Haus in Nürnberg soll in den siebziger und achtziger Jahren Schauplatz sexuellen Missbrauchs gewesen sein. Und in der römisch-katholischen Kirche wurden Vorwürfe gegen Bischöfe laut: Zwei ehemalige Oberhirten aus Kanada und Norwegen stehen im Verdacht, sich an Minderjährigen vergangen zu haben.

Vor diesem traurigen Hintergrund ließ Anne Will am Sonntagabend fragen: "Sind wir noch Papst?" Zur Debatte stand somit die Qualität des Krisenmanagements von Benedikt XVI. Schnell wurde die Frage aber als unergiebig aussortiert.

Selbst die Vertreterin der papstbewegten "Generation Benedikt" wollte sich nicht als "Fan" des Pontifex outen. In der Kirche, beschied Sophia Kuby die vergebens nachbohrende ARD-Moderatorin, finde sie Christus. Der Papst persönlich habe es an Klarheit nicht mangeln lassen, sein "radikaler Wille zur Aufklärung" sei unstrittig.

Die Gegenthese formulierte der Regisseur und Homosexuellen-Aktivist Rosa von Praunheim - und seltsamerweise blieb auch er ohne Widerwort: Benedikt lasse sich anbeten, die Kirche sei eine Diktatur, der Papst müsse die Missbrauchsfälle "natürlich" vertuschen, um sich an der Macht zu halten.

40 Prozent der Priester schwul?

Daraus kann nur folgen: Es ist eine Frage der persönlichen Einstellung, es ist die Vertrauensfrage schlechthin, ob man Benedikt XVI. die Erschütterung, wie sie etwa sein Brief an die irischen Katholiken ausdrückt, abnimmt oder nicht. "Ich glaube Ihnen nicht", brach es einmal aus Praunheim hervor. Der Satz war in die Richtung seiner beiden Antipoden geschleudert, die mit ihm gemeinsam ein schrilles Dreieck bildeten. Der Journalist Matthias Matussek vom Spiegel und der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck gaben katholisch Kontra, wann immer der Regisseur und Ex-Protestant zur Anklage anhob.

Sind 40 Prozent der katholischen Priester schwul? Praunheim habe die Zahl in vertraulichen Gesprächen vernommen. "Solche Unterstellungen", fiel ihm der smarte Bischof ins Wort, wolle er hier gar nicht erst verhandeln. "Sie arbeiten die ganze Zeit mit Unterstellungen", stürzte aus Matusseks Mund fast derselbe Satz auf Praunheim hernieder. Überhaupt, so der Journalist, seien die "Karnevalsvorschläge" des Regisseurs allesamt "Balla-Balla". Es fehle nur noch die Anregung, Karl Lagerfeld möge Papst werden.

Kurz zuvor hatte Praunheim die katholischen Männer zum Massenaustritt aufgefordert. Als reine Frauenorganisation könne aus der Kirche noch etwas werden. Der Regisseur brachte das "Riesenspektrum von Bedürfnissen" in Anschlag, das der Mensch nun einmal habe und das die Kirche brutal negiere.

Die ebenso alerte Kuby hingegen schwärmte von der "riesigen Erweiterung meiner Perspektive", seit sie vor zehn Jahren zum Katholizismus übertrat. Gerade die Sexualmoral habe eine enorm befreiende Wirkung entfaltet: "Die kirchliche Sichtweise auf die Sexualität nimmt den Menschen in all seinen Dimensionen ernst." Eigene Hingabe und Respekt für den Partner verbänden sich und schüfen so erst die Grundlage für den ehrlichen Umgang mit anderen.

Idealtypisch prallten die Gegensätze aufeinander: Machen die Bedürfnisse oder die Perspektiven den Menschen? Schafft die Lust sich eine Norm, oder sorgt erst Moral für Hingabe? Dass solche tiefreichenden Differenzen freigelegt und nicht harmonisiert wurden, gehört zum Verdienst dieser Runde. Keine Brücke führt auch von Overbecks Ablehnung der Homosexualität zu Praunheims wütendem Konter. Die "Natur des Menschen", urteilte der Bischof, sei auf das "Miteinander von Mann und Frau" angelegt, also widerspräche Homosexualität der Natur.

Ein Lob dem Zölibat

"Völliger Quatsch, völliger Blödsinn", quittierte der Künstler das Hirtenwort. Auch Matussek mochte da nicht mitgehen. Am priesterlichen Zölibat hingegen will der Spiegel-Autor festhalten; Jesus habe Männer zu seinen Aposteln erwählt, und der Priester handle am Altar an Christi Statt. Auch als Widerstandsakt gegen den Mainstream und gegen eine Gesellschaft, "in der alles auf schnelle Bedürfnisbefriedigung angelegt ist", imponiere ihm die Ehelosigkeit.

Regisseur Praunheim hält solches Denken für Chauvinismus. Fortan duzte er "den Matthias" noch heftiger: "Also du bist wirklich so ein richtiger Machomacker."

Auf dem Betroffenheitssofa von Anne Will erklärte schließlich ein ehemaliges Mitglied der Regensburger Domspatzen, das zwischen 1968 und 1971 von einem "studentischen Helfer" regelmäßig "befummelt" worden sei, seinen Kirchenaustritt. Der Mann fühlt sich durch das Regensburger Bistum vom Opfer zum Täter gemacht, zum Nestbeschmutzer, der den Domspatzen schaden wolle.

Für Heiterkeit sorgte eines der insgesamt vier gewohnt drögen Einspielfilmchen. Ein katholisches Ehepaar, dessen Tochter jetzt zur Erstkommunion ging, sollte die Bedeutung der Feier erklären. Der Vater sagte, dass die Tochter nun die Berechtigung erhalten habe, Ministrantin zu werden. Der Kommentator sprach munter vom "ersten Abendmahl".

Man sieht: Auch bei der Vermittlung von Glaubenswissen eröffnet sich für eine "Kirche der Klarheit in pluriformer Gesellschaft" (Overbeck) ein weites Feld.

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